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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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land, um das Bild der Naturphilosophie zu gebrauchen, im Zustand der Po¬
larität. Zu seiner religiösen Natur gehört die besondere Gestaltung beider
religiösen Gegensätze. Es besteht die Orthodoxie von Seiten des protestan¬
tischen Deutschen darin, daß er den römischen Katholicismus und die durch
ihn bestimmte Kirche als ein vaterländisches Institut anerkenne und daß er
die auf Vernichtung der objectiven Religion gerichtete Tendenz der Ausklärungs¬
sucht ernstlich bekämpfe, und so besteht die Orthodoxie des römisch-katholischen
Deutschen darin, daß er der Tendenz zu einem herrschenden Priesterthum
widerstrebe. Ein Ketzer ist, wer seine eigne Kirche nach dem Vorbild der
andern modificiren will, oder sie verläßt, ein Ketzer, wer die andere Kirche,
die doch auch ein vaterländisches Institut ist, anfeindet.*) -- Es ist diese
Idee von der Polarität der beiden Kirchen der Gipfel der Doctrin. der wir
heute bei unsern, Tories wieder begegnen. Auch Stahl sucht nachzuweisen,
das Gedeihen der römisch-katholischen Kirche liege ebenso im Interesse des
aufrichtigen Protestanten wie des aufrichtigen Katholiken, da doch die ein¬
fachste Erfahrung lehrt, daß jede starke Religion ausschließend ist.

Im zweiten Band der Studien 1306 erschien die Abhandlung über die
Encyklopädie der Theologie, die vom Theologen verlangt, das Organ
für das Uebersinnliche in sich zu entwickeln und zu üben. Die Theologie ge¬
bietet dem Subject: willst du mein Inneres schauen und mich kennen lernen,
so durchdringe dich selbst zuvor mit dem Gefühl deiner Nichtigkeit und Nichts¬
würdigkeit, und bekämpfe mit aller Kraft, die dir deine Eitelkeit noch übrig¬
gelassen, den Dünkel deines Wissens und deiner Fertigkeit im Wissen, denn
nur Bescheidenheit und Demuth sind es, vor denen ich mich entschleiere und
mein Antlitz leuchten lasse. Dies ist auch der Standpunkt der llreolvg'u-
wevÄ, welche 1806 erschienen, in lateinischer Sprache, um dem Ungeweihten
von vornherein den Zugang abzuschneiden. Trotz des mystischen Inhalts ist
die Sprache von der reinsten Eleganz. Zum Verständniß dieser Schrift muß
man die Vorlesungen über die christliche Dogmatik zu Hilfe nehmen,
welche Daub zwei Jahre später hielt und im fünften Band der Studien ab¬
drucken ließ. Die kritische Philosophie hatte die bisherigen Beweise vom
Dasein Gottes dadurch widerlegt, daß die Vernunft immer nur zu Ideen,
aber nicht zur Existenz leite, Daub erwiedert darauf: die Vernunft ist nicht
Quelle, nur Medium, Organ der Erkenntniß Gottes; Quelle derselben ist die



*). Wunderlich klingt dazu der Schluß: "Ein Volk kann mit sammt seiner Religion von
der Erde verschwinden, aber die Religion an sich selbst nie! Ihr scheinbarer Untergang ist Auf.
gang; nur in den Gedanken der Menschen sind beide, ihr Untergang und Aufgang, vonein¬
ander getrennt. So geht die Sonne nie unter; nur in unserer sinnlichen Anschauung ist ihr
Aufgang von ihrem Untergang gesondert; in ihr selbst ist beides vereinigt: sie geht unter, in¬
dem sie aus-, und auf, indem sie untergeht."

land, um das Bild der Naturphilosophie zu gebrauchen, im Zustand der Po¬
larität. Zu seiner religiösen Natur gehört die besondere Gestaltung beider
religiösen Gegensätze. Es besteht die Orthodoxie von Seiten des protestan¬
tischen Deutschen darin, daß er den römischen Katholicismus und die durch
ihn bestimmte Kirche als ein vaterländisches Institut anerkenne und daß er
die auf Vernichtung der objectiven Religion gerichtete Tendenz der Ausklärungs¬
sucht ernstlich bekämpfe, und so besteht die Orthodoxie des römisch-katholischen
Deutschen darin, daß er der Tendenz zu einem herrschenden Priesterthum
widerstrebe. Ein Ketzer ist, wer seine eigne Kirche nach dem Vorbild der
andern modificiren will, oder sie verläßt, ein Ketzer, wer die andere Kirche,
die doch auch ein vaterländisches Institut ist, anfeindet.*) — Es ist diese
Idee von der Polarität der beiden Kirchen der Gipfel der Doctrin. der wir
heute bei unsern, Tories wieder begegnen. Auch Stahl sucht nachzuweisen,
das Gedeihen der römisch-katholischen Kirche liege ebenso im Interesse des
aufrichtigen Protestanten wie des aufrichtigen Katholiken, da doch die ein¬
fachste Erfahrung lehrt, daß jede starke Religion ausschließend ist.

Im zweiten Band der Studien 1306 erschien die Abhandlung über die
Encyklopädie der Theologie, die vom Theologen verlangt, das Organ
für das Uebersinnliche in sich zu entwickeln und zu üben. Die Theologie ge¬
bietet dem Subject: willst du mein Inneres schauen und mich kennen lernen,
so durchdringe dich selbst zuvor mit dem Gefühl deiner Nichtigkeit und Nichts¬
würdigkeit, und bekämpfe mit aller Kraft, die dir deine Eitelkeit noch übrig¬
gelassen, den Dünkel deines Wissens und deiner Fertigkeit im Wissen, denn
nur Bescheidenheit und Demuth sind es, vor denen ich mich entschleiere und
mein Antlitz leuchten lasse. Dies ist auch der Standpunkt der llreolvg'u-
wevÄ, welche 1806 erschienen, in lateinischer Sprache, um dem Ungeweihten
von vornherein den Zugang abzuschneiden. Trotz des mystischen Inhalts ist
die Sprache von der reinsten Eleganz. Zum Verständniß dieser Schrift muß
man die Vorlesungen über die christliche Dogmatik zu Hilfe nehmen,
welche Daub zwei Jahre später hielt und im fünften Band der Studien ab¬
drucken ließ. Die kritische Philosophie hatte die bisherigen Beweise vom
Dasein Gottes dadurch widerlegt, daß die Vernunft immer nur zu Ideen,
aber nicht zur Existenz leite, Daub erwiedert darauf: die Vernunft ist nicht
Quelle, nur Medium, Organ der Erkenntniß Gottes; Quelle derselben ist die



*). Wunderlich klingt dazu der Schluß: „Ein Volk kann mit sammt seiner Religion von
der Erde verschwinden, aber die Religion an sich selbst nie! Ihr scheinbarer Untergang ist Auf.
gang; nur in den Gedanken der Menschen sind beide, ihr Untergang und Aufgang, vonein¬
ander getrennt. So geht die Sonne nie unter; nur in unserer sinnlichen Anschauung ist ihr
Aufgang von ihrem Untergang gesondert; in ihr selbst ist beides vereinigt: sie geht unter, in¬
dem sie aus-, und auf, indem sie untergeht."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/413>, abgerufen am 23.07.2024.