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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Das Lied, das dazu gesungen wurde, war mir unverständlich, das Verfahren
aber genau so wie bei uns. Zwei Kinder treten sich gegenüber, reichen sich
die gehobenen Hände, bilden damit eine Art Thor und bestimmen dann heim¬
lich, welche Seite Himmel oder Hölle, Orange oder Citrone sein soll. Hier¬
auf kommen die übrigen, sich an den Händen fassend in langer Reihe gegen
dieses Brückenthor angelaufen und schlüpfen, während ein bestimmtes Lied
gesungen wird, unter den emporgehaltener Armen durch, bis diese als Fall¬
gatter auf den letzten hernnterfahren. Dieser hat nun zu wählen, ob er in
den Himmel oder die Holle, zur Orange oder Citrone will. Die andern be¬
ginnen ihren Lauf von neuem durch die Thorwölbung, um abermals den
letzten im Fallgatter zurückzulassen. Nachdem endlich alle gefangen sind und
sich entweder auf die eine oder die andere Seite gestellt haben, schließt das
Spiel mit einem Ringkampf zwischen den Parteien. Es nahm sich recht artig
aus, wie die kleinen Nothkäppchcn und Fustanellen durch die Brückenthür galo-
pirten.

Den folgenden Tag wurde der Akropolis ein dritter Besuch abgestattet.
Später sahen wir vor dem Schloß die Parade und oben am Fenster den
König, der noch immer die Nationaltracht trägt. Dann hörten wir in der
Kapelle des Palastes mit der Königin und der Mehrzahl der übrigen in
Athen lebenden Protestanten die Psingstprcdigt Pastor Hansens, die von der¬
selben Kanzel gehalten wurde, aus der eine halbe Stunde vorher der katholische
Kaplan des Königs gesprochen hatte. Der König sah kränklich aus und
scheint schlechte Augen zu haben. Seine Gemahlin ist noch immer eine
schöne stattliche Dame und noch immer die vassionirte Reiterin von ehedem.
Sie soll übrigens nicht so beliebt sein, als ihr Gemahl, vielleicht weil sie
energischer durchgreift, vielleicht auch weil ihre Fürsorge für das moralische
Wohl ihrer Unterthanen sich bisweilen über Gebiete erstreckte, welche die davon
Betroffenen sür privates Territorium hielten.

Für den zweiten Pfingsttag war mit andern Deutschen ein Ausflug nach
dem Pentelikon verabredet, an dessen Fuß das Landvolk von Attika an die¬
sem Tage alljährlich ein Fest feiert, bei welchem Männer und Weiber im
besten Putz erscheinen, auf dem Rasen gelagert schmausen und dann die Ro-
maika tanzen. Wir fuhren in der Frühe in zwei Wagen hinaus. Der Weg
führt östlich vom Lykabettus durch Felder und haideartige Flüchen, auf die
von Osten der Hymettus herabschaut. Vor uns und hinter uns und seitwärts
wimmelte es von Leuten zu Wagen und zu Pferd, die auch zum Feste wollten,
und namentlich von den Dörfern links von der Straße schlängelten sich aus
Nebenwegen lange Züge von Männern und Frauen hin. die in die buntesten
Farben gekleidet waren. Nach einer Fahrt von etwa dritthalb Stunden waren
wir am nördlichen Ende des Hymettus. der hier in schöner Verkürzung und


Das Lied, das dazu gesungen wurde, war mir unverständlich, das Verfahren
aber genau so wie bei uns. Zwei Kinder treten sich gegenüber, reichen sich
die gehobenen Hände, bilden damit eine Art Thor und bestimmen dann heim¬
lich, welche Seite Himmel oder Hölle, Orange oder Citrone sein soll. Hier¬
auf kommen die übrigen, sich an den Händen fassend in langer Reihe gegen
dieses Brückenthor angelaufen und schlüpfen, während ein bestimmtes Lied
gesungen wird, unter den emporgehaltener Armen durch, bis diese als Fall¬
gatter auf den letzten hernnterfahren. Dieser hat nun zu wählen, ob er in
den Himmel oder die Holle, zur Orange oder Citrone will. Die andern be¬
ginnen ihren Lauf von neuem durch die Thorwölbung, um abermals den
letzten im Fallgatter zurückzulassen. Nachdem endlich alle gefangen sind und
sich entweder auf die eine oder die andere Seite gestellt haben, schließt das
Spiel mit einem Ringkampf zwischen den Parteien. Es nahm sich recht artig
aus, wie die kleinen Nothkäppchcn und Fustanellen durch die Brückenthür galo-
pirten.

