Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich in den unglücklichen Jahren von 1806--1813. Das alte Kriegs- und
Vcrwaltungssystem stürzte zusammen, aber durch die aufopfernde Thätigkeit
der Nation gelang es, sie wieder in ihre Fugen einzulenken. Der Wunsch,
diese Ergänzung zu einer dauernden zu machen, lag in der Natur der Sache,
und es war nicht blos das Versprechen, das man dem Volk gegeben hatte,
sondern der innere Zusammenhang der Verhältnisse, der auf eine Ergänzung
des Beamtenthums durch eine Volksvertretung (im Kriegswesen hatte die
Landwehr diesen Zweck befriedigt) hindrängte. Eine solche Ergänzung lag
nicht blos im Interesse des Volkes, sondern auch im Interesse der Krone.
Freilich war die Bureaukratie noch immer die gebildetste Classe des Volkes,
aber es hatte sich gezeigt, daß sie weder allwissend, noch im höhern Sinn
des Worts zuverlässig war. Es mußte der Krone daran liegen, dem Be-
amtenthuni^. das eine ziemlich selbstständige Macht geworden war, ein Gegen¬
gewicht und eine Schranke zugeben, sich über die wahren Interessen des Vol¬
kes aufzuklären, und im Interesse der Dynastie dem augenblicklichen Träger
der Krone stärkere Schranken zu setzen, als ein Collegium von mehr oder
minder abhängigen Beamten.

Schwieriger war die Frage, wie diese Ergänzung 'herzustellen sei. Es
wurde nun ein Plan durchzuführen gesucht, dem man den Ruhm einer geist¬
vollen Auffassung und einer großen Konsequenz nicht absprechen kann. Man
suchte die alten Stände wieder hervor, mit andern Worten, man stellte dem
güterlosen Beamtenthum den Grundbesitz, nach drei Classen geordnet, den
ritterschaftlichen, den städtischen, den bäuerlichen gegenüber. Man constituirte
. diesen Grundbesitz in den Kreistagen, die abgesehen von der höchst wichtigen
Landrathswahl auch noch sonstige administrative Befugnisse hatten, mau lies;
daraus die Provinzialstände und endlich den vereinigten Landtag hervorgehn.
So griff alles organisch ineinander, und es war namentlich ein glücklicher
Gedanke, daß die Stände, deren Hauptaufgabe war, die Verwaltung zu con-
troliren. ihrerseits in gewissen Kreisen an der Verwaltung betheiligt waren.

Aber dies consequent gedachte Gebäude ruhte auf einer falschen Grund¬
lage. Zunächst waren durch die einseitige Vertretung des Grundbesitzes zwei
wichtige Factoren des bürgerlichen Lebens, die Industrie und der Handel,
ganz übergangen. Der Streit zwischen den drei einzelnen Classen, aus deren
Ausgleichung es grade ankam, war permanent gemacht, und zwar auf eine
für die Städte und Bauern sehr empfindliche Weise. . Denn die Vertretung
der drei Stande war im Grund nur eine Vertretung der Ritterschaft, nicht
blos weil die Zahl der letzter,, bedeutend überwog, sondern hauptsächlich,
weil der sehr verwickelte Wahlmodus zwar der Ritterschaft verstattete, ihre
wirklich intelligenten Kräfte auf den Landtag zu schicken, aber nicht den Städ¬
ten. Daraus ging der doppelte Uebelstand hervor, daß man sich in den


sich in den unglücklichen Jahren von 1806—1813. Das alte Kriegs- und
Vcrwaltungssystem stürzte zusammen, aber durch die aufopfernde Thätigkeit
der Nation gelang es, sie wieder in ihre Fugen einzulenken. Der Wunsch,
diese Ergänzung zu einer dauernden zu machen, lag in der Natur der Sache,
und es war nicht blos das Versprechen, das man dem Volk gegeben hatte,
sondern der innere Zusammenhang der Verhältnisse, der auf eine Ergänzung
des Beamtenthums durch eine Volksvertretung (im Kriegswesen hatte die
Landwehr diesen Zweck befriedigt) hindrängte. Eine solche Ergänzung lag
nicht blos im Interesse des Volkes, sondern auch im Interesse der Krone.
Freilich war die Bureaukratie noch immer die gebildetste Classe des Volkes,
aber es hatte sich gezeigt, daß sie weder allwissend, noch im höhern Sinn
des Worts zuverlässig war. Es mußte der Krone daran liegen, dem Be-
amtenthuni^. das eine ziemlich selbstständige Macht geworden war, ein Gegen¬
gewicht und eine Schranke zugeben, sich über die wahren Interessen des Vol¬
kes aufzuklären, und im Interesse der Dynastie dem augenblicklichen Träger
der Krone stärkere Schranken zu setzen, als ein Collegium von mehr oder
minder abhängigen Beamten.

