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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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herübergekommen. Später hatte er mit seiner Frau, einer Tirolerin, auf dem
Pentelikon für die deutschen Steinmetzen, die dort für den Rcsidcnzbau arbei¬
teten, eine Wirthschaft gehalten und damit viel Geld verdient. Als diese
weggegangen, hatte er ebenfalls weggewollt, sich aber von den Beamten be¬
reden lassen zu bleiben und einen Contract zu übernehmen, durch den er sich
verflichtete, Steine für den Bau zu fahren. Zu diesem Zweck hatte er seine
Ersparnisse in Wagen und Pferde gesteckt. Da war plötzlich der Vertrag für
aufgehoben erklärt und ein Grieche als Fuhrmann bestellt worden. Es war
unserm Deutschen nichts übrig geblieben, als sein Geschirr sammt seinen vier¬
zehn Pferden für die Hälfte des Werthes zu verkaufen und dann sein Recht
zu suchen. Das hatte er gethan, aber zunächst nur Vertröstungen erlangt.
Ein Fußfall vor dem König war erfolgreicher gewesen. Man hatte ihn aus
das Hofmarschallamt gerufen, ihm 2100 Drachmen Entschädigung zugesagt,
ihm auch sofort ein Drittel der Summe ausgezahlt und den Nest abzutragen
versprochen, wenn es mit der Kasse besser stünde. Es hatte sich indeß damit
nicht so rasch bessern wollen, und inzwischen war die Revolution von 1843
drein gekommen und das "Syntagma" -- die Verfassung -- "wo der gute
König nicht mehr konnte wie er wollte", und so hatte der Mann trotz flei¬
ßigsten Querulirens und Petitionirens keinen Lepra mehr bekommen. "Wäre
es nach meiner Frau gegangen," schloß er sein Klagelied) "so hätten wir uns,
wie es mit der Wirthschaft aus war, heimgemacht, und ich hätte mir für
meine fünftausend Drachmen in Baiern ein hübsches Bauergütchen angeschafft.
So aber bin ich mit dem verdammten Fuhrwerk und dem vermaledeiten
Syntagma (hier spuckte er in die Hände und knallte seinen Ingrimm mit
einem zornmüthigen Pcitschenschwung aus, bei dem er mir wie ein bösgc-
machter elektrischer Aal vorkam) ein armer Teufel geworden, der (hier knallte
die Peitsche abermals) nicht einmal ein ordentliches Hemd auf dem Leibe
hat."

Von der Niederlassung, der er seit fünfzehn Jahren angehörte, wußte er
ebenso wenig Erfreuliches zu melden. Sie wäre auf 36 Familien berechnet
gewesen, es befänden sich aber nur noch 24 dort. Die übrigen wären ver¬
dorben und weggezogen. Man hätte ihnen meist schlechtes Land angewiesen,
und so bauten sie wenig mehr als etwas Wein, und auch der wäre ihnen
jetzt drei Jahre hintereinander verhagelt. Dazu käme, fuhr er fort, daß die
Colonisten nur zum kleinsten Theile ursprünglich Bauern, sondern hauptsäch¬
lich Handwerker und zwar meist Schneider gewesen seien, die als Soldaten
of Land gekommen wären. "So wußten sie sich nicht zu helfen," endigte
er seinen Bericht, "und in ihrem Aerger darüber, daß es nicht vorwärts
wollte, tranken sie zu viel von ihrem eignen Wein, und da ist mehr als einer
drin stecken geblieben, und auch mit uns andern steht es so,.daß wir heutigen


Grenzboten III. 18ö3. 49

herübergekommen. Später hatte er mit seiner Frau, einer Tirolerin, auf dem
Pentelikon für die deutschen Steinmetzen, die dort für den Rcsidcnzbau arbei¬
teten, eine Wirthschaft gehalten und damit viel Geld verdient. Als diese
weggegangen, hatte er ebenfalls weggewollt, sich aber von den Beamten be¬
reden lassen zu bleiben und einen Contract zu übernehmen, durch den er sich
verflichtete, Steine für den Bau zu fahren. Zu diesem Zweck hatte er seine
Ersparnisse in Wagen und Pferde gesteckt. Da war plötzlich der Vertrag für
aufgehoben erklärt und ein Grieche als Fuhrmann bestellt worden. Es war
unserm Deutschen nichts übrig geblieben, als sein Geschirr sammt seinen vier¬
zehn Pferden für die Hälfte des Werthes zu verkaufen und dann sein Recht
zu suchen. Das hatte er gethan, aber zunächst nur Vertröstungen erlangt.
Ein Fußfall vor dem König war erfolgreicher gewesen. Man hatte ihn aus
das Hofmarschallamt gerufen, ihm 2100 Drachmen Entschädigung zugesagt,
ihm auch sofort ein Drittel der Summe ausgezahlt und den Nest abzutragen
versprochen, wenn es mit der Kasse besser stünde. Es hatte sich indeß damit
nicht so rasch bessern wollen, und inzwischen war die Revolution von 1843
drein gekommen und das „Syntagma" — die Verfassung — „wo der gute
König nicht mehr konnte wie er wollte", und so hatte der Mann trotz flei¬
ßigsten Querulirens und Petitionirens keinen Lepra mehr bekommen. „Wäre
es nach meiner Frau gegangen," schloß er sein Klagelied) „so hätten wir uns,
wie es mit der Wirthschaft aus war, heimgemacht, und ich hätte mir für
meine fünftausend Drachmen in Baiern ein hübsches Bauergütchen angeschafft.
So aber bin ich mit dem verdammten Fuhrwerk und dem vermaledeiten
Syntagma (hier spuckte er in die Hände und knallte seinen Ingrimm mit
einem zornmüthigen Pcitschenschwung aus, bei dem er mir wie ein bösgc-
machter elektrischer Aal vorkam) ein armer Teufel geworden, der (hier knallte
die Peitsche abermals) nicht einmal ein ordentliches Hemd auf dem Leibe
hat."

Von der Niederlassung, der er seit fünfzehn Jahren angehörte, wußte er
ebenso wenig Erfreuliches zu melden. Sie wäre auf 36 Familien berechnet
gewesen, es befänden sich aber nur noch 24 dort. Die übrigen wären ver¬
dorben und weggezogen. Man hätte ihnen meist schlechtes Land angewiesen,
und so bauten sie wenig mehr als etwas Wein, und auch der wäre ihnen
jetzt drei Jahre hintereinander verhagelt. Dazu käme, fuhr er fort, daß die
Colonisten nur zum kleinsten Theile ursprünglich Bauern, sondern hauptsäch¬
lich Handwerker und zwar meist Schneider gewesen seien, die als Soldaten
of Land gekommen wären. „So wußten sie sich nicht zu helfen," endigte
er seinen Bericht, „und in ihrem Aerger darüber, daß es nicht vorwärts
wollte, tranken sie zu viel von ihrem eignen Wein, und da ist mehr als einer
drin stecken geblieben, und auch mit uns andern steht es so,.daß wir heutigen


Grenzboten III. 18ö3. 49
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/393>, abgerufen am 23.07.2024.