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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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gleich einen schweren, falls mir ein leichter versagt Ware/' Ihre Tochter, die
jüngere Arria, wollte nach dem Beispiel ihrer Mutter das Schicksal ihres Ge¬
mahls Thmsea theilen, der in den letzten Zeiten Neros zum Tode verurtheilt
ward, er aber beredete sie am Leben zu bleiben und ihrer Tochter nicht die
einzige Stütze zu entziehen. Diese Tochter war jene Familia. die für das
Gedächtnis; ihres Gemahls die Verbannung litt, und aus ihrem Munde hatte
Plinius vernommen, was er über ihre Großmutter berichtet.

Die Anschauungen, die wir aus der gleichzeitigen Literatur entnehmen
tonnen, dürftig, unzusammenhängend und einseitig wie sie sind, beschränken
sich wie gesagt auf die Existenz der Frauen, die auf die Höhen des Lebens
gestellt waren. Wie das weibliche Leben sich in den mittlern und untern
Schichten der Gesellschaft gestaltete, darüber haben wir kaum hin und wieder
eine flüchtige Andeutung, nur Grabsteine von Frauen dieser Stände sind er¬
halten, auf denen ihre Hinterbliebenen Gatten ihre Tugenden rühmen. Ein¬
mal freilich gesteht auch ein Witwer mit naiver Aufrichtigkeit in der Grab¬
schrift seiner Frau: "An dem Tage ihres Todes habe ich den Göttern meinen
Dank und den Menschen meine Freude bezeugt." Geben diese Denkmäler üb¬
rigens auch nicht die zuverlässigsten Nachrichten von denen, welchen sie errichtet
wurden, so lehren sie uns doch die Eigenschaften kennen, die in den mittlern
und untern Classen an Frauen am meisten geschätzt wurden. Es gereichte
ihnen zumNuhm. nur einem Manne angehört zu haben (univii-as), was bei
den frühen Vermählungen, leichtsinnigen Scheidungen und Wiederverheirathungen
auch hier mindestens nicht das Gewöhnliche war. Oft spricht sich in diesen
Inschriften ein inniges Verhältniß der beiden Gatten einsach und rührend nus.
In einer derselben heißt es: "Meiner theuersten Gattin, mit der ich achtzehn
Jahre ohne .Klage gelebt und aus Sehnsucht nach ihr geschworen habe, nie
eine zweite Frciu zu nehmen." Ein Monument, das einem Mann von seiner
überlebenden Frau errichtet ist, hat eine Inschrift, die sich in ähnlichen Wen¬
dungen oft wiederholt: "Was ich hoffte, daß nach meinem Tode mir von
meinem Gatten geschehen sollte, das habe ich Unselige jetzt an seiner Asche
gethan." Auf dem Denkmal eines Paares von Freigelassenen stehen bei dem
Namen der zuerst gestorbenen Frau nur die Worte: "Ich erwarte meinen Mann."
Häufig liest man den schönen Nachruf: Nie habe ich einen Schmerz von ihr
erfahren, als durch ihren Tod, oder, nie habe ich von ihr eine Kränkung er¬
fahren, oder ein böses Wort gehört. Ein Witwer sagt, wenn er den Ver¬
diensten seiner Frau den gebührenden Lohn geben könne, müßte ihr Name
und diese Inschrift in goldnen Buchstaben prangen. Ein andrer verbreitet sich
in komischer Redseligkeit folgendermaßen: "Der tugendhaftesten Gattin und
sorgsamen Hauswirthin, dem Verlangen meiner Seele, die mit mir 18 Jahre
3 Monate und 13 Tage gelebt hat. Ich habe ohne Klage mit ihr gelebt.


gleich einen schweren, falls mir ein leichter versagt Ware/' Ihre Tochter, die
jüngere Arria, wollte nach dem Beispiel ihrer Mutter das Schicksal ihres Ge¬
mahls Thmsea theilen, der in den letzten Zeiten Neros zum Tode verurtheilt
ward, er aber beredete sie am Leben zu bleiben und ihrer Tochter nicht die
einzige Stütze zu entziehen. Diese Tochter war jene Familia. die für das
Gedächtnis; ihres Gemahls die Verbannung litt, und aus ihrem Munde hatte
Plinius vernommen, was er über ihre Großmutter berichtet.

