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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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mit andern Dingen, als denen zu beschäftigen, an welche diese Erinnerungen
sich unmittelbar knüpfen.

Unser Plan war, zuerst Mykenä zu besuchen, und hierauf in Argos zu
übernachten. Am nächsten Morgen sollte uns ein Wagen nach Tiryns und
Nauplia bringen, und dann dachten wir mit der Fähre über die Bucht nach
dem Dorfe Mylos zu gehen, welches an dem Sumpfe von Lemm liegt, und
wo uns die vorausgcsandten Pferde und Maulthiere zur Weiterreise nach Tri-
politza erwarten sollten. Nach diesem Plan ritten wir, während die Pack¬
thiere nach Argos weiter zogen, die steile, mit unzähligen Felsbrocken besäete
Thalwand hinan, die sich beim Dorfe Karvati östlich von der Straße erhebt.
Oben angelangt, sahen wir zunächst in eine Schlucht hinab, deren andere
Seite zu einem gewaltigen Felsberge aufstieg. Daneben im Norden bemerkten
wir einen von dem Berge durch eine Nebenschlucht geschiedenen Hügel, der,
mit Terrassen aus riesigen Quadern umgeben, etwa die Gestalt einer in meh¬
ren hohen Stufenabsätzen sich zuspitzenden Pyramide hatte. Dieser Hügel mit
seinen Terrassen und Mauern war die Burg des "goldenen Mykenä", das
Königsschloß der Atreussöhne. Indem wir näher kamen, bemerkten wir, daß
ein Theil des Baues aus unbehauenen, aber wohl ineinandergefügten Blö¬
cken, der größere Theil dagegen und namentlich die Mauer auf dem Gipfel
des Hügels aus Lagen von regelmäßig bearbeiteten Steinen besteht. Ein
breiter Weg, der Spuren von Wagenrädern erkennen läßt, sührt vor ein in
der Art ägyptischer Tcmpelportale nach oben enger werdendes Thor, neben
dem sich rechts und links Bastionen erheben. Die Pfosten des Thores bestehen
in zwei Steinpfeilern von anderthalb Mannshöhe, darüber liegt ein dritter,
der fünfzehn Fuß Länge und in der Mitte über vier Fuß Breite --Maße,
die wie der ganze Bau an ägyptische Pylonen erinnern. Auf diesem kolossalen
Thorgewände ruht das berühmte Basrelief, welches das älteste Werk der helle¬
nischen Sculptur ist: eine dreieckige Tasel von schwarzem Kalkstein, auf der
zu beiden Seiten einer Säule zwei Löwinnen sich ausbäumen. Ihre Vorder¬
tatzen ruhen auf der Säule. Ihre Köpfe sind abgeschlagen. Gegen Norden
hin befindet sich ein ähnliches kleineres Thor. Im Innern der Burg steigt
das Terrain noch immer, so daß dieselbe in eine untere und eine obere Hälfte
zerfällt. Ans dem abgeplatteten Gipfel trifft man Spuren von Cisternen.
Thürme scheint die Burg nicht gehabt zu haben. Das Wohnhaus der Kö¬
nige, welches ich mir wie den stumpfen, nach oben pyramidalisch sich verjün¬
genden Thurm von Medinet Halm vorstelle, in dem der "reiche Rhcunpsinit"
Herodots wohnte,' ist in den Trümmern nicht zu finden. Ebenso wenig läßt
sich genau bestimmen, wo die Stadt gelegen bat. Die Seiten und der Bo¬
den der Schlucht, in welche die Burg Hinabsicht, waren bei unserer Anwesen¬
heit mit Getreide bestellt.


mit andern Dingen, als denen zu beschäftigen, an welche diese Erinnerungen
sich unmittelbar knüpfen.

