Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.die sie einst erobert haben. "Ja so wie damals/' seufzen sie im Chöre, "ver¬ Die Kleingläubigen! Sie sollten nur die Mütter fragen oder die kleinen Unter den Heiligen, welche sich der Bretagne besonders gnadenreich er¬ Darum sind die Gnadentage dieser Gemeinde besonders berühmt; wochen¬ Endlich geht die Sonne des 20. September, des Vortages der Se. Annen- Während diese Vorbereitungen im vollen Gange sind, kommen nach und die sie einst erobert haben. „Ja so wie damals/' seufzen sie im Chöre, „ver¬ Die Kleingläubigen! Sie sollten nur die Mütter fragen oder die kleinen Unter den Heiligen, welche sich der Bretagne besonders gnadenreich er¬ Darum sind die Gnadentage dieser Gemeinde besonders berühmt; wochen¬ Endlich geht die Sonne des 20. September, des Vortages der Se. Annen- Während diese Vorbereitungen im vollen Gange sind, kommen nach und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106273"/> <p xml:id="ID_1283" prev="#ID_1282"> die sie einst erobert haben. „Ja so wie damals/' seufzen sie im Chöre, „ver¬<lb/> steht heutzutage niemand mehr zu kämpfen; die gute alte Zeit ist dahin und<lb/> kommt niemals wieder!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1284"> Die Kleingläubigen! Sie sollten nur die Mütter fragen oder die kleinen<lb/> Mädchen, die auf dem Anger geblieben sind, um zuzusehen, wie ihre zehn- bis<lb/> zwölfjährigen Lieblinge um die letzten Schätze der Preisstange ringen. Sie wür¬<lb/> den hören, daß die Bretagne, seit Gott der Herr sie erschaffen hat, nie bessere<lb/> Helden heranwachsen sah, als diese muntern Burschen sind, die hier ihre<lb/> ersten Lorbeern verdienen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1285"> Unter den Heiligen, welche sich der Bretagne besonders gnadenreich er¬<lb/> weisen, steht Se. Anne in der vordersten Reihe und unter den zahlreichen<lb/> Kirchen und Kapellen, die ihr geweiht sind, ist kaum eine so wunderrcich,<lb/> wie das Kirchlein von Alloadek.</p><lb/> <p xml:id="ID_1286"> Darum sind die Gnadentage dieser Gemeinde besonders berühmt; wochen¬<lb/> lang werden auf Meilen in der Runde Vorbereitungen zur Wallfahrt nach<lb/> Alloadek getroffen. Die Hausvater müssen für neue Schürzen, Tücher und<lb/> Capuchons mehr Geld ausgeben als ihnen lieb ist; der Schneider wandert<lb/> von Hof zu Hof, um die Festtagskleider seiner Kunden in Stand zu setzen;<lb/> auf den Waschplätzen und Bleichen herrscht ungewöhnliche Thätigkeit, und<lb/> wenn die Jugend hauptsächlich an die Lustbarkeiten der Festtage denkt, hofft<lb/> der Schuldbewußte Vergebung seiner Sünden zu finden, und die Mühseligen<lb/> und Beladnen tragen ihre Leiden mit neuem Muthe, weil sie wissen, daß<lb/> Se. Anne sie davon befreien kann, sobald sie will.</p><lb/> <p xml:id="ID_1287"> Endlich geht die Sonne des 20. September, des Vortages der Se. Annen-<lb/> feicr, über der harrenden Menschheit auf. In Alloadek ist von Tagesanbruch<lb/> an alles geschäftig. Während die Frauen das Haus kehren, die großen Bett¬<lb/> schränke bohren, die Kupfergeschirre putzen oder die schreienden Kinder der un¬<lb/> gewohnten Procedur einer gründlichen Reinigung unterwerfen, haben die<lb/> Männer mit den Zelten und Laubhütten zu thun, die zur Aufnahme der<lb/> Pilgerscharen auf dem Anger am Ausgang des Dorfes errichtet werden. Die<lb/> jungen Burschen schlagen Pfähle ein, um den Platz zum Ringkampf abzugren¬<lb/> zen, und ein paar tollkühne Buben Probiren — auf Gefahr ihrer Hosen und<lb/> Hände — ob der Kletterbaum glatt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1288" next="#ID_1289"> Während diese Vorbereitungen im vollen Gange sind, kommen nach und<lb/> nach die geladner Gäste. Verwandte, Gevattern und Freunde aus den benach¬<lb/> barten Ortschaften herbei. Man schüttelt sich die Hände; den Männern wird<lb/> in Cider oder Branntwein Willkommen zugetrunken, Frauen und Kinder laben<lb/> sich an dem dampfenden Krampouez — hartem Kuchen von Weizenmehl -<lb/> die in jedem Hause auf dem festlich gedeckten Tische stehen, und Alt und Jung<lb/> erfreut'sich an den Düften, die aus großen Kesseln oder Pfannen aufsteigend</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0462]
die sie einst erobert haben. „Ja so wie damals/' seufzen sie im Chöre, „ver¬
steht heutzutage niemand mehr zu kämpfen; die gute alte Zeit ist dahin und
kommt niemals wieder!"
