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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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regierenden Kreisen von' der Verkeilung der Intelligenz unter den drei Stän¬
den eine ganz falsche Vorstellung machte, und daß das Institut im Lande
unpopulär wurde; denn wie sollte das seiner realen Macht wohlbewußte Bürger-
thum sich überreden, durch die paar armen erbgesessenen Bürgermeister kleiner
Städte wirklich vertreten zu sein? Durch diese Einrichtung standen sich also
rin Staat zwei Elemente gegenüber: das Beamtenthum und die wesentlich ntter-
schastlichen Stunde, zwischen denen eine organische Ausgleichung nicht möglich
war. Wem der Sieg bleiben mußte, war nicht zweifelhaft, denn auf diese so
constituirten Stände konnte das Beamtenthum im Bewußtsein seiner höhern
politischen Bildung mit gleichgiltiger Geringschätzung herabsehn; wie denn
auch in der That die sämmtlichen Landtagsabscinede von diesem Gefühl
gefärbt sind.

Zu allgemeiner Verwunderung zeigte sich bei der Einberufung des ver¬
einigten Landtags, daß das Beamtenthum nicht Stände, sondern politische
Parteien vor sich habe. Nicht umsonst hatten die Landtagsabgeordneten in
der preußischen Staatszeitung, die über preußische Angelegenheiten beharrlich
schwieg, die gut redigirten Debatten der englischen und französischen Kammern
gelesen. So hatte denn der constitutionelle Geist auch die durch künstlichen
Galvanismus ins Leben zurückgerufenen Stände ergriffen, man konnte sich
auf sie in den Unruhen von I8i8 nicht stützen, und es wurde nach dem Vor¬
bild von 1789 eine constituirenbe Versammlung des souveränen preußischen
Volks einberufen, um das preußische constitutionelle Königthum g, xriori zu
construiren. Das Werk konnte natürlich nicht gelingen, indeß ging doch aus
den Arbeiten dieser Versammlung ein Verfassungsentwurf hervor, den das
restaurirte Königthum, wenn auch unter sehr erheblichen Abänderungen, wirk¬
lich ins Leben rief. Der wichtigste Fortschritt dieser Verfassung gegen den
frühern Entwurf ist, daß man die Stände nicht mehr zu trennen, sondern
durch gemischte Wahlen zu vereinbaren sucht. Wirklich bestehende Stände werden
sich bei einer freien Wahl schon immer geltend machen; wem sie die Ver¬
tretung ihrer Interessen anvertrauen, ist rhre Sache. Man hat vielfach über
das Uebergewicht der Beamten in den Kammern geklagt, und es hat in der
That seine Bedenken, aber einmal darf man es den Rittern, Bürgern und
Bauern nicht verwehren, ihre Sache durch einen Mann vertreten zu lassen,
der in Staatssachen gebildeter und des Worts mächtiger ist als sie; sodann
ist dies grade das beste Mittel, zwischen den beiden gegenüberstehenden Fac-
toren des Staats, zwischen dem Beamtenthum und dem Landtag eine Ver¬
mittlung anzubahnen. . -

Es hat sich bei den neuen Kammern grade wie bei dem frühern Land¬
tag herausgestellt, daß, wie bei einem vorwiegend Ackerbau treibenden Staat
natürlich ist, der ritterschastliche Grundbesitz aus die Wahlen den bedeutendsten


regierenden Kreisen von' der Verkeilung der Intelligenz unter den drei Stän¬
den eine ganz falsche Vorstellung machte, und daß das Institut im Lande
unpopulär wurde; denn wie sollte das seiner realen Macht wohlbewußte Bürger-
thum sich überreden, durch die paar armen erbgesessenen Bürgermeister kleiner
Städte wirklich vertreten zu sein? Durch diese Einrichtung standen sich also
rin Staat zwei Elemente gegenüber: das Beamtenthum und die wesentlich ntter-
schastlichen Stunde, zwischen denen eine organische Ausgleichung nicht möglich
war. Wem der Sieg bleiben mußte, war nicht zweifelhaft, denn auf diese so
constituirten Stände konnte das Beamtenthum im Bewußtsein seiner höhern
politischen Bildung mit gleichgiltiger Geringschätzung herabsehn; wie denn
auch in der That die sämmtlichen Landtagsabscinede von diesem Gefühl
gefärbt sind.