Unser Plan war, zuerst Mykenä zu besuchen, und hierauf in Argos zu
übernachten. Am nächsten Morgen sollte uns ein Wagen nach Tiryns und
Nauplia bringen, und dann dachten wir mit der Fähre über die Bucht nach
dem Dorfe Mylos zu gehen, welches an dem Sumpfe von Lemm liegt, und
wo uns die vorausgcsandten Pferde und Maulthiere zur Weiterreise nach Tri-
politza erwarten sollten. Nach diesem Plan ritten wir, während die Pack¬
thiere nach Argos weiter zogen, die steile, mit unzähligen Felsbrocken besäete
Thalwand hinan, die sich beim Dorfe Karvati östlich von der Straße erhebt.
Oben angelangt, sahen wir zunächst in eine Schlucht hinab, deren andere
Seite zu einem gewaltigen Felsberge aufstieg. Daneben im Norden bemerkten
wir einen von dem Berge durch eine Nebenschlucht geschiedenen Hügel, der,
mit Terrassen aus riesigen Quadern umgeben, etwa die Gestalt einer in meh¬
ren hohen Stufenabsätzen sich zuspitzenden Pyramide hatte. Dieser Hügel mit
seinen Terrassen und Mauern war die Burg des „goldenen Mykenä", das
Königsschloß der Atreussöhne. Indem wir näher kamen, bemerkten wir, daß
ein Theil des Baues aus unbehauenen, aber wohl ineinandergefügten Blö¬
cken, der größere Theil dagegen und namentlich die Mauer auf dem Gipfel
des Hügels aus Lagen von regelmäßig bearbeiteten Steinen besteht. Ein
breiter Weg, der Spuren von Wagenrädern erkennen läßt, sührt vor ein in
der Art ägyptischer Tcmpelportale nach oben enger werdendes Thor, neben
dem sich rechts und links Bastionen erheben. Die Pfosten des Thores bestehen
in zwei Steinpfeilern von anderthalb Mannshöhe, darüber liegt ein dritter,
der fünfzehn Fuß Länge und in der Mitte über vier Fuß Breite —Maße,
die wie der ganze Bau an ägyptische Pylonen erinnern. Auf diesem kolossalen
Thorgewände ruht das berühmte Basrelief, welches das älteste Werk der helle¬
nischen Sculptur ist: eine dreieckige Tasel von schwarzem Kalkstein, auf der
zu beiden Seiten einer Säule zwei Löwinnen sich ausbäumen. Ihre Vorder¬
tatzen ruhen auf der Säule. Ihre Köpfe sind abgeschlagen. Gegen Norden
hin befindet sich ein ähnliches kleineres Thor. Im Innern der Burg steigt
das Terrain noch immer, so daß dieselbe in eine untere und eine obere Hälfte
zerfällt. Ans dem abgeplatteten Gipfel trifft man Spuren von Cisternen.
Thürme scheint die Burg nicht gehabt zu haben. Das Wohnhaus der Kö¬
nige, welches ich mir wie den stumpfen, nach oben pyramidalisch sich verjün¬
genden Thurm von Medinet Halm vorstelle, in dem der „reiche Rhcunpsinit"
Herodots wohnte,' ist in den Trümmern nicht zu finden. Ebenso wenig läßt
sich genau bestimmen, wo die Stadt gelegen bat. Die Seiten und der Bo¬
den der Schlucht, in welche die Burg Hinabsicht, waren bei unserer Anwesen¬
heit mit Getreide bestellt.


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[0480] mit andern Dingen, als denen zu beschäftigen, an welche diese Erinnerungen sich unmittelbar knüpfen. Unser Plan war, zuerst Mykenä zu besuchen, und hierauf in Argos zu übernachten. Am nächsten Morgen sollte uns ein Wagen nach Tiryns und Nauplia bringen, und dann dachten wir mit der Fähre über die Bucht nach dem Dorfe Mylos zu gehen, welches an dem Sumpfe von Lemm liegt, und wo uns die vorausgcsandten Pferde und Maulthiere zur Weiterreise nach Tri- politza erwarten sollten. Nach diesem Plan ritten wir, während die Pack¬ thiere nach Argos weiter zogen, die steile, mit unzähligen Felsbrocken besäete Thalwand hinan, die sich beim Dorfe Karvati östlich von der Straße erhebt. Oben angelangt, sahen wir zunächst in eine Schlucht hinab, deren andere Seite zu einem gewaltigen Felsberge aufstieg. Daneben im Norden bemerkten wir einen von dem Berge durch eine Nebenschlucht geschiedenen Hügel, der, mit Terrassen aus riesigen Quadern umgeben, etwa die Gestalt einer in meh¬ ren hohen Stufenabsätzen sich zuspitzenden Pyramide hatte. Dieser Hügel mit seinen Terrassen und Mauern war die Burg des „goldenen Mykenä", das Königsschloß der Atreussöhne. Indem wir näher kamen, bemerkten wir, daß ein Theil des Baues aus unbehauenen, aber wohl ineinandergefügten Blö¬ cken, der größere Theil dagegen und namentlich die Mauer auf dem Gipfel des Hügels aus Lagen von regelmäßig bearbeiteten Steinen besteht. Ein breiter Weg, der Spuren von Wagenrädern erkennen läßt, sührt vor ein in der Art ägyptischer Tcmpelportale nach oben enger werdendes Thor, neben dem sich rechts und links Bastionen erheben. Die Pfosten des Thores bestehen in zwei Steinpfeilern von anderthalb Mannshöhe, darüber liegt ein dritter, der fünfzehn Fuß Länge und in der Mitte über vier Fuß Breite —Maße, die wie der ganze Bau an ägyptische Pylonen erinnern. Auf diesem kolossalen Thorgewände ruht das berühmte Basrelief, welches das älteste Werk der helle¬ nischen Sculptur ist: eine dreieckige Tasel von schwarzem Kalkstein, auf der zu beiden Seiten einer Säule zwei Löwinnen sich ausbäumen. Ihre Vorder¬ tatzen ruhen auf der Säule. Ihre Köpfe sind abgeschlagen. Gegen Norden hin befindet sich ein ähnliches kleineres Thor. Im Innern der Burg steigt das Terrain noch immer, so daß dieselbe in eine untere und eine obere Hälfte zerfällt. Ans dem abgeplatteten Gipfel trifft man Spuren von Cisternen. Thürme scheint die Burg nicht gehabt zu haben. Das Wohnhaus der Kö¬ nige, welches ich mir wie den stumpfen, nach oben pyramidalisch sich verjün¬ genden Thurm von Medinet Halm vorstelle, in dem der „reiche Rhcunpsinit" Herodots wohnte,' ist in den Trümmern nicht zu finden. Ebenso wenig läßt sich genau bestimmen, wo die Stadt gelegen bat. Die Seiten und der Bo¬ den der Schlucht, in welche die Burg Hinabsicht, waren bei unserer Anwesen¬ heit mit Getreide bestellt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/480>, abgerufen am 23.07.2024.