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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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andern Wesens bedarf. Zugleich muß er aber ein bestimmtes Verhältniß zur
Endlichkeit haben, dem Geschöpf seiner Liebe, und um der Liebe willen in
der That eines Andern bedürftig sein: das sind zwei Wesensbestimmungen,
die sich widersprechen und die doch beide gleich nothwendig zum Begriff Got¬
tes gehören. Es liegt nahe, eine dritte hinzuzufügen, die Rückkehr aus der
Verendlichung zu sich selbst. Die Personen des Vaters und des sich selbst hin¬
gebenden Sohnes sind dadurch scharf gezeichnet; die dritte Person hat freilich
eine weniger greifbare Physiognomie, und die Kirche hat auch immer nach
einem greifbareren Symbol gesucht, wie denn z. B. im Katholicismus die Jung¬
frau und Mutter fast ganz den Platz des heiligen Geistes füllt. Diese und ähnliche
Deductionen finden wir zuerst in Dands Thcologumenen glänzend durchgeführt;
Hegel ist später noch scharfsinniger gewesen, und andere Theologen haben auch
das Ihre geleistet. Es bleibt dabei immer ein fühlbarer Uebelstand: die Kirche
verlegt die Offenbarung und Menschwerdung Gottes, den Sündenfall und die
Erlösung immer in eine bestimmte Zeit, und daraus läßt sich kein speculativer
Begriff herleiten. Daub hilft sich so, daß nicht die Menschwerdung selbst,
sondern nur das Bewußtsein der ewigen Menschwerdung einer bestimmten
Zeit angehört, wodurch freilich die Lehre des Katechismus nicht ganz gedeckt
wird. Der Abfall des Endlichen von Gott wird nicht ohne weiteres auf den
Begriff der Endlichkeit zurückgeführt. Richtig zwar ist der Mensch schon, so¬
fern er der Erscheinungswelt angehört: aber böse wird er erst, wenn er als
dieses erscheinende Einzelwesen etwas für sich sein will, wenn sein sich in sich
Reflectiren nicht zugleich ein sich Reflectiren in den absoluten Urgrund seines
und aller Wesen, in Gott ist; nicht die Selbstheit, sondern die Selbstsucht ist
Sünde. Daher auch die Versöhnung für den Menschen nicht, wie für die
Naturdinge, das natürliche Sterben ist, als die Auflösung der Individualität
in das allgemeine Leben, sondern das geistige Absterben der Eigenheit und
sich Hingeben an das göttliche Leben. Wie für die Welt nur der Tod der
wahre Erlöser ist, so für den Menschen die Religion, welche ihn über die An¬
hänglichkeit an sich und an die Welt erhebt.

In der Abhandlung über das theolo gische Element in den Wissen¬
schaften (Heidelberger Jahrbücher 1808) wird der Theologie ein sehr hoher
Platz angewiesen. "Was der Erde und dem Leben das Licht, was dem Staat
und seinen Gliedern die Religion, das ist für die Wissenschaften das theolo¬
gische Element in ihnen: Princip ihres Entstehens, Grund ihrer Erhaltung,
Trieb ihres Wachsthums und ihrer Vollendung. An ihm besitzt der Mensch
eine Erkenntniß, worin die Wahrheit und Gewißheit, folglich alle Erkenntnisse,
begründet sind." Solche Aeußerungen sind bemerkenswert!) in einer Zeit, wo
andere Schriftsteller, die mit dieser Richtung nichts zu thun hatten (z. B.
Adam Müller und K. L. v. Haller) in vollstem Ernst den Versuch mach-


andern Wesens bedarf. Zugleich muß er aber ein bestimmtes Verhältniß zur
Endlichkeit haben, dem Geschöpf seiner Liebe, und um der Liebe willen in
der That eines Andern bedürftig sein: das sind zwei Wesensbestimmungen,
die sich widersprechen und die doch beide gleich nothwendig zum Begriff Got¬
tes gehören. Es liegt nahe, eine dritte hinzuzufügen, die Rückkehr aus der
Verendlichung zu sich selbst. Die Personen des Vaters und des sich selbst hin¬
gebenden Sohnes sind dadurch scharf gezeichnet; die dritte Person hat freilich
eine weniger greifbare Physiognomie, und die Kirche hat auch immer nach
einem greifbareren Symbol gesucht, wie denn z. B. im Katholicismus die Jung¬
frau und Mutter fast ganz den Platz des heiligen Geistes füllt. Diese und ähnliche
Deductionen finden wir zuerst in Dands Thcologumenen glänzend durchgeführt;
Hegel ist später noch scharfsinniger gewesen, und andere Theologen haben auch
das Ihre geleistet. Es bleibt dabei immer ein fühlbarer Uebelstand: die Kirche
verlegt die Offenbarung und Menschwerdung Gottes, den Sündenfall und die
Erlösung immer in eine bestimmte Zeit, und daraus läßt sich kein speculativer
Begriff herleiten. Daub hilft sich so, daß nicht die Menschwerdung selbst,
sondern nur das Bewußtsein der ewigen Menschwerdung einer bestimmten
Zeit angehört, wodurch freilich die Lehre des Katechismus nicht ganz gedeckt
wird. Der Abfall des Endlichen von Gott wird nicht ohne weiteres auf den
Begriff der Endlichkeit zurückgeführt. Richtig zwar ist der Mensch schon, so¬
fern er der Erscheinungswelt angehört: aber böse wird er erst, wenn er als
dieses erscheinende Einzelwesen etwas für sich sein will, wenn sein sich in sich
Reflectiren nicht zugleich ein sich Reflectiren in den absoluten Urgrund seines
und aller Wesen, in Gott ist; nicht die Selbstheit, sondern die Selbstsucht ist
Sünde. Daher auch die Versöhnung für den Menschen nicht, wie für die
Naturdinge, das natürliche Sterben ist, als die Auflösung der Individualität
in das allgemeine Leben, sondern das geistige Absterben der Eigenheit und
sich Hingeben an das göttliche Leben. Wie für die Welt nur der Tod der
wahre Erlöser ist, so für den Menschen die Religion, welche ihn über die An¬
hänglichkeit an sich und an die Welt erhebt.

In der Abhandlung über das theolo gische Element in den Wissen¬
schaften (Heidelberger Jahrbücher 1808) wird der Theologie ein sehr hoher
Platz angewiesen. „Was der Erde und dem Leben das Licht, was dem Staat
und seinen Gliedern die Religion, das ist für die Wissenschaften das theolo¬
gische Element in ihnen: Princip ihres Entstehens, Grund ihrer Erhaltung,
Trieb ihres Wachsthums und ihrer Vollendung. An ihm besitzt der Mensch
eine Erkenntniß, worin die Wahrheit und Gewißheit, folglich alle Erkenntnisse,
begründet sind." Solche Aeußerungen sind bemerkenswert!) in einer Zeit, wo
andere Schriftsteller, die mit dieser Richtung nichts zu thun hatten (z. B.
Adam Müller und K. L. v. Haller) in vollstem Ernst den Versuch mach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/415>, abgerufen am 23.07.2024.