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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Arena geführt und die berühmtesten Ringkämpfer aller benachbarten Ort¬
schaften treten vor, um sich diesen köstlichen Preis streitig zu machen. Das
Orchester beginnt zum Tanz auszuspielen. Vater K6ry erzählt seine alten
Geschichten. In einem verborgenen Winkel sitzt Lolza, die Bettlerin von
Se. Vlöry, ein Weib, das "klüger ist, als mancher Pfarrer". Für wenige
Sous lüftet sie den Schleier der Zukunft, deutet Träume und gibt Kunde: "ob
der Entfernte treu ist", oder "ob der Sohn, der Gatte, der Bruder von der
Seereise glücklich heimkehren werden."

Der Tag vergeht; die entfernter wohnenden Gemeinden rüsten sich zum
Aufbruch, und auch die Zurückbleibenden werden nach und nach des Lärmens
und Treibens müde. Jetzt ist die Stunde des Sängers gekommen. Vater
K6ry hat sich auf eines der Fäßchen gesetzt, die neben dem Feuer der alten
Linaik liegen, hat die dreisaitige Redet gestimmt, und kaum hat ihr sein Bo¬
gen die ersten zitternden Töne entlockt, so ist er schon von einem dichten Zu-
hörerkreise umgeben. -- "Nun, meine Kinder, was soll ich singen?" fragt der
Alte, der mit leuchtenden Augen umherschaut. -- Genoftfa von Rust6san!
ruft ein junges Mädchen.

"Traurig ist Az6norik die Bleiche" stimmt eine andere an. Der kleine
Schneider verlangt die grausige Geschichte von der "Braut in der Hölle"
zu hören; ein paar andere Burschen stimmen sür die Belagerung von Gwen-
gamp oder den Carneval von Rospodrcn,

Vater K6rys Rebe? ist jedoch ein eigensinniges Ding; anfangs läßt
sie nur eine Menge verwirrter Töne hören, und als sie endlich einen ordent¬
lichen Gesang beginnt, ists keine der verlangten Melodien. Aber eine bekannte
Weise ists, die jeder schon gesungen oder doch gehört hat -- das National¬
lied der Bretagner nämlich und auf die erste Strophe, die Vater K6ry
singt:


Der Herr Lorgnez und der Herr Lez-Brc'ez,*)
Zum blutigen Kampfe rüsten sie sich.

antwortet ein hundertstimmiger Chor:


Mag Gott dem Bretagner Sieg verleibn
Und gute Kunde dem ganzen Land!

Dann ist aber alles.wieder still und lauscht auf die Schilderung: wie sich Lez-
Vretz zum Kampfe rüstet; wie er den jungen Schildknappen ermahnt, um seiner
Mutter willen zurückzubleiben, wie dieser aber keck erwiedert:



") Dies Lied, das aus dem XIII. oder XIV. Jahrh, stammen mag, feiert immer den
populärsten bretagnischen Helden. Sein Name, so wie der seines Widersachers sind allegorisch.
Lez-Brei'z bedeutet: Stütze die Bretagne, Lorgnez heißt Aussatz. Das Original ist in de la
Villemarquss verdienstvoller Sammlung: LÄr^^s-lZrsi'" enthalten.

Arena geführt und die berühmtesten Ringkämpfer aller benachbarten Ort¬
schaften treten vor, um sich diesen köstlichen Preis streitig zu machen. Das
Orchester beginnt zum Tanz auszuspielen. Vater K6ry erzählt seine alten
Geschichten. In einem verborgenen Winkel sitzt Lolza, die Bettlerin von
Se. Vlöry, ein Weib, das „klüger ist, als mancher Pfarrer". Für wenige
Sous lüftet sie den Schleier der Zukunft, deutet Träume und gibt Kunde: „ob
der Entfernte treu ist", oder „ob der Sohn, der Gatte, der Bruder von der
Seereise glücklich heimkehren werden."

Der Tag vergeht; die entfernter wohnenden Gemeinden rüsten sich zum
Aufbruch, und auch die Zurückbleibenden werden nach und nach des Lärmens
und Treibens müde. Jetzt ist die Stunde des Sängers gekommen. Vater
K6ry hat sich auf eines der Fäßchen gesetzt, die neben dem Feuer der alten
Linaik liegen, hat die dreisaitige Redet gestimmt, und kaum hat ihr sein Bo¬
gen die ersten zitternden Töne entlockt, so ist er schon von einem dichten Zu-
hörerkreise umgeben. — „Nun, meine Kinder, was soll ich singen?" fragt der
Alte, der mit leuchtenden Augen umherschaut. — Genoftfa von Rust6san!
ruft ein junges Mädchen.

