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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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wird den Sterbenden in ihrer letzten schweren Stunde beistehen und die Män¬
ner, die draußen auf dem Meere sind, vor Schaden behüten.

Die Menge zerstreut sich; die Feier des Tages ist zu Ende; aber die
Stimmung der Meisten ist zu ernst, als daß sie sich den Alltäglichkeiten des
Lebens zuwenden könnten. In der Kirche, an Gräbern und Stationsaltären,
um die Heiligenbilder in den Häusern sieht man Gruppen von Betenden ge¬
schart; wenn die Männer auch hier und da wieder anfangen von Geschäften,
Streitigkeiten oder Ernteaussichten zu reden, geschieht es leise, gleichsam ver¬
stohlen -- der Tag gehört Se. Anne, und bis das letzte Feuer auf den Ber¬
gen verglommen ist, tönen die Gesänge, die ihr zu Ehren von Chören jun¬
ger Burschen und Mädchen gesungen werden, durch die stille Nacht.

Der dritte Tag dagegen gehört ganz der weltlichen Lust. Am frühen
Morgen schon beginnt ein munteres Jahrmarktstreiben: Putz und Kochgeschirr,
Eßwaaren und Rosenkränze, Hausrath und Sämereien, alles ist auf dem Anger
zu haben.

Da ist ein Wagen voll bunter Tücher, Schürzen, Westenzeuge und
anderer Herrlichkeiten. Der Verkäufer steht auf der Deichsel und hält ein Tuch
in die Hohe. -- "Echte baumwollue Foulards, meine lieben Nachbarn und
Freunde!" ruft er mit Stentorstimme und sein Accent verräth, daß er ein
Handelsmann aus. der Normandie ist; "die prächtigsten Farben, die neuesten
Muster und alles spottbillig. 36 Sous das Stück, halb geschenkt, meine
Freunde!" Dabei schwenkt er das Tuch um den Kopf, daß die rollier und
gelben Blumen weit hinaus leuchten. "Niemand bietet?" fährt er nach einer
Pause fort; "wollt Ihr denn, daß ich mich ganz zu Grunde richte? Allons,
schöne junge Frau, nehmt das. Tuch; das erste Geld aus Eurer Hand wird
mir Glück bringen. Ihr wollt nicht? 35 Sous denn, meine Schöne; 34 bis
32 Sous . . ."

-- 30 Sous!" ruft eine schüchterne Stimme aus dem Gedränge, aber
das scharfe Auge des Kaufmanns hat die Bietende entdeckt; er ballt das Tuch
zu einem Knäuel zusammen und wirft es ihr zu, und während sein Ge¬
hilfe, ein geschmeidiger Bursche von 18--20 Jahren durch die Menge schlüpft
um das Geld einzukassiren, hat der Mann auf der Deichsel bereits wieder
einen andern Gegenstand ergriffen, den er mit demselben Aufwande von Be¬
redsamkeit seilbietet. Es scheint auch, als wäre ihm das erste Geld aus
glückbringender Hand zugekommen, denn immer schneller folgen die Gebote,
immer häufiger schleudert er seine Waare hierhin und dorthin, und kaum ver¬
mag der Gehilfe den Anforderungen seines Amtes zu genügen.

Nach einer Weile stellt sich jedoch ein gefährlicher Nebenbuhler ein; der
Wunderdoctor ists, der erst unter Pauken- und Trompetenschall rund um den
Anger fährt, dann in der Nähe des Krämers stillhält und sich bemüht, die


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wird den Sterbenden in ihrer letzten schweren Stunde beistehen und die Män¬
ner, die draußen auf dem Meere sind, vor Schaden behüten.

Die Menge zerstreut sich; die Feier des Tages ist zu Ende; aber die
Stimmung der Meisten ist zu ernst, als daß sie sich den Alltäglichkeiten des
Lebens zuwenden könnten. In der Kirche, an Gräbern und Stationsaltären,
um die Heiligenbilder in den Häusern sieht man Gruppen von Betenden ge¬
schart; wenn die Männer auch hier und da wieder anfangen von Geschäften,
Streitigkeiten oder Ernteaussichten zu reden, geschieht es leise, gleichsam ver¬
stohlen — der Tag gehört Se. Anne, und bis das letzte Feuer auf den Ber¬
gen verglommen ist, tönen die Gesänge, die ihr zu Ehren von Chören jun¬
ger Burschen und Mädchen gesungen werden, durch die stille Nacht.

Der dritte Tag dagegen gehört ganz der weltlichen Lust. Am frühen
Morgen schon beginnt ein munteres Jahrmarktstreiben: Putz und Kochgeschirr,
Eßwaaren und Rosenkränze, Hausrath und Sämereien, alles ist auf dem Anger
zu haben.

Da ist ein Wagen voll bunter Tücher, Schürzen, Westenzeuge und
anderer Herrlichkeiten. Der Verkäufer steht auf der Deichsel und hält ein Tuch
in die Hohe. — „Echte baumwollue Foulards, meine lieben Nachbarn und
Freunde!" ruft er mit Stentorstimme und sein Accent verräth, daß er ein
Handelsmann aus. der Normandie ist; „die prächtigsten Farben, die neuesten
Muster und alles spottbillig. 36 Sous das Stück, halb geschenkt, meine
Freunde!" Dabei schwenkt er das Tuch um den Kopf, daß die rollier und
gelben Blumen weit hinaus leuchten. „Niemand bietet?" fährt er nach einer
Pause fort; „wollt Ihr denn, daß ich mich ganz zu Grunde richte? Allons,
schöne junge Frau, nehmt das. Tuch; das erste Geld aus Eurer Hand wird
mir Glück bringen. Ihr wollt nicht? 35 Sous denn, meine Schöne; 34 bis
32 Sous . . ."

— 30 Sous!" ruft eine schüchterne Stimme aus dem Gedränge, aber
das scharfe Auge des Kaufmanns hat die Bietende entdeckt; er ballt das Tuch
zu einem Knäuel zusammen und wirft es ihr zu, und während sein Ge¬
hilfe, ein geschmeidiger Bursche von 18—20 Jahren durch die Menge schlüpft
um das Geld einzukassiren, hat der Mann auf der Deichsel bereits wieder
einen andern Gegenstand ergriffen, den er mit demselben Aufwande von Be¬
redsamkeit seilbietet. Es scheint auch, als wäre ihm das erste Geld aus
glückbringender Hand zugekommen, denn immer schneller folgen die Gebote,
immer häufiger schleudert er seine Waare hierhin und dorthin, und kaum ver¬
mag der Gehilfe den Anforderungen seines Amtes zu genügen.

Nach einer Weile stellt sich jedoch ein gefährlicher Nebenbuhler ein; der
Wunderdoctor ists, der erst unter Pauken- und Trompetenschall rund um den
Anger fährt, dann in der Nähe des Krämers stillhält und sich bemüht, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/467>, abgerufen am 23.07.2024.