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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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ungeheurer Denkstein und über diesem eine dreieckige Platte wie am Löwen¬
thor. Läßt man sich das Innere der Kuppel erleuchten, so gewahrt man
rechts vom Eingange eine kleinere Thür, welche in eine viereckige Kammer
mit gerundeter Decke führt. Letztere ist ganz in den Felsen gehauen und ent¬
hielt vermuthlich die Leiche des Königs, vielleicht auch die Gebeine seiner
Familie, wahrend der Rundbau dadurch, daß er die den Todten mit ins Grab
gegebenen Kostbarkeiten einschloß, die bei Pausanias zu lesende Bezeichnung
des Ganzen als "Schatzhaus des Atreus" gerechtfertigt haben mag. Drei
ähnliche unterirdische Bauten, eines nicht fern vom Löwenthor, ein zweites
auf der dem Wege zum Tretonpaß zugekehrten Seite des Bergzugs und ein
drittes etwas weiter östlich, sind noch nicht untersucht, und bekannt ist, daß
sich auch bei Orchomenos in Böotien em sogenannter Thesauros befindet, der
dieselbe Gewölbcconstruction zeigt und gleichfalls ein Grabmal zu sein scheint.

Argos ist eine sehr weitläufige Stadt, indem außer den wenigen Straßen,
welche den Bazar bilden, fast alle Häuser in Gärten liegen. Es ist während
des letzten Krieges gänzlich zerstört worden, scheint sich aber jetzt vollkommen
erholt zu haben. Die Burg zeigt noch einige Spuren der alten Larissa,
einzelne Mauern sind sicher so alt wie die von Mykenci, Anderes und zwar
das Meiste stammt aus dem Mittelalter, wo fränkische Ritter sich hier
festsetzten, und aus venetianischer Zeit. Interessanter ist das Theater,
welches 'im Süden der Stadt in die Bergwand eingehauen ist, die sich
hinter dem Burgberge und zu beiden Seiten desselben hinzieht. Die halb¬
mondförmigen Sitzstufen, 67 an der Zahl u.it jetzt vom Schutt gereinigt,
werden schon von weitem deutlich sichtbar. Es hat einen Durchmesser von
fast zweihundert Schritten und mag an zwanzigtausend Menschen gefaßt
haben. Auf der Orchestra fanden wir ein Tabaksfeld. Am westlichen Ende
steht ein verfallncr römischer Ziegelbau mit einer halbkreisförmigen Nische
und einigen Gewölben. Oestlich befindet sich eine ähnliche, aber kleinere
Ruine. Ueber dem Theater trifft man auf die Trümmer eines Tempels der
Aphrodite.

Wir schliefen die Nacht in einem Garten neben dem Kaffeehause, in
welchem Spiro unser Abendessen bereitet hatte. Bald nach drei Uhr weckte
uns die Peitsche des Kutschers, der uns nach Tiryns und Nauplia fahren
sollte. Indem wir über die Ebene hinkutschirien, hatten wir ein Bild des
Uebergangs der Nacht in den Tag vor uns, wie ich es so farbenprächtig nie
vorher gesehen. Zuerst ein graues Einerlei, in welchem hier und da ein
schwarzer Baumwipfel auftauchte, begann die Gegend allmälig Farbe anzu¬
nehmen, bis sie, kurz vor dem Aufgang der Sonne, mit den aus einer
Wolke getretenen goldgelb über dunkelvioletten Bergen in hellblauem Himmel
leuchtenden Vollmonde auf der einen und dem tiefen brennenden Orange-


ungeheurer Denkstein und über diesem eine dreieckige Platte wie am Löwen¬
thor. Läßt man sich das Innere der Kuppel erleuchten, so gewahrt man
rechts vom Eingange eine kleinere Thür, welche in eine viereckige Kammer
mit gerundeter Decke führt. Letztere ist ganz in den Felsen gehauen und ent¬
hielt vermuthlich die Leiche des Königs, vielleicht auch die Gebeine seiner
Familie, wahrend der Rundbau dadurch, daß er die den Todten mit ins Grab
gegebenen Kostbarkeiten einschloß, die bei Pausanias zu lesende Bezeichnung
des Ganzen als „Schatzhaus des Atreus" gerechtfertigt haben mag. Drei
ähnliche unterirdische Bauten, eines nicht fern vom Löwenthor, ein zweites
auf der dem Wege zum Tretonpaß zugekehrten Seite des Bergzugs und ein
drittes etwas weiter östlich, sind noch nicht untersucht, und bekannt ist, daß
sich auch bei Orchomenos in Böotien em sogenannter Thesauros befindet, der
dieselbe Gewölbcconstruction zeigt und gleichfalls ein Grabmal zu sein scheint.