Den folgenden Tag wurde der Akropolis ein dritter Besuch abgestattet.
Später sahen wir vor dem Schloß die Parade und oben am Fenster den
König, der noch immer die Nationaltracht trägt. Dann hörten wir in der
Kapelle des Palastes mit der Königin und der Mehrzahl der übrigen in
Athen lebenden Protestanten die Psingstprcdigt Pastor Hansens, die von der¬
selben Kanzel gehalten wurde, aus der eine halbe Stunde vorher der katholische
Kaplan des Königs gesprochen hatte. Der König sah kränklich aus und
scheint schlechte Augen zu haben. Seine Gemahlin ist noch immer eine
schöne stattliche Dame und noch immer die vassionirte Reiterin von ehedem.
Sie soll übrigens nicht so beliebt sein, als ihr Gemahl, vielleicht weil sie
energischer durchgreift, vielleicht auch weil ihre Fürsorge für das moralische
Wohl ihrer Unterthanen sich bisweilen über Gebiete erstreckte, welche die davon
Betroffenen sür privates Territorium hielten.

Für den zweiten Pfingsttag war mit andern Deutschen ein Ausflug nach
dem Pentelikon verabredet, an dessen Fuß das Landvolk von Attika an die¬
sem Tage alljährlich ein Fest feiert, bei welchem Männer und Weiber im
besten Putz erscheinen, auf dem Rasen gelagert schmausen und dann die Ro-
maika tanzen. Wir fuhren in der Frühe in zwei Wagen hinaus. Der Weg
führt östlich vom Lykabettus durch Felder und haideartige Flüchen, auf die
von Osten der Hymettus herabschaut. Vor uns und hinter uns und seitwärts
wimmelte es von Leuten zu Wagen und zu Pferd, die auch zum Feste wollten,
und namentlich von den Dörfern links von der Straße schlängelten sich aus
Nebenwegen lange Züge von Männern und Frauen hin. die in die buntesten
Farben gekleidet waren. Nach einer Fahrt von etwa dritthalb Stunden waren
wir am nördlichen Ende des Hymettus. der hier in schöner Verkürzung und


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[0397] Das Lied, das dazu gesungen wurde, war mir unverständlich, das Verfahren aber genau so wie bei uns. Zwei Kinder treten sich gegenüber, reichen sich die gehobenen Hände, bilden damit eine Art Thor und bestimmen dann heim¬ lich, welche Seite Himmel oder Hölle, Orange oder Citrone sein soll. Hier¬ auf kommen die übrigen, sich an den Händen fassend in langer Reihe gegen dieses Brückenthor angelaufen und schlüpfen, während ein bestimmtes Lied gesungen wird, unter den emporgehaltener Armen durch, bis diese als Fall¬ gatter auf den letzten hernnterfahren. Dieser hat nun zu wählen, ob er in den Himmel oder die Holle, zur Orange oder Citrone will. Die andern be¬ ginnen ihren Lauf von neuem durch die Thorwölbung, um abermals den letzten im Fallgatter zurückzulassen. Nachdem endlich alle gefangen sind und sich entweder auf die eine oder die andere Seite gestellt haben, schließt das Spiel mit einem Ringkampf zwischen den Parteien. Es nahm sich recht artig aus, wie die kleinen Nothkäppchcn und Fustanellen durch die Brückenthür galo- pirten. Den folgenden Tag wurde der Akropolis ein dritter Besuch abgestattet. Später sahen wir vor dem Schloß die Parade und oben am Fenster den König, der noch immer die Nationaltracht trägt. Dann hörten wir in der Kapelle des Palastes mit der Königin und der Mehrzahl der übrigen in Athen lebenden Protestanten die Psingstprcdigt Pastor Hansens, die von der¬ selben Kanzel gehalten wurde, aus der eine halbe Stunde vorher der katholische Kaplan des Königs gesprochen hatte. Der König sah kränklich aus und scheint schlechte Augen zu haben. Seine Gemahlin ist noch immer eine schöne stattliche Dame und noch immer die vassionirte Reiterin von ehedem. Sie soll übrigens nicht so beliebt sein, als ihr Gemahl, vielleicht weil sie energischer durchgreift, vielleicht auch weil ihre Fürsorge für das moralische Wohl ihrer Unterthanen sich bisweilen über Gebiete erstreckte, welche die davon Betroffenen sür privates Territorium hielten. Für den zweiten Pfingsttag war mit andern Deutschen ein Ausflug nach dem Pentelikon verabredet, an dessen Fuß das Landvolk von Attika an die¬ sem Tage alljährlich ein Fest feiert, bei welchem Männer und Weiber im besten Putz erscheinen, auf dem Rasen gelagert schmausen und dann die Ro- maika tanzen. Wir fuhren in der Frühe in zwei Wagen hinaus. Der Weg führt östlich vom Lykabettus durch Felder und haideartige Flüchen, auf die von Osten der Hymettus herabschaut. Vor uns und hinter uns und seitwärts wimmelte es von Leuten zu Wagen und zu Pferd, die auch zum Feste wollten, und namentlich von den Dörfern links von der Straße schlängelten sich aus Nebenwegen lange Züge von Männern und Frauen hin. die in die buntesten Farben gekleidet waren. Nach einer Fahrt von etwa dritthalb Stunden waren wir am nördlichen Ende des Hymettus. der hier in schöner Verkürzung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/397>, abgerufen am 23.07.2024.