Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.schweben oder in einem sichern Punkte sich verdichten. Wo der Laie eben nur schweben oder in einem sichern Punkte sich verdichten. Wo der Laie eben nur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106263"/> <p xml:id="ID_1251" prev="#ID_1250" next="#ID_1252"> schweben oder in einem sichern Punkte sich verdichten. Wo der Laie eben nur<lb/> das Jahrhundert, den italienischen oder flandrischen Ursprung, die venetianische<lb/> Schule oder jene Rembrandts wiedererkennt, treten dem geübteren Bildcrkenner<lb/> innerhalb der einzelnen Schule bestimmte Künstlerindividuen entgegen, auf<lb/> welche er, von der Anschauung verwandter Züge geleitet, das Werk überträgt.<lb/> Wenn skeptische Naturen in dieser Methode nur ein Nechenezccmpel finden, so<lb/> dürfen sie nicht übersehen, daß die Richtigkeit desselben schon durch Proben<lb/> bewiesen wurde, und vom Stilgefühl eingegebene Behauptungen häufig ihre<lb/> nachträgliche äußere Beglaubigung erhielten. Auf der andern Seite freilich<lb/> läßt sich auch die Gefahr nicht beseitigen, daß ein falscher Ausgangspunkt der<lb/> Erinnerung die ganze folgende Schlußreihe in bloßen Irrthum auflöst. Ueber<lb/> jenen aber sind wir nicht vollkommen Herr. Wesentlich vom Zufall hängt<lb/> es ab, welches Bild aus einem größeren Kreise einander nahestehender Werke<lb/> im Gedächtniß am stärksten haftet, so daß die verwandten Züge desselben<lb/> mit dem zu prüfenden Gemälde alle andern Beziehungen verdrängen. Es<lb/> gibt nämlich Bilder, welche von der Kunstweise sowol des einen wie des an¬<lb/> dern Meisters Spuren an sich tragen, und wo die Wahrscheinlichkeit, daß sie<lb/> von dem einen oder von dem andern Künstler stammen, sich die Wage hält.<lb/> Entscheiden wird in einem solchen Fall, von welchem der beiden Künstler das<lb/> Auge eine größere Fülle von Anschauungen, das Gedächtniß zahlreichere Er¬<lb/> innerungen zufällig besitzt. Diesem muß dann nothwendig das fragliche Werk<lb/> auch zukommen. Auf diese Art sind die Doppelnamen gar mancher Bilder<lb/> in die Welt gekommen. Was dem einen Kunstkenner als eine Jugendarbeit<lb/> Memlings erscheint, erklärt ein andrer für ein späteres Wert des Roger van<lb/> der Weyden d. A. Ebenso schwankt bei mehrern Gemälden die Wahl zwischen<lb/> dem letzteren Meister und Hugo van der Goes u. s. w. Auf welcher Seite<lb/> das größere Recht stehe, zu bestimmen, ist oft unmöglich; kann sich doch der<lb/> Erfinder oder Finder des Künstlernamens selbst nicht -immer genaue Rechen¬<lb/> schaft ablegen, wie er zu demselben gekommen. Das Gefühl hat ihn instinct-<lb/> mäßig geleitet, die Erinnerung unwillkürlich auf einen bestimmten Pfad ge¬<lb/> wiesen. Könnten wir von jedem Maler stets zutreffende Wahrzeichen behaup¬<lb/> ten, dann wäre es freilich mit der Sicherheit des Stilgefühles vortrefflich be¬<lb/> stellt. Man brauchte eben nur das Vorkommen solcher ausschließlich einem<lb/> Meister ungehörigen Merkmale aufzuweisen, um über den Ursprung des Wer¬<lb/> kes unterrichtet zu sein. Leider aber offenbaren blos die Gemälde späterer<lb/> Manieristen, die sich ein subjectives Ideal geschaffen und nach einem bestimm¬<lb/> ten Formenschema gearbeitet, jene sicheren Wahrzeichen. Keine große Weis¬<lb/> heit ist nöthig, um aus den langhalsigen Madonnen einen Parmegianino,<lb/> aus den kühlen grünlichen Farbentönen, aus dem eigenthümlichen Zuschnitt<lb/> der Frauenköpfe einen Dolce, einen Guido Reni u. s. w. zu errathen. Es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
schweben oder in einem sichern Punkte sich verdichten. Wo der Laie eben nur
das Jahrhundert, den italienischen oder flandrischen Ursprung, die venetianische
Schule oder jene Rembrandts wiedererkennt, treten dem geübteren Bildcrkenner
innerhalb der einzelnen Schule bestimmte Künstlerindividuen entgegen, auf
welche er, von der Anschauung verwandter Züge geleitet, das Werk überträgt.
