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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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jacke und eine Fustanella, die einmal weiß gewesen sein mochte, jetzt aber, selbst
auf die Folter gespannt, nicht hätte angeben können, welcher Farbe sie an¬
gehörte. Stets geneigt, auf seinem Packsattel in der Art einer Dame zu
reiten, wenig gesprächig, griesgrämig, nahm er sich, wenn ihn bei regnigem
Wetter sein brauner Mantel einhüllte, wie eine Gestalt aus der Welt der Berg¬
zwerge aus. Er hörte (wenn er wollte) auf den Namen Barba Anthoni, Onkel
Anton. Seine Bestimmung war außer der Wartung der Pferde, dadurch, daß er
sich unaufhörlich im Kopfe kratzte, uns zu erinnern, daß wir sehr unklug gehandelt,
uns nicht mit Jnsektenpulver zu versehen. Auch secundirte er gelegentlich
dem Maulthiertreiber, wenn dieser -- was des Tags mindestens dreimal
geschah -- sich mit Fluchen und Schwören, rollenden Augen und furchtbaren
Verrenkungen über die großen Entfernungen beschwerte, die wir nach unsern,
Plane täglich zurücklegten. Letzterer, Kristo genannt, ebenfalls national ge¬
kleidet bis auf das Fez über dem Strohhut, ebenfalls ziemlich schmuzig, war
die Caricatur des neugriechischen Gesichtstypus, d. h. das Streben seiner Nase,
sich dem Kinn zu vermählen, war dem Erfolg so nahe, daß ich überzeugt bin,
im Alter, wenn das Hinderniß der Zähne wegfällt, kriegen sie sich. Groß,
breitschulterig, starkknochig stieg er unaufhörlich murrend und brummend hin¬
ter seinen drei Maulthieren her. Konnte er zu unsrer Flasche, so waren wir sicher
am Ziele der Tagereise ohne Wein, er aber voll Laune, voll Lust zum Singen
und doppelt so dienstfertig gegen uns, die "Effendis", als ihn im nüchternen
Zustande die Hoffnung auf ein Backschisch beim Abschied sein ließ. Seine
Thiere leisteten Unglaubliches, und es sah wie ein halbes Wunder aus,
wenn die kleinen Dinger, die unter ihrer Bürde sast verschwanden, mit
den dünnen Beinchen ohne zu straucheln auf schmalen Kanten und über
glatte abschüssige Platten wie Ziegen bergauf und ab kletterten. Die
Pferde hatten dieselbe Geißennatur und dabei eine Zähigkeit im Entbeh¬
ren, wie sie wol nur noch in der Wüste gefunden wird. Im Durchschnitt legten
wir täglich elf Stunden zurück. In achtzehn Tagen gab es nur einen halben
Rasttag. In der Ebne wurde oft halbe Stunden hintereinander scharfer Trab,
Galopp und selbst Carriere geritten. Im Gebirge spornten wir die Thiere
zum Erklimmen von Höhen, gegen die der Ritt eine Treppe hinauf ein Scherz
gewesen wäre. Dabei erhielten sie nur früh und Abends etwas Gerste, und
wiederholt geschah es, daß sie an Orten, wo das Wasser bezahlt werden mußte,
die ganze Nacht hindurch und noch einige Stunden des Morgens ungetränkt
blieben.

Spiro war ein wunderliches Gemisch von Naivetät und Geriebenheit.
Er log, so oft er den Mund aufthat, log oft ganz ohne Aussicht auf Vor¬
theil, log wie die Kinder sich selbst an, indem er für wahr hielt, was seine
Einbildung ihm vorspiegelte. - In der Regel aber geschah es, entweder um


jacke und eine Fustanella, die einmal weiß gewesen sein mochte, jetzt aber, selbst
auf die Folter gespannt, nicht hätte angeben können, welcher Farbe sie an¬
gehörte. Stets geneigt, auf seinem Packsattel in der Art einer Dame zu
reiten, wenig gesprächig, griesgrämig, nahm er sich, wenn ihn bei regnigem
Wetter sein brauner Mantel einhüllte, wie eine Gestalt aus der Welt der Berg¬
zwerge aus. Er hörte (wenn er wollte) auf den Namen Barba Anthoni, Onkel
Anton. Seine Bestimmung war außer der Wartung der Pferde, dadurch, daß er
sich unaufhörlich im Kopfe kratzte, uns zu erinnern, daß wir sehr unklug gehandelt,
uns nicht mit Jnsektenpulver zu versehen. Auch secundirte er gelegentlich
dem Maulthiertreiber, wenn dieser — was des Tags mindestens dreimal
geschah — sich mit Fluchen und Schwören, rollenden Augen und furchtbaren
Verrenkungen über die großen Entfernungen beschwerte, die wir nach unsern,
Plane täglich zurücklegten. Letzterer, Kristo genannt, ebenfalls national ge¬
kleidet bis auf das Fez über dem Strohhut, ebenfalls ziemlich schmuzig, war
die Caricatur des neugriechischen Gesichtstypus, d. h. das Streben seiner Nase,
sich dem Kinn zu vermählen, war dem Erfolg so nahe, daß ich überzeugt bin,
im Alter, wenn das Hinderniß der Zähne wegfällt, kriegen sie sich. Groß,
breitschulterig, starkknochig stieg er unaufhörlich murrend und brummend hin¬
ter seinen drei Maulthieren her. Konnte er zu unsrer Flasche, so waren wir sicher
am Ziele der Tagereise ohne Wein, er aber voll Laune, voll Lust zum Singen
und doppelt so dienstfertig gegen uns, die „Effendis", als ihn im nüchternen
Zustande die Hoffnung auf ein Backschisch beim Abschied sein ließ. Seine
Thiere leisteten Unglaubliches, und es sah wie ein halbes Wunder aus,
wenn die kleinen Dinger, die unter ihrer Bürde sast verschwanden, mit
den dünnen Beinchen ohne zu straucheln auf schmalen Kanten und über
glatte abschüssige Platten wie Ziegen bergauf und ab kletterten. Die
Pferde hatten dieselbe Geißennatur und dabei eine Zähigkeit im Entbeh¬
ren, wie sie wol nur noch in der Wüste gefunden wird. Im Durchschnitt legten
wir täglich elf Stunden zurück. In achtzehn Tagen gab es nur einen halben
Rasttag. In der Ebne wurde oft halbe Stunden hintereinander scharfer Trab,
Galopp und selbst Carriere geritten. Im Gebirge spornten wir die Thiere
zum Erklimmen von Höhen, gegen die der Ritt eine Treppe hinauf ein Scherz
gewesen wäre. Dabei erhielten sie nur früh und Abends etwas Gerste, und
wiederholt geschah es, daß sie an Orten, wo das Wasser bezahlt werden mußte,
die ganze Nacht hindurch und noch einige Stunden des Morgens ungetränkt
blieben.

Spiro war ein wunderliches Gemisch von Naivetät und Geriebenheit.
Er log, so oft er den Mund aufthat, log oft ganz ohne Aussicht auf Vor¬
theil, log wie die Kinder sich selbst an, indem er für wahr hielt, was seine
Einbildung ihm vorspiegelte. - In der Regel aber geschah es, entweder um


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[0439] jacke und eine Fustanella, die einmal weiß gewesen sein mochte, jetzt aber, selbst auf die Folter gespannt, nicht hätte angeben können, welcher Farbe sie an¬ gehörte. Stets geneigt, auf seinem Packsattel in der Art einer Dame zu reiten, wenig gesprächig, griesgrämig, nahm er sich, wenn ihn bei regnigem Wetter sein brauner Mantel einhüllte, wie eine Gestalt aus der Welt der Berg¬ zwerge aus. Er hörte (wenn er wollte) auf den Namen Barba Anthoni, Onkel Anton. Seine Bestimmung war außer der Wartung der Pferde, dadurch, daß er sich unaufhörlich im Kopfe kratzte, uns zu erinnern, daß wir sehr unklug gehandelt, uns nicht mit Jnsektenpulver zu versehen. Auch secundirte er gelegentlich dem Maulthiertreiber, wenn dieser — was des Tags mindestens dreimal geschah — sich mit Fluchen und Schwören, rollenden Augen und furchtbaren Verrenkungen über die großen Entfernungen beschwerte, die wir nach unsern, Plane täglich zurücklegten. Letzterer, Kristo genannt, ebenfalls national ge¬ kleidet bis auf das Fez über dem Strohhut, ebenfalls ziemlich schmuzig, war die Caricatur des neugriechischen Gesichtstypus, d. h. das Streben seiner Nase, sich dem Kinn zu vermählen, war dem Erfolg so nahe, daß ich überzeugt bin, im Alter, wenn das Hinderniß der Zähne wegfällt, kriegen sie sich. Groß, breitschulterig, starkknochig stieg er unaufhörlich murrend und brummend hin¬ ter seinen drei Maulthieren her. Konnte er zu unsrer Flasche, so waren wir sicher am Ziele der Tagereise ohne Wein, er aber voll Laune, voll Lust zum Singen und doppelt so dienstfertig gegen uns, die „Effendis", als ihn im nüchternen Zustande die Hoffnung auf ein Backschisch beim Abschied sein ließ. Seine Thiere leisteten Unglaubliches, und es sah wie ein halbes Wunder aus, wenn die kleinen Dinger, die unter ihrer Bürde sast verschwanden, mit den dünnen Beinchen ohne zu straucheln auf schmalen Kanten und über glatte abschüssige Platten wie Ziegen bergauf und ab kletterten. Die Pferde hatten dieselbe Geißennatur und dabei eine Zähigkeit im Entbeh¬ ren, wie sie wol nur noch in der Wüste gefunden wird. Im Durchschnitt legten wir täglich elf Stunden zurück. In achtzehn Tagen gab es nur einen halben Rasttag. In der Ebne wurde oft halbe Stunden hintereinander scharfer Trab, Galopp und selbst Carriere geritten. Im Gebirge spornten wir die Thiere zum Erklimmen von Höhen, gegen die der Ritt eine Treppe hinauf ein Scherz gewesen wäre. Dabei erhielten sie nur früh und Abends etwas Gerste, und wiederholt geschah es, daß sie an Orten, wo das Wasser bezahlt werden mußte, die ganze Nacht hindurch und noch einige Stunden des Morgens ungetränkt blieben. Spiro war ein wunderliches Gemisch von Naivetät und Geriebenheit. Er log, so oft er den Mund aufthat, log oft ganz ohne Aussicht auf Vor¬ theil, log wie die Kinder sich selbst an, indem er für wahr hielt, was seine Einbildung ihm vorspiegelte. - In der Regel aber geschah es, entweder um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/439>, abgerufen am 23.07.2024.