Die Anschauungen, die wir aus der gleichzeitigen Literatur entnehmen
tonnen, dürftig, unzusammenhängend und einseitig wie sie sind, beschränken
sich wie gesagt auf die Existenz der Frauen, die auf die Höhen des Lebens
gestellt waren. Wie das weibliche Leben sich in den mittlern und untern
Schichten der Gesellschaft gestaltete, darüber haben wir kaum hin und wieder
eine flüchtige Andeutung, nur Grabsteine von Frauen dieser Stände sind er¬
halten, auf denen ihre Hinterbliebenen Gatten ihre Tugenden rühmen. Ein¬
mal freilich gesteht auch ein Witwer mit naiver Aufrichtigkeit in der Grab¬
schrift seiner Frau: „An dem Tage ihres Todes habe ich den Göttern meinen
Dank und den Menschen meine Freude bezeugt." Geben diese Denkmäler üb¬
rigens auch nicht die zuverlässigsten Nachrichten von denen, welchen sie errichtet
wurden, so lehren sie uns doch die Eigenschaften kennen, die in den mittlern
und untern Classen an Frauen am meisten geschätzt wurden. Es gereichte
ihnen zumNuhm. nur einem Manne angehört zu haben (univii-as), was bei
den frühen Vermählungen, leichtsinnigen Scheidungen und Wiederverheirathungen
auch hier mindestens nicht das Gewöhnliche war. Oft spricht sich in diesen
Inschriften ein inniges Verhältniß der beiden Gatten einsach und rührend nus.
In einer derselben heißt es: „Meiner theuersten Gattin, mit der ich achtzehn
Jahre ohne .Klage gelebt und aus Sehnsucht nach ihr geschworen habe, nie
eine zweite Frciu zu nehmen." Ein Monument, das einem Mann von seiner
überlebenden Frau errichtet ist, hat eine Inschrift, die sich in ähnlichen Wen¬
dungen oft wiederholt: „Was ich hoffte, daß nach meinem Tode mir von
meinem Gatten geschehen sollte, das habe ich Unselige jetzt an seiner Asche
gethan." Auf dem Denkmal eines Paares von Freigelassenen stehen bei dem
Namen der zuerst gestorbenen Frau nur die Worte: „Ich erwarte meinen Mann."
Häufig liest man den schönen Nachruf: Nie habe ich einen Schmerz von ihr
erfahren, als durch ihren Tod, oder, nie habe ich von ihr eine Kränkung er¬
fahren, oder ein böses Wort gehört. Ein Witwer sagt, wenn er den Ver¬
diensten seiner Frau den gebührenden Lohn geben könne, müßte ihr Name
und diese Inschrift in goldnen Buchstaben prangen. Ein andrer verbreitet sich
in komischer Redseligkeit folgendermaßen: „Der tugendhaftesten Gattin und
sorgsamen Hauswirthin, dem Verlangen meiner Seele, die mit mir 18 Jahre
3 Monate und 13 Tage gelebt hat. Ich habe ohne Klage mit ihr gelebt.


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[0103] gleich einen schweren, falls mir ein leichter versagt Ware/' Ihre Tochter, die jüngere Arria, wollte nach dem Beispiel ihrer Mutter das Schicksal ihres Ge¬ mahls Thmsea theilen, der in den letzten Zeiten Neros zum Tode verurtheilt ward, er aber beredete sie am Leben zu bleiben und ihrer Tochter nicht die einzige Stütze zu entziehen. Diese Tochter war jene Familia. die für das Gedächtnis; ihres Gemahls die Verbannung litt, und aus ihrem Munde hatte Plinius vernommen, was er über ihre Großmutter berichtet. Die Anschauungen, die wir aus der gleichzeitigen Literatur entnehmen tonnen, dürftig, unzusammenhängend und einseitig wie sie sind, beschränken sich wie gesagt auf die Existenz der Frauen, die auf die Höhen des Lebens gestellt waren. Wie das weibliche Leben sich in den mittlern und untern Schichten der Gesellschaft gestaltete, darüber haben wir kaum hin und wieder eine flüchtige Andeutung, nur Grabsteine von Frauen dieser Stände sind er¬ halten, auf denen ihre Hinterbliebenen Gatten ihre Tugenden rühmen. Ein¬ mal freilich gesteht auch ein Witwer mit naiver Aufrichtigkeit in der Grab¬ schrift seiner Frau: „An dem Tage ihres Todes habe ich den Göttern meinen Dank und den Menschen meine Freude bezeugt." Geben diese Denkmäler üb¬ rigens auch nicht die zuverlässigsten Nachrichten von denen, welchen sie errichtet wurden, so lehren sie uns doch die Eigenschaften kennen, die in den mittlern und untern Classen an Frauen am meisten geschätzt wurden. Es gereichte ihnen zumNuhm. nur einem Manne angehört zu haben (univii-as), was bei den frühen Vermählungen, leichtsinnigen Scheidungen und Wiederverheirathungen auch hier mindestens nicht das Gewöhnliche war. Oft spricht sich in diesen Inschriften ein inniges Verhältniß der beiden Gatten einsach und rührend nus. In einer derselben heißt es: „Meiner theuersten Gattin, mit der ich achtzehn Jahre ohne .Klage gelebt und aus Sehnsucht nach ihr geschworen habe, nie eine zweite Frciu zu nehmen." Ein Monument, das einem Mann von seiner überlebenden Frau errichtet ist, hat eine Inschrift, die sich in ähnlichen Wen¬ dungen oft wiederholt: „Was ich hoffte, daß nach meinem Tode mir von meinem Gatten geschehen sollte, das habe ich Unselige jetzt an seiner Asche gethan." Auf dem Denkmal eines Paares von Freigelassenen stehen bei dem Namen der zuerst gestorbenen Frau nur die Worte: „Ich erwarte meinen Mann." Häufig liest man den schönen Nachruf: Nie habe ich einen Schmerz von ihr erfahren, als durch ihren Tod, oder, nie habe ich von ihr eine Kränkung er¬ fahren, oder ein böses Wort gehört. Ein Witwer sagt, wenn er den Ver¬ diensten seiner Frau den gebührenden Lohn geben könne, müßte ihr Name und diese Inschrift in goldnen Buchstaben prangen. Ein andrer verbreitet sich in komischer Redseligkeit folgendermaßen: „Der tugendhaftesten Gattin und sorgsamen Hauswirthin, dem Verlangen meiner Seele, die mit mir 18 Jahre 3 Monate und 13 Tage gelebt hat. Ich habe ohne Klage mit ihr gelebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/103>, abgerufen am 22.12.2024.