Schwieriger war die Frage, wie diese Ergänzung 'herzustellen sei. Es
wurde nun ein Plan durchzuführen gesucht, dem man den Ruhm einer geist¬
vollen Auffassung und einer großen Konsequenz nicht absprechen kann. Man
suchte die alten Stände wieder hervor, mit andern Worten, man stellte dem
güterlosen Beamtenthum den Grundbesitz, nach drei Classen geordnet, den
ritterschaftlichen, den städtischen, den bäuerlichen gegenüber. Man constituirte
. diesen Grundbesitz in den Kreistagen, die abgesehen von der höchst wichtigen
Landrathswahl auch noch sonstige administrative Befugnisse hatten, mau lies;
daraus die Provinzialstände und endlich den vereinigten Landtag hervorgehn.
So griff alles organisch ineinander, und es war namentlich ein glücklicher
Gedanke, daß die Stände, deren Hauptaufgabe war, die Verwaltung zu con-
troliren. ihrerseits in gewissen Kreisen an der Verwaltung betheiligt waren.

Aber dies consequent gedachte Gebäude ruhte auf einer falschen Grund¬
lage. Zunächst waren durch die einseitige Vertretung des Grundbesitzes zwei
wichtige Factoren des bürgerlichen Lebens, die Industrie und der Handel,
ganz übergangen. Der Streit zwischen den drei einzelnen Classen, aus deren
Ausgleichung es grade ankam, war permanent gemacht, und zwar auf eine
für die Städte und Bauern sehr empfindliche Weise. . Denn die Vertretung
der drei Stande war im Grund nur eine Vertretung der Ritterschaft, nicht
blos weil die Zahl der letzter,, bedeutend überwog, sondern hauptsächlich,
weil der sehr verwickelte Wahlmodus zwar der Ritterschaft verstattete, ihre
wirklich intelligenten Kräfte auf den Landtag zu schicken, aber nicht den Städ¬
ten. Daraus ging der doppelte Uebelstand hervor, daß man sich in den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106305"/>
          <p xml:id="ID_1455" prev="#ID_1454"> sich in den unglücklichen Jahren von 1806&#x2014;1813. Das alte Kriegs- und<lb/>
Vcrwaltungssystem stürzte zusammen, aber durch die aufopfernde Thätigkeit<lb/>
der Nation gelang es, sie wieder in ihre Fugen einzulenken. Der Wunsch,<lb/>
diese Ergänzung zu einer dauernden zu machen, lag in der Natur der Sache,<lb/>
und es war nicht blos das Versprechen, das man dem Volk gegeben hatte,<lb/>
sondern der innere Zusammenhang der Verhältnisse, der auf eine Ergänzung<lb/>
des Beamtenthums durch eine Volksvertretung (im Kriegswesen hatte die<lb/>
Landwehr diesen Zweck befriedigt) hindrängte. Eine solche Ergänzung lag<lb/>
nicht blos im Interesse des Volkes, sondern auch im Interesse der Krone.<lb/>
Freilich war die Bureaukratie noch immer die gebildetste Classe des Volkes,<lb/>
aber es hatte sich gezeigt, daß sie weder allwissend, noch im höhern Sinn<lb/>
des Worts zuverlässig war. Es mußte der Krone daran liegen, dem Be-<lb/>
amtenthuni^. das eine ziemlich selbstständige Macht geworden war, ein Gegen¬<lb/>
gewicht und eine Schranke zugeben, sich über die wahren Interessen des Vol¬<lb/>
kes aufzuklären, und im Interesse der Dynastie dem augenblicklichen Träger<lb/>
der Krone stärkere Schranken zu setzen, als ein Collegium von mehr oder<lb/>
minder abhängigen Beamten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1456"> Schwieriger war die Frage, wie diese Ergänzung 'herzustellen sei. Es<lb/>
wurde nun ein Plan durchzuführen gesucht, dem man den Ruhm einer geist¬<lb/>
vollen Auffassung und einer großen Konsequenz nicht absprechen kann. Man<lb/>
suchte die alten Stände wieder hervor, mit andern Worten, man stellte dem<lb/>
güterlosen Beamtenthum den Grundbesitz, nach drei Classen geordnet, den<lb/>
ritterschaftlichen, den städtischen, den bäuerlichen gegenüber. Man constituirte<lb/>
. diesen Grundbesitz in den Kreistagen, die abgesehen von der höchst wichtigen<lb/>
Landrathswahl auch noch sonstige administrative Befugnisse hatten, mau lies;<lb/>
daraus die Provinzialstände und endlich den vereinigten Landtag hervorgehn.<lb/>
So griff alles organisch ineinander, und es war namentlich ein glücklicher<lb/>
Gedanke, daß die Stände, deren Hauptaufgabe war, die Verwaltung zu con-<lb/>