Zu allgemeiner Verwunderung zeigte sich bei der Einberufung des ver¬
einigten Landtags, daß das Beamtenthum nicht Stände, sondern politische
Parteien vor sich habe. Nicht umsonst hatten die Landtagsabgeordneten in
der preußischen Staatszeitung, die über preußische Angelegenheiten beharrlich
schwieg, die gut redigirten Debatten der englischen und französischen Kammern
gelesen. So hatte denn der constitutionelle Geist auch die durch künstlichen
Galvanismus ins Leben zurückgerufenen Stände ergriffen, man konnte sich
auf sie in den Unruhen von I8i8 nicht stützen, und es wurde nach dem Vor¬
bild von 1789 eine constituirenbe Versammlung des souveränen preußischen
Volks einberufen, um das preußische constitutionelle Königthum g, xriori zu
construiren. Das Werk konnte natürlich nicht gelingen, indeß ging doch aus
den Arbeiten dieser Versammlung ein Verfassungsentwurf hervor, den das
restaurirte Königthum, wenn auch unter sehr erheblichen Abänderungen, wirk¬
lich ins Leben rief. Der wichtigste Fortschritt dieser Verfassung gegen den
frühern Entwurf ist, daß man die Stände nicht mehr zu trennen, sondern
durch gemischte Wahlen zu vereinbaren sucht. Wirklich bestehende Stände werden
sich bei einer freien Wahl schon immer geltend machen; wem sie die Ver¬
tretung ihrer Interessen anvertrauen, ist rhre Sache. Man hat vielfach über
das Uebergewicht der Beamten in den Kammern geklagt, und es hat in der
That seine Bedenken, aber einmal darf man es den Rittern, Bürgern und
Bauern nicht verwehren, ihre Sache durch einen Mann vertreten zu lassen,
der in Staatssachen gebildeter und des Worts mächtiger ist als sie; sodann
ist dies grade das beste Mittel, zwischen den beiden gegenüberstehenden Fac-
toren des Staats, zwischen dem Beamtenthum und dem Landtag eine Ver¬
mittlung anzubahnen. . -

Es hat sich bei den neuen Kammern grade wie bei dem frühern Land¬
tag herausgestellt, daß, wie bei einem vorwiegend Ackerbau treibenden Staat
natürlich ist, der ritterschastliche Grundbesitz aus die Wahlen den bedeutendsten


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[0495] regierenden Kreisen von' der Verkeilung der Intelligenz unter den drei Stän¬ den eine ganz falsche Vorstellung machte, und daß das Institut im Lande unpopulär wurde; denn wie sollte das seiner realen Macht wohlbewußte Bürger- thum sich überreden, durch die paar armen erbgesessenen Bürgermeister kleiner Städte wirklich vertreten zu sein? Durch diese Einrichtung standen sich also rin Staat zwei Elemente gegenüber: das Beamtenthum und die wesentlich ntter- schastlichen Stunde, zwischen denen eine organische Ausgleichung nicht möglich war. Wem der Sieg bleiben mußte, war nicht zweifelhaft, denn auf diese so constituirten Stände konnte das Beamtenthum im Bewußtsein seiner höhern politischen Bildung mit gleichgiltiger Geringschätzung herabsehn; wie denn auch in der That die sämmtlichen Landtagsabscinede von diesem Gefühl gefärbt sind. Zu allgemeiner Verwunderung zeigte sich bei der Einberufung des ver¬ einigten Landtags, daß das Beamtenthum nicht Stände, sondern politische Parteien vor sich habe. Nicht umsonst hatten die Landtagsabgeordneten in der preußischen Staatszeitung, die über preußische Angelegenheiten beharrlich schwieg, die gut redigirten Debatten der englischen und französischen Kammern gelesen. So hatte denn der constitutionelle Geist auch die durch künstlichen Galvanismus ins Leben zurückgerufenen Stände ergriffen, man konnte sich auf sie in den Unruhen von I8i8 nicht stützen, und es wurde nach dem Vor¬ bild von 1789 eine constituirenbe Versammlung des souveränen preußischen Volks einberufen, um das preußische constitutionelle Königthum g, xriori zu construiren. Das Werk konnte natürlich nicht gelingen, indeß ging doch aus den Arbeiten dieser Versammlung ein Verfassungsentwurf hervor, den das restaurirte Königthum, wenn auch unter sehr erheblichen Abänderungen, wirk¬ lich ins Leben rief. Der wichtigste Fortschritt dieser Verfassung gegen den frühern Entwurf ist, daß man die Stände nicht mehr zu trennen, sondern durch gemischte Wahlen zu vereinbaren sucht. Wirklich bestehende Stände werden sich bei einer freien Wahl schon immer geltend machen; wem sie die Ver¬ tretung ihrer Interessen anvertrauen, ist rhre Sache. Man hat vielfach über das Uebergewicht der Beamten in den Kammern geklagt, und es hat in der That seine Bedenken, aber einmal darf man es den Rittern, Bürgern und Bauern nicht verwehren, ihre Sache durch einen Mann vertreten zu lassen, der in Staatssachen gebildeter und des Worts mächtiger ist als sie; sodann ist dies grade das beste Mittel, zwischen den beiden gegenüberstehenden Fac- toren des Staats, zwischen dem Beamtenthum und dem Landtag eine Ver¬ mittlung anzubahnen. . - Es hat sich bei den neuen Kammern grade wie bei dem frühern Land¬ tag herausgestellt, daß, wie bei einem vorwiegend Ackerbau treibenden Staat natürlich ist, der ritterschastliche Grundbesitz aus die Wahlen den bedeutendsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/495>, abgerufen am 23.07.2024.