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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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harte und einem Tambourin besteht, zum Tanze einladet; wo Bänke für die
Alten bereit stehen, und wo sichs beim Ciderkrug und der Tabakspfeife gar
behaglich schwatzen läßt.

Das wahre Fest beginnt indessen erst am folgenden Morgen. Glocken¬
geläut begrüßt den schönen Tag; die Einwohner von Alloadek eilen zur Früh¬
mette in die Kirche, und kaum ist drinnen der^ letzte Orgelton verhallt, so lassen
sich von fern die Gesänge der Wallfahrer hören.

Von allen Seiten strömen die Pilger herbei; über die Haide, durch den
Wald, vom Strande herauf kommen sie in langen Scharen gezogen. Voran
geht der Geistliche jeder Gemeinde, von Chorknaben begleitet, die Weihrauch¬
becken und Crucifix tragen; die buntseidnen Kirchenfahnen flattern im Mor¬
genwinde, die bunten Gewänder der Wallfahrer schimmern im Sonnenschein,
die Augen leuchten in Hoffnung und Freude -- Se. Anne schenkt auch dem
Aermsten, Traurigsten ein paar gute Stunden.

Sobald die Wallfahrer den Kirchthurm von Alloadek erblicken, machen
sie Halt; die Männer entblößen das Haupt, alles kniet nieder und spricht ein
Gebet, dann geht es singend dem Ziel entgegen. Inzwischen hat aber
auch der Wächter auf dem Thurme die Kommenden gesehen; er gibt ein Zei¬
chen, die Glocken läuten zum Willkommen und der Geistliche von Alloadek
zieht den Pilgern an der Spitze der Chorknaben und Schulkinder entgegen,
denen sich der größte Theil der Gemeinde aus freien Stücken anschließt.

Stunden vergehen, bis die Empfangsfeierlichkeiten vorüber sind. Den
Zuletztkommenden bleibt kaum Zeit, sich vor der Messe durch ein Frühstück zu
stärken. Aber selbst Hunger und Ermüdung vermögen nicht die Andacht zu
stören; denn in der Bretagne wohnt noch ein glaubensstarkes Geschlecht, das
sich aus Leiden und Entbehrungen eine Staffel in den Himmel baut.

Nach der großen Messe, die von der gesammten anwesenden Geistlichkeit
aufs feierlichste begangen wird, treten ein paar Stunden der Ruhe ein,
der äußern Ruhe wenigstens, denn die Herzen schlagen erwartungsvoll, halb
freudig, halb zaghaft der Procession, dem wichtigsten Acte des Festes ent¬
gegen. Zur Vesper strömt alles wieder in die Kirche, aber das Gotteshaus
vermag die Schar der Andächtigen nicht zu fassen. Im Mittelwege des
Kirchhofes und zwischen den Gräbern knien sie nieder; aus der weit geöff¬
neten Kirchenthür ziehen die Weihrauchdüfte über ihre Häupter, sie hören den
Gesang des Priesters, das Glöckchen des Ministranten, und wenn sie von
Schuld oder Schmerz gebeugt, die heiße Stirn zu Boden senken, trocknet ihnen
der Wind, der über die Gräser des Todtenfeldes streicht, die Thränen von
den Wangen --es ist Se. Armes Hauch, der Trost und Ermuthigung bringt.

Sobald die Vesper zu Ende ist. verkündigt das Geläute der Kirchenglocken
den Beginn des Nundgcmgs. Die Orgel rauscht, die Geistlichen stimmen das


harte und einem Tambourin besteht, zum Tanze einladet; wo Bänke für die
Alten bereit stehen, und wo sichs beim Ciderkrug und der Tabakspfeife gar
behaglich schwatzen läßt.

Das wahre Fest beginnt indessen erst am folgenden Morgen. Glocken¬
geläut begrüßt den schönen Tag; die Einwohner von Alloadek eilen zur Früh¬
mette in die Kirche, und kaum ist drinnen der^ letzte Orgelton verhallt, so lassen
sich von fern die Gesänge der Wallfahrer hören.

Von allen Seiten strömen die Pilger herbei; über die Haide, durch den
Wald, vom Strande herauf kommen sie in langen Scharen gezogen. Voran
geht der Geistliche jeder Gemeinde, von Chorknaben begleitet, die Weihrauch¬
becken und Crucifix tragen; die buntseidnen Kirchenfahnen flattern im Mor¬
genwinde, die bunten Gewänder der Wallfahrer schimmern im Sonnenschein,
die Augen leuchten in Hoffnung und Freude — Se. Anne schenkt auch dem
Aermsten, Traurigsten ein paar gute Stunden.

Sobald die Wallfahrer den Kirchthurm von Alloadek erblicken, machen
sie Halt; die Männer entblößen das Haupt, alles kniet nieder und spricht ein
Gebet, dann geht es singend dem Ziel entgegen. Inzwischen hat aber
auch der Wächter auf dem Thurme die Kommenden gesehen; er gibt ein Zei¬
chen, die Glocken läuten zum Willkommen und der Geistliche von Alloadek
zieht den Pilgern an der Spitze der Chorknaben und Schulkinder entgegen,
denen sich der größte Theil der Gemeinde aus freien Stücken anschließt.

Stunden vergehen, bis die Empfangsfeierlichkeiten vorüber sind. Den
Zuletztkommenden bleibt kaum Zeit, sich vor der Messe durch ein Frühstück zu
stärken. Aber selbst Hunger und Ermüdung vermögen nicht die Andacht zu
stören; denn in der Bretagne wohnt noch ein glaubensstarkes Geschlecht, das
sich aus Leiden und Entbehrungen eine Staffel in den Himmel baut.

Nach der großen Messe, die von der gesammten anwesenden Geistlichkeit
aufs feierlichste begangen wird, treten ein paar Stunden der Ruhe ein,
der äußern Ruhe wenigstens, denn die Herzen schlagen erwartungsvoll, halb
freudig, halb zaghaft der Procession, dem wichtigsten Acte des Festes ent¬
gegen. Zur Vesper strömt alles wieder in die Kirche, aber das Gotteshaus
vermag die Schar der Andächtigen nicht zu fassen. Im Mittelwege des
Kirchhofes und zwischen den Gräbern knien sie nieder; aus der weit geöff¬
neten Kirchenthür ziehen die Weihrauchdüfte über ihre Häupter, sie hören den
Gesang des Priesters, das Glöckchen des Ministranten, und wenn sie von
Schuld oder Schmerz gebeugt, die heiße Stirn zu Boden senken, trocknet ihnen
der Wind, der über die Gräser des Todtenfeldes streicht, die Thränen von
den Wangen —es ist Se. Armes Hauch, der Trost und Ermuthigung bringt.

Sobald die Vesper zu Ende ist. verkündigt das Geläute der Kirchenglocken
den Beginn des Nundgcmgs. Die Orgel rauscht, die Geistlichen stimmen das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/464>, abgerufen am 23.07.2024.