„Traurig ist Az6norik die Bleiche" stimmt eine andere an. Der kleine
Schneider verlangt die grausige Geschichte von der „Braut in der Hölle"
zu hören; ein paar andere Burschen stimmen sür die Belagerung von Gwen-
gamp oder den Carneval von Rospodrcn,

Vater K6rys Rebe? ist jedoch ein eigensinniges Ding; anfangs läßt
sie nur eine Menge verwirrter Töne hören, und als sie endlich einen ordent¬
lichen Gesang beginnt, ists keine der verlangten Melodien. Aber eine bekannte
Weise ists, die jeder schon gesungen oder doch gehört hat — das National¬
lied der Bretagner nämlich und auf die erste Strophe, die Vater K6ry
singt:


Der Herr Lorgnez und der Herr Lez-Brc'ez,*)
Zum blutigen Kampfe rüsten sie sich.

antwortet ein hundertstimmiger Chor:


Mag Gott dem Bretagner Sieg verleibn
Und gute Kunde dem ganzen Land!

Dann ist aber alles.wieder still und lauscht auf die Schilderung: wie sich Lez-
Vretz zum Kampfe rüstet; wie er den jungen Schildknappen ermahnt, um seiner
Mutter willen zurückzubleiben, wie dieser aber keck erwiedert:



") Dies Lied, das aus dem XIII. oder XIV. Jahrh, stammen mag, feiert immer den
populärsten bretagnischen Helden. Sein Name, so wie der seines Widersachers sind allegorisch.
Lez-Brei'z bedeutet: Stütze die Bretagne, Lorgnez heißt Aussatz. Das Original ist in de la
Villemarquss verdienstvoller Sammlung: LÄr^^s-lZrsi'« enthalten.
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[0469] Arena geführt und die berühmtesten Ringkämpfer aller benachbarten Ort¬ schaften treten vor, um sich diesen köstlichen Preis streitig zu machen. Das Orchester beginnt zum Tanz auszuspielen. Vater K6ry erzählt seine alten Geschichten. In einem verborgenen Winkel sitzt Lolza, die Bettlerin von Se. Vlöry, ein Weib, das „klüger ist, als mancher Pfarrer". Für wenige Sous lüftet sie den Schleier der Zukunft, deutet Träume und gibt Kunde: „ob der Entfernte treu ist", oder „ob der Sohn, der Gatte, der Bruder von der Seereise glücklich heimkehren werden." Der Tag vergeht; die entfernter wohnenden Gemeinden rüsten sich zum Aufbruch, und auch die Zurückbleibenden werden nach und nach des Lärmens und Treibens müde. Jetzt ist die Stunde des Sängers gekommen. Vater K6ry hat sich auf eines der Fäßchen gesetzt, die neben dem Feuer der alten Linaik liegen, hat die dreisaitige Redet gestimmt, und kaum hat ihr sein Bo¬ gen die ersten zitternden Töne entlockt, so ist er schon von einem dichten Zu- hörerkreise umgeben. — „Nun, meine Kinder, was soll ich singen?" fragt der Alte, der mit leuchtenden Augen umherschaut. — Genoftfa von Rust6san! ruft ein junges Mädchen. „Traurig ist Az6norik die Bleiche" stimmt eine andere an. Der kleine Schneider verlangt die grausige Geschichte von der „Braut in der Hölle" zu hören; ein paar andere Burschen stimmen sür die Belagerung von Gwen- gamp oder den Carneval von Rospodrcn, Vater K6rys Rebe? ist jedoch ein eigensinniges Ding; anfangs läßt sie nur eine Menge verwirrter Töne hören, und als sie endlich einen ordent¬ lichen Gesang beginnt, ists keine der verlangten Melodien. Aber eine bekannte Weise ists, die jeder schon gesungen oder doch gehört hat — das National¬ lied der Bretagner nämlich und auf die erste Strophe, die Vater K6ry singt: Der Herr Lorgnez und der Herr Lez-Brc'ez,*) Zum blutigen Kampfe rüsten sie sich. antwortet ein hundertstimmiger Chor: Mag Gott dem Bretagner Sieg verleibn Und gute Kunde dem ganzen Land! Dann ist aber alles.wieder still und lauscht auf die Schilderung: wie sich Lez- Vretz zum Kampfe rüstet; wie er den jungen Schildknappen ermahnt, um seiner Mutter willen zurückzubleiben, wie dieser aber keck erwiedert: ") Dies Lied, das aus dem XIII. oder XIV. Jahrh, stammen mag, feiert immer den populärsten bretagnischen Helden. Sein Name, so wie der seines Widersachers sind allegorisch. Lez-Brei'z bedeutet: Stütze die Bretagne, Lorgnez heißt Aussatz. Das Original ist in de la Villemarquss verdienstvoller Sammlung: LÄr^^s-lZrsi'« enthalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/469>, abgerufen am 23.07.2024.