Argos ist eine sehr weitläufige Stadt, indem außer den wenigen Straßen,
welche den Bazar bilden, fast alle Häuser in Gärten liegen. Es ist während
des letzten Krieges gänzlich zerstört worden, scheint sich aber jetzt vollkommen
erholt zu haben. Die Burg zeigt noch einige Spuren der alten Larissa,
einzelne Mauern sind sicher so alt wie die von Mykenci, Anderes und zwar
das Meiste stammt aus dem Mittelalter, wo fränkische Ritter sich hier
festsetzten, und aus venetianischer Zeit. Interessanter ist das Theater,
welches 'im Süden der Stadt in die Bergwand eingehauen ist, die sich
hinter dem Burgberge und zu beiden Seiten desselben hinzieht. Die halb¬
mondförmigen Sitzstufen, 67 an der Zahl u.it jetzt vom Schutt gereinigt,
werden schon von weitem deutlich sichtbar. Es hat einen Durchmesser von
fast zweihundert Schritten und mag an zwanzigtausend Menschen gefaßt
haben. Auf der Orchestra fanden wir ein Tabaksfeld. Am westlichen Ende
steht ein verfallncr römischer Ziegelbau mit einer halbkreisförmigen Nische
und einigen Gewölben. Oestlich befindet sich eine ähnliche, aber kleinere
Ruine. Ueber dem Theater trifft man auf die Trümmer eines Tempels der
Aphrodite.

Wir schliefen die Nacht in einem Garten neben dem Kaffeehause, in
welchem Spiro unser Abendessen bereitet hatte. Bald nach drei Uhr weckte
uns die Peitsche des Kutschers, der uns nach Tiryns und Nauplia fahren
sollte. Indem wir über die Ebene hinkutschirien, hatten wir ein Bild des
Uebergangs der Nacht in den Tag vor uns, wie ich es so farbenprächtig nie
vorher gesehen. Zuerst ein graues Einerlei, in welchem hier und da ein
schwarzer Baumwipfel auftauchte, begann die Gegend allmälig Farbe anzu¬
nehmen, bis sie, kurz vor dem Aufgang der Sonne, mit den aus einer
Wolke getretenen goldgelb über dunkelvioletten Bergen in hellblauem Himmel
leuchtenden Vollmonde auf der einen und dem tiefen brennenden Orange-


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[0482] ungeheurer Denkstein und über diesem eine dreieckige Platte wie am Löwen¬ thor. Läßt man sich das Innere der Kuppel erleuchten, so gewahrt man rechts vom Eingange eine kleinere Thür, welche in eine viereckige Kammer mit gerundeter Decke führt. Letztere ist ganz in den Felsen gehauen und ent¬ hielt vermuthlich die Leiche des Königs, vielleicht auch die Gebeine seiner Familie, wahrend der Rundbau dadurch, daß er die den Todten mit ins Grab gegebenen Kostbarkeiten einschloß, die bei Pausanias zu lesende Bezeichnung des Ganzen als „Schatzhaus des Atreus" gerechtfertigt haben mag. Drei ähnliche unterirdische Bauten, eines nicht fern vom Löwenthor, ein zweites auf der dem Wege zum Tretonpaß zugekehrten Seite des Bergzugs und ein drittes etwas weiter östlich, sind noch nicht untersucht, und bekannt ist, daß sich auch bei Orchomenos in Böotien em sogenannter Thesauros befindet, der dieselbe Gewölbcconstruction zeigt und gleichfalls ein Grabmal zu sein scheint. Argos ist eine sehr weitläufige Stadt, indem außer den wenigen Straßen, welche den Bazar bilden, fast alle Häuser in Gärten liegen. Es ist während des letzten Krieges gänzlich zerstört worden, scheint sich aber jetzt vollkommen erholt zu haben. Die Burg zeigt noch einige Spuren der alten Larissa, einzelne Mauern sind sicher so alt wie die von Mykenci, Anderes und zwar das Meiste stammt aus dem Mittelalter, wo fränkische Ritter sich hier festsetzten, und aus venetianischer Zeit. Interessanter ist das Theater, welches 'im Süden der Stadt in die Bergwand eingehauen ist, die sich hinter dem Burgberge und zu beiden Seiten desselben hinzieht. Die halb¬ mondförmigen Sitzstufen, 67 an der Zahl u.it jetzt vom Schutt gereinigt, werden schon von weitem deutlich sichtbar. Es hat einen Durchmesser von fast zweihundert Schritten und mag an zwanzigtausend Menschen gefaßt haben. Auf der Orchestra fanden wir ein Tabaksfeld. Am westlichen Ende steht ein verfallncr römischer Ziegelbau mit einer halbkreisförmigen Nische und einigen Gewölben. Oestlich befindet sich eine ähnliche, aber kleinere Ruine. Ueber dem Theater trifft man auf die Trümmer eines Tempels der Aphrodite. Wir schliefen die Nacht in einem Garten neben dem Kaffeehause, in welchem Spiro unser Abendessen bereitet hatte. Bald nach drei Uhr weckte uns die Peitsche des Kutschers, der uns nach Tiryns und Nauplia fahren sollte. Indem wir über die Ebene hinkutschirien, hatten wir ein Bild des Uebergangs der Nacht in den Tag vor uns, wie ich es so farbenprächtig nie vorher gesehen. Zuerst ein graues Einerlei, in welchem hier und da ein schwarzer Baumwipfel auftauchte, begann die Gegend allmälig Farbe anzu¬ nehmen, bis sie, kurz vor dem Aufgang der Sonne, mit den aus einer Wolke getretenen goldgelb über dunkelvioletten Bergen in hellblauem Himmel leuchtenden Vollmonde auf der einen und dem tiefen brennenden Orange-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/482>, abgerufen am 23.07.2024.