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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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zu errathen. Das "Gefühl, der Bortrag" läßt ihn z. B. in einem bisher
Mieris getauften Bilde der dresdner Galerie einen Eglon van der Neer er¬
kennen, ein Caspar Netscher muß sich wegen "der Tiefe und der Feinheit des
Gefühles" in einen Metsu umwandeln lassen. Wir wollen diese Beispiele
nicht überflüssig häufen. Aus den beiden angeführten Proben ersieht man
schon das absolut subjective Verfahren, den förmlichen Offenbarungscharakter
dieser Methode. Ueber die auf solche Weise gewonnenen Bestimmungen läßt
sich natürlich nicht streiten. Man muß sie einfach annehmen oder ablehnen.
Wie aber die Annahme schließlich auf die Unterwerfung unter eine Autorität
hinausläuft, so liegt dem Ablehnen der Unglaube zu Grunde. Es wird oder
kann wenigstens als ein Zweifel um dem richtigen Blick, an dem sichern Takt
des Taufpathen gedeutet werden, es klingt dasselbe wie ein Borwurf, wie ein
persönlicher Tadel und weckt natürlich die Empfindlichkeit des .Angegriffenen.
Auf keinem wissenschaftlichen Gebiete nimmt daher auch die Polemik so leicht
einen persönlichen Ton an, und ist Gereiztheit und Erbitterung so sehr zu Hause
wie hier. Waagen hat in seinem langen Leben viele Erfahrungen darüber gesam¬
melt und könnte manches von der unter Bilderkennern herrschenden Leidenschaft er¬
zählen. Daß er auch davon schreiben kann, zeigen die vorliegenden "Bemerkungen",
in welchen seine Gegner, die Zweifler an seiner Bilderkcnntniß. sämmtlich ein
Fegefeuer von Scheltworten durchwandern müssen. So weit hätte die ganze
Sache für die Fernstehenden keine Bedeutung, höchstens für die Liebhaber
von Hnhnengefechten ein gewisses Interesse. Da aber die Laien gewöhnlich
das oben geschilderte subjective Verfahren für das in der Kunstgeschichte all¬
gemein giltige halten, da auf der einen Seite namentlich die halbgebildeter
Kunstkenner im Errathen der Meister nicht urkundlich beglaubigter Kunstwerke,
in der Bildertaufe das höchste Ziel kunsthistorischer Studien erblicken, auf der
andern Seite insbesondere die Vertreter exacter Wissenschaften, in der Meinung,
die Kunstgeschichte kenne keine andere Methode, der letzteren alle Wissenschaft-
lichkeit absprechen, so wird die Erörterung der Frage, inwieweit die Bilder¬
taufe nach subjectiven Ermessen, wie sie von der Mehrheit der Kunstkenner
betrieben wird, berechtigt sei. vielleicht nicht als ganz überflüssig erscheinen.

Das steht fest: Gänzlich entbehren können wir die kunsthistorischen Be¬
stimmungen aus Grundlage des subjectiven Meinens und Glaubens nicht.
Nicht blos, weil jedes Ding, also auch ein Bild, seinen Namen haben muß,
sondern weil ein unwillkürlicher psychologischer Vorgang nothwendig dazu
treibt. Stehen wir einem unbenamten Bilde gegenüber und haben wir uns
über das Stoffliche, das vorgestellte Motiv verständigt, so ist das Nächste, daß
in unserm Gedächtniß die Erinnerung an früher geschaute verwandte Formen
aufsteigt. Je nach unsrer Bilderkenntniß wird die Erinnerung schärfer oder
nebelhafter sich zeichnen, in einem weitern Kreise unbestimmt auf- und ab-


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zu errathen. Das „Gefühl, der Bortrag" läßt ihn z. B. in einem bisher
Mieris getauften Bilde der dresdner Galerie einen Eglon van der Neer er¬
kennen, ein Caspar Netscher muß sich wegen „der Tiefe und der Feinheit des
Gefühles" in einen Metsu umwandeln lassen. Wir wollen diese Beispiele
nicht überflüssig häufen. Aus den beiden angeführten Proben ersieht man
schon das absolut subjective Verfahren, den förmlichen Offenbarungscharakter
dieser Methode. Ueber die auf solche Weise gewonnenen Bestimmungen läßt
sich natürlich nicht streiten. Man muß sie einfach annehmen oder ablehnen.
Wie aber die Annahme schließlich auf die Unterwerfung unter eine Autorität
hinausläuft, so liegt dem Ablehnen der Unglaube zu Grunde. Es wird oder
kann wenigstens als ein Zweifel um dem richtigen Blick, an dem sichern Takt
des Taufpathen gedeutet werden, es klingt dasselbe wie ein Borwurf, wie ein
persönlicher Tadel und weckt natürlich die Empfindlichkeit des .Angegriffenen.
Auf keinem wissenschaftlichen Gebiete nimmt daher auch die Polemik so leicht
einen persönlichen Ton an, und ist Gereiztheit und Erbitterung so sehr zu Hause
wie hier. Waagen hat in seinem langen Leben viele Erfahrungen darüber gesam¬
melt und könnte manches von der unter Bilderkennern herrschenden Leidenschaft er¬
zählen. Daß er auch davon schreiben kann, zeigen die vorliegenden „Bemerkungen",
in welchen seine Gegner, die Zweifler an seiner Bilderkcnntniß. sämmtlich ein
Fegefeuer von Scheltworten durchwandern müssen. So weit hätte die ganze
Sache für die Fernstehenden keine Bedeutung, höchstens für die Liebhaber
von Hnhnengefechten ein gewisses Interesse. Da aber die Laien gewöhnlich
das oben geschilderte subjective Verfahren für das in der Kunstgeschichte all¬
gemein giltige halten, da auf der einen Seite namentlich die halbgebildeter
Kunstkenner im Errathen der Meister nicht urkundlich beglaubigter Kunstwerke,
in der Bildertaufe das höchste Ziel kunsthistorischer Studien erblicken, auf der
andern Seite insbesondere die Vertreter exacter Wissenschaften, in der Meinung,
die Kunstgeschichte kenne keine andere Methode, der letzteren alle Wissenschaft-
lichkeit absprechen, so wird die Erörterung der Frage, inwieweit die Bilder¬
taufe nach subjectiven Ermessen, wie sie von der Mehrheit der Kunstkenner
betrieben wird, berechtigt sei. vielleicht nicht als ganz überflüssig erscheinen.

Das steht fest: Gänzlich entbehren können wir die kunsthistorischen Be¬
stimmungen aus Grundlage des subjectiven Meinens und Glaubens nicht.
Nicht blos, weil jedes Ding, also auch ein Bild, seinen Namen haben muß,
sondern weil ein unwillkürlicher psychologischer Vorgang nothwendig dazu
treibt. Stehen wir einem unbenamten Bilde gegenüber und haben wir uns
über das Stoffliche, das vorgestellte Motiv verständigt, so ist das Nächste, daß
in unserm Gedächtniß die Erinnerung an früher geschaute verwandte Formen
aufsteigt. Je nach unsrer Bilderkenntniß wird die Erinnerung schärfer oder
nebelhafter sich zeichnen, in einem weitern Kreise unbestimmt auf- und ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/451>, abgerufen am 25.08.2024.