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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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kung haben, weil er bei den einen wie bei den andern nur widrige Empfin¬
dungen erwecken kann." Wenn es ihr jetzt irgendwo damit gelänge, so würde
sie dies vorzüglich dem Umstände zu danken haben, weil ihr die allgemeine
Schwäche des entnervten Zeitgeistes und seine allgemeine Gleichgiltigkeit gegen
Religion keinen Widerstand entgegensetzen könnte. Es würde ihr blos des¬
wegen gelingen, weil das jetzige Geschlecht theils keinen Muth mehr hat, für
seine Ueberzeugung zu sterben, theils keine Ueberzeugung tnehr hat, für die es
sterben könnte; aber das neue Geschlecht, das unter ihrem Druck aufwüchse,
ja wol selbst noch ein Theil des alten würde zuverlässig durch den Druck selbst
den einen und den andern wieder erlangen, und zu den tausend alten Er- '
fahrungen der Weltgeschichte, welche schon die Unbezwingbarkeit des Menschen¬
geistes durch Gewalt erprobt und eben damit das Gähren seiner Natur er¬
wiesen haben, würde nur eine neue hinzukommen. Wenn also die natürliche
Folge solcher verunglückten Versuche die ist, daß die Gegensätze schärfer hervor¬
treten, so ist doch zugleich ein tieferes Eingehn auf den Inhalt der Lehren
damit verbunden, aus dem sich ergeben wird, wie viel beide Kirchen miteinan¬
der gemein haben. In der Entwicklung dieses Gemeinsamen geht Planck
offenbar zu weit, indem er die schärfsten Punkte abschleift; er hofft sogar auf
eine äußerliche partielle Gemeinsamkeit der beiden Kirchen und empfiehlt bis
dahin liebevolle Schonung in den unvermeidlichen Streitigkeiten.

Bei diesem Punkt knüpft Marheineke in seinem Sendschreiben an
Planck (Studien 1809) an. Nach ihm ist der größte Vortheil dieser Ver¬
einigungsversuche im Gegentheil, daß die Gleichgiltigkeit aufhört und daß die
Bekenntnisse sich wieder scharf voneinander sondern. Aus dem lauen, kraftlosen
Jndifferentismus hervorgegangen, haben seine Versuche grade die Wirkung,
das stagnirende religiöse Leben in Fluß zu bringen. "Um das wahre äußere
Verhältniß des Katholicismus und Protestantismus zu erkennen, muß man
durchaus, sich erhebend über die beiden Gegensätze, wie sie vor uns stehen,
und hinaufsteigend selbst über die historische Erscheinung beider zu demjenigen,
was beiden ideell in der Historie zu Grunde liegt, sich zuvor auf einen Stand-
Punkt gestellt haben, von wo ihr inneres Verhältniß einleuchtet und man ihr
beiderseitiges Leben aus dem gemeinsamen Quell einer höheren Einheit aus¬
fließen sieht." "Alle erscheinende Einheit kann nur die Einheit und Erschei¬
nung zweier Gegensätze sein; als wahrhaft lebendig sich darstellend in der
Welt kann die Einheit nur die Vereinigung zweier Getrennter sein, die eine
innere und nothwendige Beziehung aufeinander haben, und ohne jemals ganz
und vollkommen eins zu werden, doch wiederum nicht Wahrhaft und sich ent¬
gegengesetzt sein könnten, wären sie nicht innerlich eins. Nur dadurch offen¬
bart sich die Einheit, daß sie im strengsten Gegensatz erscheint; daher ist alles
Leben eine beständige Trennung und Sehnsucht nach Wiedervereinigung zu-


kung haben, weil er bei den einen wie bei den andern nur widrige Empfin¬
dungen erwecken kann." Wenn es ihr jetzt irgendwo damit gelänge, so würde
sie dies vorzüglich dem Umstände zu danken haben, weil ihr die allgemeine
Schwäche des entnervten Zeitgeistes und seine allgemeine Gleichgiltigkeit gegen
Religion keinen Widerstand entgegensetzen könnte. Es würde ihr blos des¬
wegen gelingen, weil das jetzige Geschlecht theils keinen Muth mehr hat, für
seine Ueberzeugung zu sterben, theils keine Ueberzeugung tnehr hat, für die es
sterben könnte; aber das neue Geschlecht, das unter ihrem Druck aufwüchse,
ja wol selbst noch ein Theil des alten würde zuverlässig durch den Druck selbst
den einen und den andern wieder erlangen, und zu den tausend alten Er- '
fahrungen der Weltgeschichte, welche schon die Unbezwingbarkeit des Menschen¬
geistes durch Gewalt erprobt und eben damit das Gähren seiner Natur er¬
wiesen haben, würde nur eine neue hinzukommen. Wenn also die natürliche
Folge solcher verunglückten Versuche die ist, daß die Gegensätze schärfer hervor¬
treten, so ist doch zugleich ein tieferes Eingehn auf den Inhalt der Lehren
damit verbunden, aus dem sich ergeben wird, wie viel beide Kirchen miteinan¬
der gemein haben. In der Entwicklung dieses Gemeinsamen geht Planck
offenbar zu weit, indem er die schärfsten Punkte abschleift; er hofft sogar auf
eine äußerliche partielle Gemeinsamkeit der beiden Kirchen und empfiehlt bis
dahin liebevolle Schonung in den unvermeidlichen Streitigkeiten.

Bei diesem Punkt knüpft Marheineke in seinem Sendschreiben an
Planck (Studien 1809) an. Nach ihm ist der größte Vortheil dieser Ver¬
einigungsversuche im Gegentheil, daß die Gleichgiltigkeit aufhört und daß die
Bekenntnisse sich wieder scharf voneinander sondern. Aus dem lauen, kraftlosen
Jndifferentismus hervorgegangen, haben seine Versuche grade die Wirkung,
das stagnirende religiöse Leben in Fluß zu bringen. „Um das wahre äußere
Verhältniß des Katholicismus und Protestantismus zu erkennen, muß man
durchaus, sich erhebend über die beiden Gegensätze, wie sie vor uns stehen,
und hinaufsteigend selbst über die historische Erscheinung beider zu demjenigen,
was beiden ideell in der Historie zu Grunde liegt, sich zuvor auf einen Stand-
Punkt gestellt haben, von wo ihr inneres Verhältniß einleuchtet und man ihr
beiderseitiges Leben aus dem gemeinsamen Quell einer höheren Einheit aus¬
fließen sieht." „Alle erscheinende Einheit kann nur die Einheit und Erschei¬
nung zweier Gegensätze sein; als wahrhaft lebendig sich darstellend in der
Welt kann die Einheit nur die Vereinigung zweier Getrennter sein, die eine
innere und nothwendige Beziehung aufeinander haben, und ohne jemals ganz
und vollkommen eins zu werden, doch wiederum nicht Wahrhaft und sich ent¬
gegengesetzt sein könnten, wären sie nicht innerlich eins. Nur dadurch offen¬
bart sich die Einheit, daß sie im strengsten Gegensatz erscheint; daher ist alles
Leben eine beständige Trennung und Sehnsucht nach Wiedervereinigung zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/419>, abgerufen am 23.07.2024.