Wenn skeptische Naturen in dieser Methode nur ein Nechenezccmpel finden, so
dürfen sie nicht übersehen, daß die Richtigkeit desselben schon durch Proben
bewiesen wurde, und vom Stilgefühl eingegebene Behauptungen häufig ihre
nachträgliche äußere Beglaubigung erhielten. Auf der andern Seite freilich
läßt sich auch die Gefahr nicht beseitigen, daß ein falscher Ausgangspunkt der
Erinnerung die ganze folgende Schlußreihe in bloßen Irrthum auflöst. Ueber
jenen aber sind wir nicht vollkommen Herr. Wesentlich vom Zufall hängt
es ab, welches Bild aus einem größeren Kreise einander nahestehender Werke
im Gedächtniß am stärksten haftet, so daß die verwandten Züge desselben
mit dem zu prüfenden Gemälde alle andern Beziehungen verdrängen. Es
gibt nämlich Bilder, welche von der Kunstweise sowol des einen wie des an¬
dern Meisters Spuren an sich tragen, und wo die Wahrscheinlichkeit, daß sie
von dem einen oder von dem andern Künstler stammen, sich die Wage hält.
Entscheiden wird in einem solchen Fall, von welchem der beiden Künstler das
Auge eine größere Fülle von Anschauungen, das Gedächtniß zahlreichere Er¬
innerungen zufällig besitzt. Diesem muß dann nothwendig das fragliche Werk
auch zukommen. Auf diese Art sind die Doppelnamen gar mancher Bilder
in die Welt gekommen. Was dem einen Kunstkenner als eine Jugendarbeit
Memlings erscheint, erklärt ein andrer für ein späteres Wert des Roger van
der Weyden d. A. Ebenso schwankt bei mehrern Gemälden die Wahl zwischen
dem letzteren Meister und Hugo van der Goes u. s. w. Auf welcher Seite
das größere Recht stehe, zu bestimmen, ist oft unmöglich; kann sich doch der
Erfinder oder Finder des Künstlernamens selbst nicht -immer genaue Rechen¬
schaft ablegen, wie er zu demselben gekommen. Das Gefühl hat ihn instinct-
mäßig geleitet, die Erinnerung unwillkürlich auf einen bestimmten Pfad ge¬
wiesen. Könnten wir von jedem Maler stets zutreffende Wahrzeichen behaup¬
ten, dann wäre es freilich mit der Sicherheit des Stilgefühles vortrefflich be¬
stellt. Man brauchte eben nur das Vorkommen solcher ausschließlich einem
Meister ungehörigen Merkmale aufzuweisen, um über den Ursprung des Wer¬
kes unterrichtet zu sein. Leider aber offenbaren blos die Gemälde späterer
Manieristen, die sich ein subjectives Ideal geschaffen und nach einem bestimm¬
ten Formenschema gearbeitet, jene sicheren Wahrzeichen. Keine große Weis¬
heit ist nöthig, um aus den langhalsigen Madonnen einen Parmegianino,
aus den kühlen grünlichen Farbentönen, aus dem eigenthümlichen Zuschnitt
der Frauenköpfe einen Dolce, einen Guido Reni u. s. w. zu errathen. Es
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