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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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stellen kann- Es schwanken die Meinungen nicht blos hinsichtlich der Meister,
sondern auch hinsichtlich der äußeren Merkmale der Bilder. Im arg über-
putzten Zustande findet Passavant ein Werk, dessen treffliche Erhaltung Waa¬
gen preist; plump und häßlich schildert der letztere Formen, über deren An¬
muth Förster nicht genug Rühmliches zu sagen weiß. Widerlich und trivial
nennt Cuvalcacelle ein Bild, welches Passavant als eine köstliche Perle der
Kunst bezeichnet. Der zartesten Arbeit Jan van Eycks (Hotho) macht Förster
den Borwurf der Kälte und Trockenheit. Wenn verschiedene Augen einen
Farbenton in der Nuance verschieden sehen, so mag das hingehen. Es sind
ja ohnehin die Schilderungen von einem durchgehenden Braunroth oder Hell¬
roth u. s. w. des einen und anderen Meisters nichtssagend und ohne Ein¬
fluß auf die kunsthistorische Bestimmung^ Wenn aber gewiegte Kunstkenner für
den ästhetischen Charakter eines Bildes nur die äußersten Extreme bereit hal¬
ten, so möchte man doch schier verzweifeln an der Fähigkeit des Stilgefühls,
als Erkenntnißquelle zu gelten. Eine solche Verzweiflung ist denn auch all¬
gemein anzutreffen, zumal wenn die Differenzen der Kunstkenner förmliche
cAusos (Mohl-es erzeugen, ihre entgegengesetzten Aussprüche nicht allein thco->
retische Ueberzeugungen schwankend machen, sondern auch den praktischen Werth
eines künstlerischen Besitzes vernichten. Dies war vor etwa drei Jahren mit
dem schleißheimer Dürerfunde der Fall, dessen Echtheit Förster mit derselben
Gewißheit vertheidigte, mit welcher ihn Waagen bestritt. Und auch jetzt wieder
wird der Streit über das im Besitz des Mr. Morris befindliche Raphaelische
Werk von neuem angefacht. Die französischen Kunstkenner, mit.einem höh¬
nischen Seitenblick auf ihre deutschen Collegen, sind über die Originalität
desselben ebenso einig, wie Waagen und andere von seiner Uncchtheit über¬
zeugt sind.

Wahrlich, der Spott der Ungläubigen hat ein leichtes Spiel mit dem
"sichern" Stilgefühle, dennoch wird es stets seine Geltung bewahren, wenn
auch allerdings innerhalb gewisser Schränken. Werden nach bloßem Stil¬
gefühl einem Meister Bilder zugeschrieben, von welchem kein einziges histo¬
risch beglaubigtes Werk existirt, so haben wir darin eben nur einen nicht ganz
glücklichen Scherz zu erblicken. Unmöglich kann uns z. B. Waagen zumuthen,
seine Bestimmung eines Bildes zu Ypern als das Werk des Lambert van
Eyck als ernst gemeint anzunehmen, da wir von diesem Manne kein einziges
durch Unterschrist oder sonst wie sicher gestelltes Werk besitzen, ja sogar, ob
er das Malerhandwerk ausgeübt, in Zweifel lassen müssen. Es versteht sich
von selbst, daß das Stilgefühl nur da positive Resultate an den Tag för¬
dern kann, wo es sich um Zueignung undatirter Bilder an einen Künstler
handelt, von welchem beglaubigte Werke vorhanden sind. Die letzteren bilden


stellen kann- Es schwanken die Meinungen nicht blos hinsichtlich der Meister,
sondern auch hinsichtlich der äußeren Merkmale der Bilder. Im arg über-
putzten Zustande findet Passavant ein Werk, dessen treffliche Erhaltung Waa¬
gen preist; plump und häßlich schildert der letztere Formen, über deren An¬
muth Förster nicht genug Rühmliches zu sagen weiß. Widerlich und trivial
nennt Cuvalcacelle ein Bild, welches Passavant als eine köstliche Perle der
Kunst bezeichnet. Der zartesten Arbeit Jan van Eycks (Hotho) macht Förster
den Borwurf der Kälte und Trockenheit. Wenn verschiedene Augen einen
Farbenton in der Nuance verschieden sehen, so mag das hingehen. Es sind
ja ohnehin die Schilderungen von einem durchgehenden Braunroth oder Hell¬
roth u. s. w. des einen und anderen Meisters nichtssagend und ohne Ein¬
fluß auf die kunsthistorische Bestimmung^ Wenn aber gewiegte Kunstkenner für
den ästhetischen Charakter eines Bildes nur die äußersten Extreme bereit hal¬
ten, so möchte man doch schier verzweifeln an der Fähigkeit des Stilgefühls,
als Erkenntnißquelle zu gelten. Eine solche Verzweiflung ist denn auch all¬
gemein anzutreffen, zumal wenn die Differenzen der Kunstkenner förmliche
cAusos (Mohl-es erzeugen, ihre entgegengesetzten Aussprüche nicht allein thco->
retische Ueberzeugungen schwankend machen, sondern auch den praktischen Werth
eines künstlerischen Besitzes vernichten. Dies war vor etwa drei Jahren mit
dem schleißheimer Dürerfunde der Fall, dessen Echtheit Förster mit derselben
Gewißheit vertheidigte, mit welcher ihn Waagen bestritt. Und auch jetzt wieder
wird der Streit über das im Besitz des Mr. Morris befindliche Raphaelische
Werk von neuem angefacht. Die französischen Kunstkenner, mit.einem höh¬
nischen Seitenblick auf ihre deutschen Collegen, sind über die Originalität
desselben ebenso einig, wie Waagen und andere von seiner Uncchtheit über¬
zeugt sind.

Wahrlich, der Spott der Ungläubigen hat ein leichtes Spiel mit dem
„sichern" Stilgefühle, dennoch wird es stets seine Geltung bewahren, wenn
auch allerdings innerhalb gewisser Schränken. Werden nach bloßem Stil¬
gefühl einem Meister Bilder zugeschrieben, von welchem kein einziges histo¬
risch beglaubigtes Werk existirt, so haben wir darin eben nur einen nicht ganz
glücklichen Scherz zu erblicken. Unmöglich kann uns z. B. Waagen zumuthen,
seine Bestimmung eines Bildes zu Ypern als das Werk des Lambert van
Eyck als ernst gemeint anzunehmen, da wir von diesem Manne kein einziges
durch Unterschrist oder sonst wie sicher gestelltes Werk besitzen, ja sogar, ob
er das Malerhandwerk ausgeübt, in Zweifel lassen müssen. Es versteht sich
von selbst, daß das Stilgefühl nur da positive Resultate an den Tag för¬
dern kann, wo es sich um Zueignung undatirter Bilder an einen Künstler
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/454>, abgerufen am 23.07.2024.