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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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treffen der übrigen Mitglieder, diese ganze Frage ans dem Programm zu ent¬
fernen und mit einer Art Interdict zu belegen gewußt, welches allen denen
entgegengehalten wurde, welche im Laufe der Verhandlungen ja einmal darauf
zurückzukommen wagten; ein Verfahren, worüber sich besonders der aus diesem
Felde rühmlichst bekannte Regierungsrath Schenck aus Bern, Vorsteher des
dortigen Cantonalarmenwcsens, mit Recht beschwerte.

Daß aber das Associationswesen, überhaupt alle wesentlich auf die Selbst¬
hilfe der arbeitenden Classen basirten Bestrebungen sich nicht nur keiner Sym¬
pathie Seitens der Herrn Belgier zu erfreuen haben, sondern von ihnen
als lästig und bedenklich auf jede mögliche Weise in den Hintergrund geschoben
und am liebsten ganz ignorirt werden, ist bei der Stellung, welche diese in
andrer Hinsicht so tüchtigen Männer zur socialen Frage eingenommen haben,
ganz natürlich. Zwar wird man bei ihnen nicht grade durchweg jene voll¬
ständige Unkenntnis? der Sache finden, wie sie dem Professor Huber auf dem
ersten Kongresse in der naiven Aeußerung: ,M unus c'c-Le. lo i"ImIiUtLtc;rö
entgegentrat. Allein wirklich fehlt ihnen fast jede Gelegenheit, die hierher
gehörigen praktischen Versuche aus eigner Anschauung kennen zu lernen, da in
Belgien dergleichen überhaupt noch wenig oder gar nicht existiren. Widerspricht
doch die Weckung und Förderung selbstständigen Geistes uuter den Arbeitern,
die Anregung zur Bildung nutonomischer Genossenschaften unter ihnen aus
eigner Kraft dem nationalen Hange, allen ihren Traditionen. Vielmehr muß
alles in dieser Beziehung bei ihnen von einem socialen Mittelpunkte. sei es
die Staatsbehörde, die Kirche, oder wohlorganisirte Vereine der herrschenden
Classen, ausgehen, womöglich mit amtlicher Autorität bekleidet sein, und alles,
wovon jene nicht die Fäden in der Hand haben, erscheint ihnen unmöglich
oder gefährlich. Wie weit sie es mit diesen: Systeme bei sich gebracht haben,
zeigten wir bei einer frühern Gelegenheit.*) Enorme Capitalien in der Form
von milden Stiftungen und Armensouds, die für das kleine Land die unge¬
heure Jahresrente von mehr als 1-1 Millionen Franken gewähren, außer der
gar nicht zu berechnenden Privntmildthätigkeit, dem Verkehr, dem productiven
Fond, aus welchem die Arbeitslöhne gezahlt werden, entzogen! Und trotz,
oder vielmehr Dank dieser außerordentlichen Fürsorge, will dies alles immer
weniger zureichen, da bereits der je vierte Bewohner des Landes öffentliche
Unterstützung genießt. Wol wären, so sollte man meinen, diese Resultate ge¬
eignet, den Herren die Augen zu öffnen. Allein einmal sind sie so verrannt
in diese Richtung, ist diese Auffassung so völlig mit ihrer ganzen Anschauungs¬
weise verwachsen, daß ihnen das Einlenken in eine andere Bahn unmöglich



') Die Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen, (!, Assecuranz und Almosen i"
No. 37. Jahrgang 1"ü7.

treffen der übrigen Mitglieder, diese ganze Frage ans dem Programm zu ent¬
fernen und mit einer Art Interdict zu belegen gewußt, welches allen denen
entgegengehalten wurde, welche im Laufe der Verhandlungen ja einmal darauf
zurückzukommen wagten; ein Verfahren, worüber sich besonders der aus diesem
Felde rühmlichst bekannte Regierungsrath Schenck aus Bern, Vorsteher des
dortigen Cantonalarmenwcsens, mit Recht beschwerte.

Daß aber das Associationswesen, überhaupt alle wesentlich auf die Selbst¬
hilfe der arbeitenden Classen basirten Bestrebungen sich nicht nur keiner Sym¬
pathie Seitens der Herrn Belgier zu erfreuen haben, sondern von ihnen
als lästig und bedenklich auf jede mögliche Weise in den Hintergrund geschoben
und am liebsten ganz ignorirt werden, ist bei der Stellung, welche diese in
andrer Hinsicht so tüchtigen Männer zur socialen Frage eingenommen haben,
ganz natürlich. Zwar wird man bei ihnen nicht grade durchweg jene voll¬
ständige Unkenntnis? der Sache finden, wie sie dem Professor Huber auf dem
ersten Kongresse in der naiven Aeußerung: ,M unus c'c-Le. lo i»ImIiUtLtc;rö
entgegentrat. Allein wirklich fehlt ihnen fast jede Gelegenheit, die hierher
gehörigen praktischen Versuche aus eigner Anschauung kennen zu lernen, da in
Belgien dergleichen überhaupt noch wenig oder gar nicht existiren. Widerspricht
doch die Weckung und Förderung selbstständigen Geistes uuter den Arbeitern,
die Anregung zur Bildung nutonomischer Genossenschaften unter ihnen aus
eigner Kraft dem nationalen Hange, allen ihren Traditionen. Vielmehr muß
alles in dieser Beziehung bei ihnen von einem socialen Mittelpunkte. sei es
die Staatsbehörde, die Kirche, oder wohlorganisirte Vereine der herrschenden
Classen, ausgehen, womöglich mit amtlicher Autorität bekleidet sein, und alles,
wovon jene nicht die Fäden in der Hand haben, erscheint ihnen unmöglich
oder gefährlich. Wie weit sie es mit diesen: Systeme bei sich gebracht haben,
zeigten wir bei einer frühern Gelegenheit.*) Enorme Capitalien in der Form
von milden Stiftungen und Armensouds, die für das kleine Land die unge¬
heure Jahresrente von mehr als 1-1 Millionen Franken gewähren, außer der
gar nicht zu berechnenden Privntmildthätigkeit, dem Verkehr, dem productiven
Fond, aus welchem die Arbeitslöhne gezahlt werden, entzogen! Und trotz,
oder vielmehr Dank dieser außerordentlichen Fürsorge, will dies alles immer
weniger zureichen, da bereits der je vierte Bewohner des Landes öffentliche
Unterstützung genießt. Wol wären, so sollte man meinen, diese Resultate ge¬
eignet, den Herren die Augen zu öffnen. Allein einmal sind sie so verrannt
in diese Richtung, ist diese Auffassung so völlig mit ihrer ganzen Anschauungs¬
weise verwachsen, daß ihnen das Einlenken in eine andere Bahn unmöglich



') Die Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen, (!, Assecuranz und Almosen i»
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[0132] treffen der übrigen Mitglieder, diese ganze Frage ans dem Programm zu ent¬ fernen und mit einer Art Interdict zu belegen gewußt, welches allen denen entgegengehalten wurde, welche im Laufe der Verhandlungen ja einmal darauf zurückzukommen wagten; ein Verfahren, worüber sich besonders der aus diesem Felde rühmlichst bekannte Regierungsrath Schenck aus Bern, Vorsteher des dortigen Cantonalarmenwcsens, mit Recht beschwerte. Daß aber das Associationswesen, überhaupt alle wesentlich auf die Selbst¬ hilfe der arbeitenden Classen basirten Bestrebungen sich nicht nur keiner Sym¬ pathie Seitens der Herrn Belgier zu erfreuen haben, sondern von ihnen als lästig und bedenklich auf jede mögliche Weise in den Hintergrund geschoben und am liebsten ganz ignorirt werden, ist bei der Stellung, welche diese in andrer Hinsicht so tüchtigen Männer zur socialen Frage eingenommen haben, ganz natürlich. Zwar wird man bei ihnen nicht grade durchweg jene voll¬ ständige Unkenntnis? der Sache finden, wie sie dem Professor Huber auf dem ersten Kongresse in der naiven Aeußerung: ,M unus c'c-Le. lo i»ImIiUtLtc;rö entgegentrat. Allein wirklich fehlt ihnen fast jede Gelegenheit, die hierher gehörigen praktischen Versuche aus eigner Anschauung kennen zu lernen, da in Belgien dergleichen überhaupt noch wenig oder gar nicht existiren. Widerspricht doch die Weckung und Förderung selbstständigen Geistes uuter den Arbeitern, die Anregung zur Bildung nutonomischer Genossenschaften unter ihnen aus eigner Kraft dem nationalen Hange, allen ihren Traditionen. Vielmehr muß alles in dieser Beziehung bei ihnen von einem socialen Mittelpunkte. sei es die Staatsbehörde, die Kirche, oder wohlorganisirte Vereine der herrschenden Classen, ausgehen, womöglich mit amtlicher Autorität bekleidet sein, und alles, wovon jene nicht die Fäden in der Hand haben, erscheint ihnen unmöglich oder gefährlich. Wie weit sie es mit diesen: Systeme bei sich gebracht haben, zeigten wir bei einer frühern Gelegenheit.*) Enorme Capitalien in der Form von milden Stiftungen und Armensouds, die für das kleine Land die unge¬ heure Jahresrente von mehr als 1-1 Millionen Franken gewähren, außer der gar nicht zu berechnenden Privntmildthätigkeit, dem Verkehr, dem productiven Fond, aus welchem die Arbeitslöhne gezahlt werden, entzogen! Und trotz, oder vielmehr Dank dieser außerordentlichen Fürsorge, will dies alles immer weniger zureichen, da bereits der je vierte Bewohner des Landes öffentliche Unterstützung genießt. Wol wären, so sollte man meinen, diese Resultate ge¬ eignet, den Herren die Augen zu öffnen. Allein einmal sind sie so verrannt in diese Richtung, ist diese Auffassung so völlig mit ihrer ganzen Anschauungs¬ weise verwachsen, daß ihnen das Einlenken in eine andere Bahn unmöglich ') Die Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen, (!, Assecuranz und Almosen i» No. 37. Jahrgang 1«ü7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/132>, abgerufen am 22.12.2024.