Die Kleingläubigen! Sie sollten nur die Mütter fragen oder die kleinen
Mädchen, die auf dem Anger geblieben sind, um zuzusehen, wie ihre zehn- bis
zwölfjährigen Lieblinge um die letzten Schätze der Preisstange ringen. Sie wür¬
den hören, daß die Bretagne, seit Gott der Herr sie erschaffen hat, nie bessere
Helden heranwachsen sah, als diese muntern Burschen sind, die hier ihre
ersten Lorbeern verdienen.
Unter den Heiligen, welche sich der Bretagne besonders gnadenreich er¬
weisen, steht Se. Anne in der vordersten Reihe und unter den zahlreichen
Kirchen und Kapellen, die ihr geweiht sind, ist kaum eine so wunderrcich,
wie das Kirchlein von Alloadek.
Darum sind die Gnadentage dieser Gemeinde besonders berühmt; wochen¬
lang werden auf Meilen in der Runde Vorbereitungen zur Wallfahrt nach
Alloadek getroffen. Die Hausvater müssen für neue Schürzen, Tücher und
Capuchons mehr Geld ausgeben als ihnen lieb ist; der Schneider wandert
von Hof zu Hof, um die Festtagskleider seiner Kunden in Stand zu setzen;
auf den Waschplätzen und Bleichen herrscht ungewöhnliche Thätigkeit, und
wenn die Jugend hauptsächlich an die Lustbarkeiten der Festtage denkt, hofft
der Schuldbewußte Vergebung seiner Sünden zu finden, und die Mühseligen
und Beladnen tragen ihre Leiden mit neuem Muthe, weil sie wissen, daß
Se. Anne sie davon befreien kann, sobald sie will.
Endlich geht die Sonne des 20. September, des Vortages der Se. Annen-
feicr, über der harrenden Menschheit auf. In Alloadek ist von Tagesanbruch
an alles geschäftig. Während die Frauen das Haus kehren, die großen Bett¬
schränke bohren, die Kupfergeschirre putzen oder die schreienden Kinder der un¬
gewohnten Procedur einer gründlichen Reinigung unterwerfen, haben die
Männer mit den Zelten und Laubhütten zu thun, die zur Aufnahme der
Pilgerscharen auf dem Anger am Ausgang des Dorfes errichtet werden. Die
jungen Burschen schlagen Pfähle ein, um den Platz zum Ringkampf abzugren¬
zen, und ein paar tollkühne Buben Probiren — auf Gefahr ihrer Hosen und
Hände — ob der Kletterbaum glatt ist.
Während diese Vorbereitungen im vollen Gange sind, kommen nach und
nach die geladner Gäste. Verwandte, Gevattern und Freunde aus den benach¬
barten Ortschaften herbei. Man schüttelt sich die Hände; den Männern wird
in Cider oder Branntwein Willkommen zugetrunken, Frauen und Kinder laben
sich an dem dampfenden Krampouez — hartem Kuchen von Weizenmehl -
die in jedem Hause auf dem festlich gedeckten Tische stehen, und Alt und Jung
erfreut'sich an den Düften, die aus großen Kesseln oder Pfannen aufsteigend
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |