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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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getanzt, und es ist, als sollte sie kein Ende nehmen. Allein endlich werden
die Burschen des Zusehens müde; sie geben den Musikanten ein Zeichen, das
Orchester fällt in eine lebhaftere Weise ein, die Tänzer dringen in den Kreis
der Mädchen, und gleich darauf sieht man sie paarweise bemüht, die Aufgabe
des Tages zu erfüllen.

Während die Jugend tanzt, sitzen die Alten unter den Bäumen, trinken,
rauchen -- auch ältere Frauen verschmähen die Pfeife nicht -- besprechen
Geschäfte oder Familienangelegenheiten; und wer einen Käufer für Rind oder
Pferd braucht, wer einen Dienstboten sucht, oder den Sohn zu verheirathen
wünscht, zieht einen der Bettler zu Rathe, die sich zum Feste eingefunden haben.
Der Bettler, den man nicht mit Unrecht "die wandernde Chronik des Landes"
zu nennen pflegt, weiß am besten in allen Ställen, Haushaltungen und Her¬
zen Bescheid, ein Umstand, der gewiß nicht wenig dazu beiträgt, ihm die bevor¬
zugte Stellung zu sichern, die er in der Bretagne einnimmt.

Stunden vergehen; das Antlitz der Trinkenden fängt schon an sich zu
röthen; die Unterhaltungen werden lauter; hier und da wird ein Lied gesungen
-- aber jetzt hört man von der Tenne her einen Marsch erschallen; Gespräch
und Gesang verstummen und alles steht auf, um sich dem Zuge anzuschließen,
der sich durch den Baumgarten nach dem Anger begibt, wo die Ringkampfe
stattfinden sollen.

Voran gehen die Musikanten; dann kommt der Sohn des Hauses, der
die Stange mit den Preisen trägt. Aus ihrer Spitze prangt ein mit Blumen
und Rauschgold verzierter Hut, der eine Menge bunter Seidenbänder, wollne
Schürzen. Pfeifen, Messer und andere Kleinigkeiten beschattet, die rings um
die Stange befestigt sind. Die Männer. Burschen und Knaben, die am Wett¬
kampfe Theil nehmen wollen, gehen paarweise hinterdrein; sie haben Oberkleider,
Schuhe und Strümpfe ausgezogen, das lange Haar am Hinterkopfe zusammen¬
gebunden, die Hemdärmel in die Höhe gestreift und ihre herausfordernde
Haltung, ihre leuchtenden Augen verrathen, daß es nur einer Veranlassung
bedarf, um die Kampflust zu wecken, die von jeher das Erbtheil der Bre¬
tagne gewesen ist.

Auf dem Anger ist der Kampfplatz durch Pfähle und Stricke bereits ab¬
gegrenzt; außer den "Ringern" dürfen nur die Kampfrichter -- fünf oder
sechs der erfahrensten Alten -- in die Umzäunung eintreten. Für die Respects¬
personen werden auße-rhalb derselben ein paar Bänke aufgestellt; die jungen
Mädchen klettern auf die nächsten Baume des Obstgartens, und die übrigen Zu¬
schauer suchen sich mit kräftigen Ellenbogenstößen einen Platz zu sichern. Die
Eingänge der Arena werden jedoch respectirt, denn an jedem derselben ist
ein Bursche mit verbundenen Augen als Schildwache ausgestellt: der eine
mit einer ungeheuern Peitsche bewaffnet, die er nach allen Seiten knallen läßt;


getanzt, und es ist, als sollte sie kein Ende nehmen. Allein endlich werden
die Burschen des Zusehens müde; sie geben den Musikanten ein Zeichen, das
Orchester fällt in eine lebhaftere Weise ein, die Tänzer dringen in den Kreis
der Mädchen, und gleich darauf sieht man sie paarweise bemüht, die Aufgabe
des Tages zu erfüllen.

Während die Jugend tanzt, sitzen die Alten unter den Bäumen, trinken,
rauchen — auch ältere Frauen verschmähen die Pfeife nicht — besprechen
Geschäfte oder Familienangelegenheiten; und wer einen Käufer für Rind oder
Pferd braucht, wer einen Dienstboten sucht, oder den Sohn zu verheirathen
wünscht, zieht einen der Bettler zu Rathe, die sich zum Feste eingefunden haben.
Der Bettler, den man nicht mit Unrecht „die wandernde Chronik des Landes"
zu nennen pflegt, weiß am besten in allen Ställen, Haushaltungen und Her¬
zen Bescheid, ein Umstand, der gewiß nicht wenig dazu beiträgt, ihm die bevor¬
zugte Stellung zu sichern, die er in der Bretagne einnimmt.

Stunden vergehen; das Antlitz der Trinkenden fängt schon an sich zu
röthen; die Unterhaltungen werden lauter; hier und da wird ein Lied gesungen
— aber jetzt hört man von der Tenne her einen Marsch erschallen; Gespräch
und Gesang verstummen und alles steht auf, um sich dem Zuge anzuschließen,
der sich durch den Baumgarten nach dem Anger begibt, wo die Ringkampfe
stattfinden sollen.

Voran gehen die Musikanten; dann kommt der Sohn des Hauses, der
die Stange mit den Preisen trägt. Aus ihrer Spitze prangt ein mit Blumen
und Rauschgold verzierter Hut, der eine Menge bunter Seidenbänder, wollne
Schürzen. Pfeifen, Messer und andere Kleinigkeiten beschattet, die rings um
die Stange befestigt sind. Die Männer. Burschen und Knaben, die am Wett¬
kampfe Theil nehmen wollen, gehen paarweise hinterdrein; sie haben Oberkleider,
Schuhe und Strümpfe ausgezogen, das lange Haar am Hinterkopfe zusammen¬
gebunden, die Hemdärmel in die Höhe gestreift und ihre herausfordernde
Haltung, ihre leuchtenden Augen verrathen, daß es nur einer Veranlassung
bedarf, um die Kampflust zu wecken, die von jeher das Erbtheil der Bre¬
tagne gewesen ist.

Auf dem Anger ist der Kampfplatz durch Pfähle und Stricke bereits ab¬
gegrenzt; außer den „Ringern" dürfen nur die Kampfrichter — fünf oder
sechs der erfahrensten Alten — in die Umzäunung eintreten. Für die Respects¬
personen werden auße-rhalb derselben ein paar Bänke aufgestellt; die jungen
Mädchen klettern auf die nächsten Baume des Obstgartens, und die übrigen Zu¬
schauer suchen sich mit kräftigen Ellenbogenstößen einen Platz zu sichern. Die
Eingänge der Arena werden jedoch respectirt, denn an jedem derselben ist
ein Bursche mit verbundenen Augen als Schildwache ausgestellt: der eine
mit einer ungeheuern Peitsche bewaffnet, die er nach allen Seiten knallen läßt;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/460>, abgerufen am 23.07.2024.