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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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derung wahrnahm, daß bei der Veränderung des Rechtszustandes auch der
Geldbeutel betheiligt war. Es scheint als ob die Erkenntniß, daß man schon
um seiner selbst willen dem Staatsleben einige Aufmerksamkeit zuwenden
müsse, sich mehr und mehr in allen Classen des Volks ausbreitet, und der
gegenwärtig bevorstehende sehr wichtige Act in der preußischen Entwicklung,
die neuen Wahlen, scheint die beste Gelegenheit, diesem wachsenden Interesse
einen praktischen Ausdruck zu geben.

Wenn^ wir rhetorisch zu Werke gehen wollten, so könnten wir den preu¬
ßischen Wählern zurufen, daß ganz Deutschland auf sie sieht. Aber es ist
mit dieser Redensart ein großer Mißbrauch getrieben worden, und unsre
deutschen Brüder haben in dem ganz richtigen Gefühl, daß in Preußen und
nur in Preußen das Geschick Deutschlands entschieden wird, sich allmälig in
die Vorstellung hineingeredet, als säßen sie in den Logen und im Parterre,
und hätten nichts Anderes zu thun, als die Preußen auf der Bühne aus-
zupochen oder ihnen Beifall zu klatschen. Sie sind mitunter sogar gegen uns
recht streng und vergessen ganz, daß es sich in dem Drama, das sie kritisiren,
auch um ihre eigne Haut handelt. Das preußische Volk wird dem deutschen
Vaterland am besten dienen, wenn es ausschließlich seine eignen Interessen
im Auge hält; denn darin liegt eben die providentielle Stellung Preußens,
daß beides nicht voneinander zu trennen' ist.

So oft das politische Interesse erwacht, fängt es jedesmal mit der so¬
genannten großen Politik an: man ist immer früher geneigt die Welt zu ver¬
bessern, ehe man vor seiner eignen Thür kehrt. So haben sich in der letzten
Zeit mehre Schriften damit beschäftigt, der preußischen Negierung über die
auswärtigen Angelegenheiten Rath zu ertheilen. Die eine hat ihr vor¬
geschlagen, sich mit Oestreich und England zu alliiren, und durch dieses Bünd-
niß Deutschland bis an den Main, Polen bis an die Weichsel zu gewinnen;
eine andere empfiehlt dagegen das russisch-französische Bündniß und stellt
ähnliche Vortheile in Aussicht. Alle diese Schriften sind wohlgemeint, und
wenn sie von einem königlichen Cabinetsrath ausgingen und im tiefsten
Stillschweigen Seiner Majestät vorgelegt würden, so ließe sich für und wider
manches sagen: an das Publicum gerichtet haben sie aber keinen rechten Zweck;
denn das Publicum sitzt nicht im Ministerium der auswärtigen Angelegen¬
heiten, es ist nicht in der Lage, Bündnisse zu schließen, ja nicht einmal die
Voraussetzungen richtig zu würdigen. Denn ob eine von den Großmächten
wirklich geneigt ist, mit Preußen unter den angegebenen Bedingungen zu con-
trcchiren -- und das wäre doch die Hauptsache -- darüber werden die Ver¬
sasser jener Broschüren schwerlich besser unterrichtet sein als ihre Leser.

Anstatt der Krone Rath zu ertheilen, sollten wir uns zuerst fragen: was
haben wir, die Unterthanen, die Bürger zu thun, um unsre eignen Rechte


derung wahrnahm, daß bei der Veränderung des Rechtszustandes auch der
Geldbeutel betheiligt war. Es scheint als ob die Erkenntniß, daß man schon
um seiner selbst willen dem Staatsleben einige Aufmerksamkeit zuwenden
müsse, sich mehr und mehr in allen Classen des Volks ausbreitet, und der
gegenwärtig bevorstehende sehr wichtige Act in der preußischen Entwicklung,
die neuen Wahlen, scheint die beste Gelegenheit, diesem wachsenden Interesse
einen praktischen Ausdruck zu geben.

Wenn^ wir rhetorisch zu Werke gehen wollten, so könnten wir den preu¬
ßischen Wählern zurufen, daß ganz Deutschland auf sie sieht. Aber es ist
mit dieser Redensart ein großer Mißbrauch getrieben worden, und unsre
deutschen Brüder haben in dem ganz richtigen Gefühl, daß in Preußen und
nur in Preußen das Geschick Deutschlands entschieden wird, sich allmälig in
die Vorstellung hineingeredet, als säßen sie in den Logen und im Parterre,
und hätten nichts Anderes zu thun, als die Preußen auf der Bühne aus-
zupochen oder ihnen Beifall zu klatschen. Sie sind mitunter sogar gegen uns
recht streng und vergessen ganz, daß es sich in dem Drama, das sie kritisiren,
auch um ihre eigne Haut handelt. Das preußische Volk wird dem deutschen
Vaterland am besten dienen, wenn es ausschließlich seine eignen Interessen
im Auge hält; denn darin liegt eben die providentielle Stellung Preußens,
daß beides nicht voneinander zu trennen' ist.

So oft das politische Interesse erwacht, fängt es jedesmal mit der so¬
genannten großen Politik an: man ist immer früher geneigt die Welt zu ver¬
bessern, ehe man vor seiner eignen Thür kehrt. So haben sich in der letzten
Zeit mehre Schriften damit beschäftigt, der preußischen Negierung über die
auswärtigen Angelegenheiten Rath zu ertheilen. Die eine hat ihr vor¬
geschlagen, sich mit Oestreich und England zu alliiren, und durch dieses Bünd-
niß Deutschland bis an den Main, Polen bis an die Weichsel zu gewinnen;
eine andere empfiehlt dagegen das russisch-französische Bündniß und stellt
ähnliche Vortheile in Aussicht. Alle diese Schriften sind wohlgemeint, und
wenn sie von einem königlichen Cabinetsrath ausgingen und im tiefsten
Stillschweigen Seiner Majestät vorgelegt würden, so ließe sich für und wider
manches sagen: an das Publicum gerichtet haben sie aber keinen rechten Zweck;
denn das Publicum sitzt nicht im Ministerium der auswärtigen Angelegen¬
heiten, es ist nicht in der Lage, Bündnisse zu schließen, ja nicht einmal die
Voraussetzungen richtig zu würdigen. Denn ob eine von den Großmächten
wirklich geneigt ist, mit Preußen unter den angegebenen Bedingungen zu con-
trcchiren — und das wäre doch die Hauptsache — darüber werden die Ver¬
sasser jener Broschüren schwerlich besser unterrichtet sein als ihre Leser.

Anstatt der Krone Rath zu ertheilen, sollten wir uns zuerst fragen: was
haben wir, die Unterthanen, die Bürger zu thun, um unsre eignen Rechte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/490>, abgerufen am 22.07.2024.