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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Menge, die diesen umringt, zu seinen Schätzen herüberzulocken. Hier sind
Mittel gegen jedes Uebel, von dem ein Christ jemals gehört hat: Mittel gegen
Fieber und Gicht, gegen Zahnschmerz und Leberleiden, gegen bleiche Wangen
und trübe Augen,- gegen Alpdruck und böse Träume, aber auch Mittel gegen
die Untreue des Geliebten und die Klatscherei der Nebenbuhlerinnen.

-- "Benutze die Gelegenheit! kauft ein, kauft ein!" schreit der Wunder-
doctor und schüttelt die Allongenperücke, daß der Puder in Wolken umher¬
stäubt. "50 Centimes, Ihr Männer, und Ihr seid alle Krankheiten
los; 50 Centimes, Ihr guten Frauen -- und Euern Kindern thut nie ein
Finger weh."

-- "Echte baumwollne Foulards!" schreit der Krämer dazwischen und läßt
seine bunten Tücher im Winde flattern; aber der Doctor erhebt ein Glas mit
grünlich schillerndem Inhalt.

-- "Zerriebene Drachenaugen, 50 Centimes die Dosis, schützen vor jedem
Zauber!" Dem Köder vermögen nur wenige zu widerstehen; in kurzer Zeit ist
das Glas geleert, und der Krämer ist eben bemüht den "Marktschreier", den
"Spitzbuben" in den tiefsten Abgrund der Hölle zu verwünschen, als das
Schicksal einen Rächer sendet.

Es ist nur ein kleiner verwachsener Mensch, der seinen Kram in einem
an breitem Lederriemen befestigten Kasten trägt, aber sobald er sein eintöniges:
"Notre-Dame de Faouöt!" erschallen läßt, drängt sich alles um ihn her.
Schon durch seine Mißgestalt gehört der Kleine zu den Lieblingen Gottes;
außerdem ist es aber bekannt, daß er fastet und sich lasten wie ein Mönch,
und daß er jährlich zweimal nach Faouöt wallfahrtet, wo die Rosenkränze,
Heiligenbilder, Kreuze und Herzchen, die er verkauft, gesegnet werden. Vor
diesen Reliquien müssen Drachenaugen, Entenfett und wie die wunderbaren
Urnana des Doctors im rothen Rocke sonst noch heißen mögen, die Segel
streichen, und der Kaufmann aus der Normandiefühlt sich getröstet, denn "ge¬
theilter Schmerz ist halber Schmerz."

Inzwischen wird auch für die Anforderungen des Magens gesorgt. Der
Wirth von Alloadek schenkt Cider und Branntwein aus; die Mutter Linaik
kocht ungeheure Kessel voll Buchweizenbrei und Specksuppe, ihre Töchter ba¬
cken unaufhörlich Krampouez, die mit frischer Butter bestrichen und so warm
als möglich verspeist werden; Tische voll Kuchen und Obst, Wurstbuden und
Fischtonnen reizen den Appetit, und mit doppeltem Eiser wendet sich der Ge¬
sättigte den Freuden des Tages zu.

Hier ist ein Roulett etablirt, wo Pfeifen, Bänder, Messer, Stahlketten
und die beliebten Silberkreuze an schwarzem Sammetbande, der unentbehrliche
Halsschmuck bretagnischer Schönen, zu gewinnen sind. Dort wird ein be¬
bändertes Schaf -- die Festgabe der reichen Bauern von Alloadek -- in die


Menge, die diesen umringt, zu seinen Schätzen herüberzulocken. Hier sind
Mittel gegen jedes Uebel, von dem ein Christ jemals gehört hat: Mittel gegen
Fieber und Gicht, gegen Zahnschmerz und Leberleiden, gegen bleiche Wangen
und trübe Augen,- gegen Alpdruck und böse Träume, aber auch Mittel gegen
die Untreue des Geliebten und die Klatscherei der Nebenbuhlerinnen.

— „Benutze die Gelegenheit! kauft ein, kauft ein!" schreit der Wunder-
doctor und schüttelt die Allongenperücke, daß der Puder in Wolken umher¬
stäubt. „50 Centimes, Ihr Männer, und Ihr seid alle Krankheiten
los; 50 Centimes, Ihr guten Frauen — und Euern Kindern thut nie ein
Finger weh."

— „Echte baumwollne Foulards!" schreit der Krämer dazwischen und läßt
seine bunten Tücher im Winde flattern; aber der Doctor erhebt ein Glas mit
grünlich schillerndem Inhalt.

— „Zerriebene Drachenaugen, 50 Centimes die Dosis, schützen vor jedem
Zauber!" Dem Köder vermögen nur wenige zu widerstehen; in kurzer Zeit ist
das Glas geleert, und der Krämer ist eben bemüht den „Marktschreier", den
„Spitzbuben" in den tiefsten Abgrund der Hölle zu verwünschen, als das
Schicksal einen Rächer sendet.

Es ist nur ein kleiner verwachsener Mensch, der seinen Kram in einem
an breitem Lederriemen befestigten Kasten trägt, aber sobald er sein eintöniges:
„Notre-Dame de Faouöt!" erschallen läßt, drängt sich alles um ihn her.
Schon durch seine Mißgestalt gehört der Kleine zu den Lieblingen Gottes;
außerdem ist es aber bekannt, daß er fastet und sich lasten wie ein Mönch,
und daß er jährlich zweimal nach Faouöt wallfahrtet, wo die Rosenkränze,
Heiligenbilder, Kreuze und Herzchen, die er verkauft, gesegnet werden. Vor
diesen Reliquien müssen Drachenaugen, Entenfett und wie die wunderbaren
Urnana des Doctors im rothen Rocke sonst noch heißen mögen, die Segel
streichen, und der Kaufmann aus der Normandiefühlt sich getröstet, denn „ge¬
theilter Schmerz ist halber Schmerz."

Inzwischen wird auch für die Anforderungen des Magens gesorgt. Der
Wirth von Alloadek schenkt Cider und Branntwein aus; die Mutter Linaik
kocht ungeheure Kessel voll Buchweizenbrei und Specksuppe, ihre Töchter ba¬
cken unaufhörlich Krampouez, die mit frischer Butter bestrichen und so warm
als möglich verspeist werden; Tische voll Kuchen und Obst, Wurstbuden und
Fischtonnen reizen den Appetit, und mit doppeltem Eiser wendet sich der Ge¬
sättigte den Freuden des Tages zu.

Hier ist ein Roulett etablirt, wo Pfeifen, Bänder, Messer, Stahlketten
und die beliebten Silberkreuze an schwarzem Sammetbande, der unentbehrliche
Halsschmuck bretagnischer Schönen, zu gewinnen sind. Dort wird ein be¬
bändertes Schaf — die Festgabe der reichen Bauern von Alloadek — in die


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[0468] Menge, die diesen umringt, zu seinen Schätzen herüberzulocken. Hier sind Mittel gegen jedes Uebel, von dem ein Christ jemals gehört hat: Mittel gegen Fieber und Gicht, gegen Zahnschmerz und Leberleiden, gegen bleiche Wangen und trübe Augen,- gegen Alpdruck und böse Träume, aber auch Mittel gegen die Untreue des Geliebten und die Klatscherei der Nebenbuhlerinnen. — „Benutze die Gelegenheit! kauft ein, kauft ein!" schreit der Wunder- doctor und schüttelt die Allongenperücke, daß der Puder in Wolken umher¬ stäubt. „50 Centimes, Ihr Männer, und Ihr seid alle Krankheiten los; 50 Centimes, Ihr guten Frauen — und Euern Kindern thut nie ein Finger weh." — „Echte baumwollne Foulards!" schreit der Krämer dazwischen und läßt seine bunten Tücher im Winde flattern; aber der Doctor erhebt ein Glas mit grünlich schillerndem Inhalt. — „Zerriebene Drachenaugen, 50 Centimes die Dosis, schützen vor jedem Zauber!" Dem Köder vermögen nur wenige zu widerstehen; in kurzer Zeit ist das Glas geleert, und der Krämer ist eben bemüht den „Marktschreier", den „Spitzbuben" in den tiefsten Abgrund der Hölle zu verwünschen, als das Schicksal einen Rächer sendet. Es ist nur ein kleiner verwachsener Mensch, der seinen Kram in einem an breitem Lederriemen befestigten Kasten trägt, aber sobald er sein eintöniges: „Notre-Dame de Faouöt!" erschallen läßt, drängt sich alles um ihn her. Schon durch seine Mißgestalt gehört der Kleine zu den Lieblingen Gottes; außerdem ist es aber bekannt, daß er fastet und sich lasten wie ein Mönch, und daß er jährlich zweimal nach Faouöt wallfahrtet, wo die Rosenkränze, Heiligenbilder, Kreuze und Herzchen, die er verkauft, gesegnet werden. Vor diesen Reliquien müssen Drachenaugen, Entenfett und wie die wunderbaren Urnana des Doctors im rothen Rocke sonst noch heißen mögen, die Segel streichen, und der Kaufmann aus der Normandiefühlt sich getröstet, denn „ge¬ theilter Schmerz ist halber Schmerz." Inzwischen wird auch für die Anforderungen des Magens gesorgt. Der Wirth von Alloadek schenkt Cider und Branntwein aus; die Mutter Linaik kocht ungeheure Kessel voll Buchweizenbrei und Specksuppe, ihre Töchter ba¬ cken unaufhörlich Krampouez, die mit frischer Butter bestrichen und so warm als möglich verspeist werden; Tische voll Kuchen und Obst, Wurstbuden und Fischtonnen reizen den Appetit, und mit doppeltem Eiser wendet sich der Ge¬ sättigte den Freuden des Tages zu. Hier ist ein Roulett etablirt, wo Pfeifen, Bänder, Messer, Stahlketten und die beliebten Silberkreuze an schwarzem Sammetbande, der unentbehrliche Halsschmuck bretagnischer Schönen, zu gewinnen sind. Dort wird ein be¬ bändertes Schaf — die Festgabe der reichen Bauern von Alloadek — in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/468>, abgerufen am 23.07.2024.