Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.das sich die vor unserm Zelte schwankende Laterne verwandelt hatte. Der Wir waren diesen Tag neun Stunden zu Pferde gewesen, und so schliefen Je höher wir kamen, desto rauher und holperiger wurde der Pfad. das sich die vor unserm Zelte schwankende Laterne verwandelt hatte. Der Wir waren diesen Tag neun Stunden zu Pferde gewesen, und so schliefen Je höher wir kamen, desto rauher und holperiger wurde der Pfad. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106247"/> <p xml:id="ID_1213" prev="#ID_1212"> das sich die vor unserm Zelte schwankende Laterne verwandelt hatte. Der<lb/> Sänger schwieg endlich, und nur der Cicadengesang ging sort wie die Schwin¬<lb/> gungen des Echos, als plötzlich droben auf der Höhe der Stadt in lang¬<lb/> gezogenen Tönen eine andere Stimme sich vornehmen ließ. Ich dachte an<lb/> den Morgen in Kairo, wo ich zuerst den Ruf des Mueddin zum Gebet ge¬<lb/> hört. Mein Reisegefährte sagte lachend: „Der Nachtwächter von Megara!<lb/> Wir sollen zu Bett gehen." Hundegebell aus allen Höfen der Stadt antwor¬<lb/> tete dem Rufer oben und das wüste, durch Mark und Bein schneidende Ge¬<lb/> schrei eines Esels, den er von seiner Streu gestört, zerriß das Gewebe von<lb/> Träumen, das sich zu bilden begonnen, völlig. Selbst die Cicaden ver¬<lb/> stummten erschrocken vor dem Aah-aho des Langohrs, das sich Ruhe aus¬<lb/> gebeten. Wir kehrten nach dem Zelt zurück und erfuhren hier, daß mein<lb/> Mueddin nicht einmal ein Nachtwächter, sondern ein ganz gewöhnlicher Aus¬<lb/> rufer war. der den Megarensern nach Landesgewohnheit verkündete, wer in<lb/> den nächsten Tagen nichts Besseres vorzunehmen wüßte, solle hingehen und<lb/> die ihm vom Gesetz auferlegte Arbeit beim Straßenbau thun. Es war uns<lb/> jetzt klar, weshalb der Esel so laut aufgeschrien hatte. Es war eine unge¬<lb/> haltene Verwahrung gegen die Zumuthung gewesen, die auch ihm gegolten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1214"> Wir waren diesen Tag neun Stunden zu Pferde gewesen, und so schliefen<lb/> wir in unserm Zelte trotz des Windes, den der Sturmbaum angekündigt,<lb/> vortrefflich, bis uns die Hähne weckten. Das nächste Nachtlager sollte in<lb/> Korinth sein, und wir mußten darum sehr zeitig aufbrechen. Es dämmerte<lb/> noch, als wir über das südwestliche Ende der Ebne auf die Vorberge der<lb/> Gcrania zürnten, die sich wie ein ungeheurer Wall über die Nvrdhülste des<lb/> Isthmus bis an seinen schmalsten Theil hinlagert. Von den Pfaden, welche<lb/> daran hinführen, schlugen wir den längs der Südküste ein. welcher der nächste,<lb/> aber auch der beschwerlichste ist. Es ist die Straße, welche die Alten nach<lb/> dem tückischen Skiron, jenem Bekannten aus der Zeit unsrer ersten Be¬<lb/> schäftigung mit der Mythologie, der hier die Wanderer zwang, ihm die<lb/> Füße zu waschen und sie dann unversehens in den Abgrund stieß, bis Theseus<lb/> ihm Gleiches mit Gleichem vergalt, dle skironische nannten. Später legte<lb/> Hadrian hier eine großartige Kunststraße an, die aber so verfallen ist, daß<lb/> man den Weg jetzt als „Kali Skala", böse Treppe, bezeichnet. Was das<lb/> hier zu Lande bedeute, sollten wir bald erfahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1215" next="#ID_1216"> Je höher wir kamen, desto rauher und holperiger wurde der Pfad.<lb/> Plötzlich, nach einer Biegung um die Bergwand, erblickten wir vor uns das<lb/> Meer, und eine Strecke weiter lag es vierhundert Fuß tief hart neben dem<lb/> AbHange, an dessen Rande wir hinritten. Der schöne blaue Spiegel hatte<lb/> sich in einen drohend geöffneten Rachen verwandelt. Rechts erhob sich steil,<lb/> beinahe senkrecht, eine röthlich graue Klippeuwand, theilweise nackt, theilweise</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0436]
das sich die vor unserm Zelte schwankende Laterne verwandelt hatte. Der
Sänger schwieg endlich, und nur der Cicadengesang ging sort wie die Schwin¬
gungen des Echos, als plötzlich droben auf der Höhe der Stadt in lang¬
gezogenen Tönen eine andere Stimme sich vornehmen ließ. Ich dachte an
den Morgen in Kairo, wo ich zuerst den Ruf des Mueddin zum Gebet ge¬
hört. Mein Reisegefährte sagte lachend: „Der Nachtwächter von Megara!
Wir sollen zu Bett gehen." Hundegebell aus allen Höfen der Stadt antwor¬
tete dem Rufer oben und das wüste, durch Mark und Bein schneidende Ge¬
schrei eines Esels, den er von seiner Streu gestört, zerriß das Gewebe von
Träumen, das sich zu bilden begonnen, völlig. Selbst die Cicaden ver¬
stummten erschrocken vor dem Aah-aho des Langohrs, das sich Ruhe aus¬
gebeten. Wir kehrten nach dem Zelt zurück und erfuhren hier, daß mein
Mueddin nicht einmal ein Nachtwächter, sondern ein ganz gewöhnlicher Aus¬
rufer war. der den Megarensern nach Landesgewohnheit verkündete, wer in
den nächsten Tagen nichts Besseres vorzunehmen wüßte, solle hingehen und
die ihm vom Gesetz auferlegte Arbeit beim Straßenbau thun. Es war uns
jetzt klar, weshalb der Esel so laut aufgeschrien hatte. Es war eine unge¬
haltene Verwahrung gegen die Zumuthung gewesen, die auch ihm gegolten.
Wir waren diesen Tag neun Stunden zu Pferde gewesen, und so schliefen
wir in unserm Zelte trotz des Windes, den der Sturmbaum angekündigt,
vortrefflich, bis uns die Hähne weckten. Das nächste Nachtlager sollte in
Korinth sein, und wir mußten darum sehr zeitig aufbrechen. Es dämmerte
noch, als wir über das südwestliche Ende der Ebne auf die Vorberge der
Gcrania zürnten, die sich wie ein ungeheurer Wall über die Nvrdhülste des
Isthmus bis an seinen schmalsten Theil hinlagert. Von den Pfaden, welche
daran hinführen, schlugen wir den längs der Südküste ein. welcher der nächste,
aber auch der beschwerlichste ist. Es ist die Straße, welche die Alten nach
dem tückischen Skiron, jenem Bekannten aus der Zeit unsrer ersten Be¬
schäftigung mit der Mythologie, der hier die Wanderer zwang, ihm die
Füße zu waschen und sie dann unversehens in den Abgrund stieß, bis Theseus
ihm Gleiches mit Gleichem vergalt, dle skironische nannten. Später legte
Hadrian hier eine großartige Kunststraße an, die aber so verfallen ist, daß
man den Weg jetzt als „Kali Skala", böse Treppe, bezeichnet. Was das
hier zu Lande bedeute, sollten wir bald erfahren.
Je höher wir kamen, desto rauher und holperiger wurde der Pfad.
Plötzlich, nach einer Biegung um die Bergwand, erblickten wir vor uns das
Meer, und eine Strecke weiter lag es vierhundert Fuß tief hart neben dem
AbHange, an dessen Rande wir hinritten. Der schöne blaue Spiegel hatte
sich in einen drohend geöffneten Rachen verwandelt. Rechts erhob sich steil,
beinahe senkrecht, eine röthlich graue Klippeuwand, theilweise nackt, theilweise
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