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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Karpathengcbirges erworben wurden, schien keine dringende Nothwendigkeit
vorhanden, die neugewonnene Grenze durch Anlegung fester Plätze zu sichern,
denn das nachbarliche Königreich Polen, welches seine Existenz noch einige
Zeit hindurch fristen sollte, war nicht geeignet, Befürchtungen zu erregen, und
Oestreich war damals hauptsächlich darauf bedacht, sich gegen die neu ent¬
standene und unter Friedrich dem Großen so bedeutend gewordene Macht
Preußens den Schutz eines Festungssystems zu verschaffen, welchem Bestreben
die unter der Kaiserin Maria Theresia in Böhmen ausgeführten Festungen
ihre Entstehung verdanken. Außerdem war die türkische Grenze während der
traditionellen Kämpfe gegen die Osmanen durch eine Reihe größerer und
kleinerer, aus dem allgemeinen Bedürfniß entstandener Plätze gesichert worden,
und in der Lombardei hatte man es auch für nothwendig gefunden, sich in
dem. seit jeher oft in Zweifel gezogenen Besitz des Landes durch Anlegung
mehrer Wasserplätze zu befestigen. Die andern Grenzen der Monarchie er¬
mangelten ganz des Schutzes, den Festungen immer gewähren und den
Festungen bei der damaligen Art der Kriegführung ganz besonders verschafften.
Die Grenzen Ungarns gegen Polen waren nie gefährdet gewesen. Mit
Frankreich führte das Haus Habsburg seiue Kriege meist am Rhein und in
den Niederlanden, fern von den Grenzen seiner Erdtaube. Die speciell öst¬
reichische Grenze hatte keinen einzigen befestigten Punkt, der eine auf die
Stammländer des östreichischen Hauses zurückgedrängte Armee aufzunehmen
und ein von Westen kommendes Heer aufzuhalten im Stande war. Daß
Linz nicht befestigt war. mußte in den Jahren 18N5 und 1809 schwer em¬
pfunden werden. Wie wenig endlich Wien der Centralpunkt einer Landes¬
befestigung war und sein konnte, braucht wol nicht erst nachgewiesen zu
werden.

Obwol nun die östreichische Monarchie in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts ein zwar unleugbar aus sehr verschiedenen Elementen zusammen¬
gesetztes, aber doch schon längere Zeit bestehendes Ganze war, so schien sich
doch noch nicht das Bedürfniß geltend gemacht zu haben, diesem Staatcn-
complex den Schutz eines Festungssystems zu verschaffen, welches gegen feind¬
liche Angriffe Sicherung verliehen hätte. Klare Ideen über die Befestigung
der Staaten mangelten noch allgemein; Weiler sich zu erheben vermochte
man nicht, als einzelne bedrohte Grenzen durch Anlegung meist nicht sehr
zweckmäßiger Plätze zu schützen, welche, überdies ohne Rücksicht auf ihren
strategischen Werth und ihre Stellung im Befestigungssystem des Landes an¬
gelegt, nur von vorübergehender und geringer Bedeutung waren. So viel
hatte auch Oestreich zum Schutz Böhmens und der Lombardei gethan. Was
aber die neu gewonnene Grenze im Nordosten betraf, so glaubte, wie bemerkt.
Oestreich für den Augenblick von dem zerrütteten Polen nichts befürchten zu


Karpathengcbirges erworben wurden, schien keine dringende Nothwendigkeit
vorhanden, die neugewonnene Grenze durch Anlegung fester Plätze zu sichern,
denn das nachbarliche Königreich Polen, welches seine Existenz noch einige
Zeit hindurch fristen sollte, war nicht geeignet, Befürchtungen zu erregen, und
Oestreich war damals hauptsächlich darauf bedacht, sich gegen die neu ent¬
standene und unter Friedrich dem Großen so bedeutend gewordene Macht
Preußens den Schutz eines Festungssystems zu verschaffen, welchem Bestreben
die unter der Kaiserin Maria Theresia in Böhmen ausgeführten Festungen
ihre Entstehung verdanken. Außerdem war die türkische Grenze während der
traditionellen Kämpfe gegen die Osmanen durch eine Reihe größerer und
kleinerer, aus dem allgemeinen Bedürfniß entstandener Plätze gesichert worden,
und in der Lombardei hatte man es auch für nothwendig gefunden, sich in
dem. seit jeher oft in Zweifel gezogenen Besitz des Landes durch Anlegung
mehrer Wasserplätze zu befestigen. Die andern Grenzen der Monarchie er¬
mangelten ganz des Schutzes, den Festungen immer gewähren und den
Festungen bei der damaligen Art der Kriegführung ganz besonders verschafften.
Die Grenzen Ungarns gegen Polen waren nie gefährdet gewesen. Mit
Frankreich führte das Haus Habsburg seiue Kriege meist am Rhein und in
den Niederlanden, fern von den Grenzen seiner Erdtaube. Die speciell öst¬
reichische Grenze hatte keinen einzigen befestigten Punkt, der eine auf die
Stammländer des östreichischen Hauses zurückgedrängte Armee aufzunehmen
und ein von Westen kommendes Heer aufzuhalten im Stande war. Daß
Linz nicht befestigt war. mußte in den Jahren 18N5 und 1809 schwer em¬
pfunden werden. Wie wenig endlich Wien der Centralpunkt einer Landes¬
befestigung war und sein konnte, braucht wol nicht erst nachgewiesen zu
werden.