troliren. ihrerseits in gewissen Kreisen an der Verwaltung betheiligt waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1457" next="#ID_1458"> Aber dies consequent gedachte Gebäude ruhte auf einer falschen Grund¬<lb/>
lage. Zunächst waren durch die einseitige Vertretung des Grundbesitzes zwei<lb/>
wichtige Factoren des bürgerlichen Lebens, die Industrie und der Handel,<lb/>
ganz übergangen. Der Streit zwischen den drei einzelnen Classen, aus deren<lb/>
Ausgleichung es grade ankam, war permanent gemacht, und zwar auf eine<lb/>
für die Städte und Bauern sehr empfindliche Weise. . Denn die Vertretung<lb/>
der drei Stande war im Grund nur eine Vertretung der Ritterschaft, nicht<lb/>
blos weil die Zahl der letzter,, bedeutend überwog, sondern hauptsächlich,<lb/>
weil der sehr verwickelte Wahlmodus zwar der Ritterschaft verstattete, ihre<lb/>
wirklich intelligenten Kräfte auf den Landtag zu schicken, aber nicht den Städ¬<lb/>
ten.  Daraus ging der doppelte Uebelstand hervor, daß man sich in den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] sich in den unglücklichen Jahren von 1806—1813. Das alte Kriegs- und Vcrwaltungssystem stürzte zusammen, aber durch die aufopfernde Thätigkeit der Nation gelang es, sie wieder in ihre Fugen einzulenken. Der Wunsch, diese Ergänzung zu einer dauernden zu machen, lag in der Natur der Sache, und es war nicht blos das Versprechen, das man dem Volk gegeben hatte, sondern der innere Zusammenhang der Verhältnisse, der auf eine Ergänzung des Beamtenthums durch eine Volksvertretung (im Kriegswesen hatte die Landwehr diesen Zweck befriedigt) hindrängte. Eine solche Ergänzung lag nicht blos im Interesse des Volkes, sondern auch im Interesse der Krone. Freilich war die Bureaukratie noch immer die gebildetste Classe des Volkes, aber es hatte sich gezeigt, daß sie weder allwissend, noch im höhern Sinn des Worts zuverlässig war. Es mußte der Krone daran liegen, dem Be- amtenthuni^. das eine ziemlich selbstständige Macht geworden war, ein Gegen¬ gewicht und eine Schranke zugeben, sich über die wahren Interessen des Vol¬ kes aufzuklären, und im Interesse der Dynastie dem augenblicklichen Träger der Krone stärkere Schranken zu setzen, als ein Collegium von mehr oder minder abhängigen Beamten. Schwieriger war die Frage, wie diese Ergänzung 'herzustellen sei. Es wurde nun ein Plan durchzuführen gesucht, dem man den Ruhm einer geist¬ vollen Auffassung und einer großen Konsequenz nicht absprechen kann. Man suchte die alten Stände wieder hervor, mit andern Worten, man stellte dem güterlosen Beamtenthum den Grundbesitz, nach drei Classen geordnet, den ritterschaftlichen, den städtischen, den bäuerlichen gegenüber. Man constituirte . diesen Grundbesitz in den Kreistagen, die abgesehen von der höchst wichtigen Landrathswahl auch noch sonstige administrative Befugnisse hatten, mau lies; daraus die Provinzialstände und endlich den vereinigten Landtag hervorgehn. So griff alles organisch ineinander, und es war namentlich ein glücklicher Gedanke, daß die Stände, deren Hauptaufgabe war, die Verwaltung zu con- troliren. ihrerseits in gewissen Kreisen an der Verwaltung betheiligt waren. Aber dies consequent gedachte Gebäude ruhte auf einer falschen Grund¬ lage. Zunächst waren durch die einseitige Vertretung des Grundbesitzes zwei wichtige Factoren des bürgerlichen Lebens, die Industrie und der Handel, ganz übergangen. Der Streit zwischen den drei einzelnen Classen, aus deren Ausgleichung es grade ankam, war permanent gemacht, und zwar auf eine für die Städte und Bauern sehr empfindliche Weise. . Denn die Vertretung der drei Stande war im Grund nur eine Vertretung der Ritterschaft, nicht blos weil die Zahl der letzter,, bedeutend überwog, sondern hauptsächlich, weil der sehr verwickelte Wahlmodus zwar der Ritterschaft verstattete, ihre wirklich intelligenten Kräfte auf den Landtag zu schicken, aber nicht den Städ¬ ten. Daraus ging der doppelte Uebelstand hervor, daß man sich in den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/494>, abgerufen am 23.07.2024.