Obwol nun die östreichische Monarchie in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts ein zwar unleugbar aus sehr verschiedenen Elementen zusammen¬
gesetztes, aber doch schon längere Zeit bestehendes Ganze war, so schien sich
doch noch nicht das Bedürfniß geltend gemacht zu haben, diesem Staatcn-
complex den Schutz eines Festungssystems zu verschaffen, welches gegen feind¬
liche Angriffe Sicherung verliehen hätte. Klare Ideen über die Befestigung
der Staaten mangelten noch allgemein; Weiler sich zu erheben vermochte
man nicht, als einzelne bedrohte Grenzen durch Anlegung meist nicht sehr
zweckmäßiger Plätze zu schützen, welche, überdies ohne Rücksicht auf ihren
strategischen Werth und ihre Stellung im Befestigungssystem des Landes an¬
gelegt, nur von vorübergehender und geringer Bedeutung waren. So viel
hatte auch Oestreich zum Schutz Böhmens und der Lombardei gethan. Was
aber die neu gewonnene Grenze im Nordosten betraf, so glaubte, wie bemerkt.
Oestreich für den Augenblick von dem zerrütteten Polen nichts befürchten zu


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[0070] Karpathengcbirges erworben wurden, schien keine dringende Nothwendigkeit vorhanden, die neugewonnene Grenze durch Anlegung fester Plätze zu sichern, denn das nachbarliche Königreich Polen, welches seine Existenz noch einige Zeit hindurch fristen sollte, war nicht geeignet, Befürchtungen zu erregen, und Oestreich war damals hauptsächlich darauf bedacht, sich gegen die neu ent¬ standene und unter Friedrich dem Großen so bedeutend gewordene Macht Preußens den Schutz eines Festungssystems zu verschaffen, welchem Bestreben die unter der Kaiserin Maria Theresia in Böhmen ausgeführten Festungen ihre Entstehung verdanken. Außerdem war die türkische Grenze während der traditionellen Kämpfe gegen die Osmanen durch eine Reihe größerer und kleinerer, aus dem allgemeinen Bedürfniß entstandener Plätze gesichert worden, und in der Lombardei hatte man es auch für nothwendig gefunden, sich in dem. seit jeher oft in Zweifel gezogenen Besitz des Landes durch Anlegung mehrer Wasserplätze zu befestigen. Die andern Grenzen der Monarchie er¬ mangelten ganz des Schutzes, den Festungen immer gewähren und den Festungen bei der damaligen Art der Kriegführung ganz besonders verschafften. Die Grenzen Ungarns gegen Polen waren nie gefährdet gewesen. Mit Frankreich führte das Haus Habsburg seiue Kriege meist am Rhein und in den Niederlanden, fern von den Grenzen seiner Erdtaube. Die speciell öst¬ reichische Grenze hatte keinen einzigen befestigten Punkt, der eine auf die Stammländer des östreichischen Hauses zurückgedrängte Armee aufzunehmen und ein von Westen kommendes Heer aufzuhalten im Stande war. Daß Linz nicht befestigt war. mußte in den Jahren 18N5 und 1809 schwer em¬ pfunden werden. Wie wenig endlich Wien der Centralpunkt einer Landes¬ befestigung war und sein konnte, braucht wol nicht erst nachgewiesen zu werden. Obwol nun die östreichische Monarchie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ein zwar unleugbar aus sehr verschiedenen Elementen zusammen¬ gesetztes, aber doch schon längere Zeit bestehendes Ganze war, so schien sich doch noch nicht das Bedürfniß geltend gemacht zu haben, diesem Staatcn- complex den Schutz eines Festungssystems zu verschaffen, welches gegen feind¬ liche Angriffe Sicherung verliehen hätte. Klare Ideen über die Befestigung der Staaten mangelten noch allgemein; Weiler sich zu erheben vermochte man nicht, als einzelne bedrohte Grenzen durch Anlegung meist nicht sehr zweckmäßiger Plätze zu schützen, welche, überdies ohne Rücksicht auf ihren strategischen Werth und ihre Stellung im Befestigungssystem des Landes an¬ gelegt, nur von vorübergehender und geringer Bedeutung waren. So viel hatte auch Oestreich zum Schutz Böhmens und der Lombardei gethan. Was aber die neu gewonnene Grenze im Nordosten betraf, so glaubte, wie bemerkt. Oestreich für den Augenblick von dem zerrütteten Polen nichts befürchten zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/70>, abgerufen am 22.07.2024.