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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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mögen die fürstlichen Perückenträger auf ihnen gemacht haben von dem Präg¬
stock des Münzmeistcrs an Rhein und Elbe bis herunter zum Fuß der Akro-
polis, und was für Abenteuer würden sie erzählen können, wenn sie Stimme
hätten!

Wir hatten erfahren, daß sich zwei Stunden nördlich von Athen eine
Colonie von deutschen Landleuten befinde, und nachdem unsere erste Wande¬
rung durch die Stadt beendigt war. machten wir uns eines schönen Morgens
auf den Weg dahin. Der Ort heißt nach einem Heiligthum des Herakles,
welches dort herum gestanden haben soll, Erakli und ist ohne viel Fragen
zu finden. Auf der von den Franzosen während der Occupation angelegten
Chaussee, welche die Fortsetzung der Aeolusstraße bildet, gelangten wir kurz
nach Sonnenaufgang nach dem Dorfe Patissia. Vor uns hatten wir das
prächtige Bild der violetten Gipfel und Flanken und der blauschwarzen Schluch¬
ten des Parnes und Pentelikon, links die baumreiche Niederung des Kephissus,
in welcher Nachtigallen ihren Hymnus auf die Morgensonne sangen, rechts
Gerstenfelder und mit Unkraut und Lavendel bestandene Bracher, über denen
sich die spitze Felskuppe des Lykabettus und weiter nördlich ein ähnlich ge¬
formter Hügel erhob. Em Stück weiter zweigt der Weg rechts von der Chaus¬
see ab und führt an einer einsamen Wassermühle vorüber durch eine morastige
Niederung, neben welcher der Fels in großen Blöcken aus dem Erdreich tritt.
An dem Bache, der die Mühle treibt, erfreute uns zum ersten Male wild¬
wachsender Oleander mit seinen anmuthigen rothen Kelchblumen. Doch sahen
wir hier zugleich die erste griechische Schlange. Als wir, verfolgt von dem
"Brekekekex Koax Koax" aristophanischer Frösche, nach dem Kamm der vor
uns liegenden Hügelwelle hinaufstiegen und oben in der Ferne das Thürm¬
chen der kleinen gelben Kirche von Erakli erblickten, ließen wir uns, indem
wir in einer halben Stunde in dem Orte zu sein meinten, während es noch
reichlich doppelt so weit dahin ist, zum ersten Male von der Klarheit der
griechischen Luft über Raum und Zeit täuschen. Endlich begegnete uns einige
hundert Schritte von hier auf einem mit zwei kleinen dürren Gäulen bespann¬
ten Leiterwagen der erste Bewohner der Colonie. Die deutsche Bauerntracht,
die Maserpfeife ließ ihn trotz des gewaltigen griechischen Schnurrbarts nicht
verkennen. Auf unser "Guten Morgen" hielt er an, und nicht sobald hatte
ich ihn nach den Verhältnissen der Niederlassung gefragt, als er im gediegen¬
sten Südbaierisch eine ganze Litanei von Klagen über seinen und seiner Mit-
ansiedlcr kläglichen, jämmerlichen, erbärmlichen Zustand vortrug, so daß ich,
wenn mir nicht zu rechter Zeit noch eingefallen wäre, daß eines Mannes
Rede keines Mannes Rede ist, umgekehrt sein würde, um mich nicht unnützer¬
weise zu ärgern.

Er war aus der Gegend von Ingolstadt und mit dem König als Ulan


mögen die fürstlichen Perückenträger auf ihnen gemacht haben von dem Präg¬
stock des Münzmeistcrs an Rhein und Elbe bis herunter zum Fuß der Akro-
polis, und was für Abenteuer würden sie erzählen können, wenn sie Stimme
hätten!

Wir hatten erfahren, daß sich zwei Stunden nördlich von Athen eine
Colonie von deutschen Landleuten befinde, und nachdem unsere erste Wande¬
rung durch die Stadt beendigt war. machten wir uns eines schönen Morgens
auf den Weg dahin. Der Ort heißt nach einem Heiligthum des Herakles,
welches dort herum gestanden haben soll, Erakli und ist ohne viel Fragen
zu finden. Auf der von den Franzosen während der Occupation angelegten
Chaussee, welche die Fortsetzung der Aeolusstraße bildet, gelangten wir kurz
nach Sonnenaufgang nach dem Dorfe Patissia. Vor uns hatten wir das
prächtige Bild der violetten Gipfel und Flanken und der blauschwarzen Schluch¬
ten des Parnes und Pentelikon, links die baumreiche Niederung des Kephissus,
in welcher Nachtigallen ihren Hymnus auf die Morgensonne sangen, rechts
Gerstenfelder und mit Unkraut und Lavendel bestandene Bracher, über denen
sich die spitze Felskuppe des Lykabettus und weiter nördlich ein ähnlich ge¬
formter Hügel erhob. Em Stück weiter zweigt der Weg rechts von der Chaus¬
see ab und führt an einer einsamen Wassermühle vorüber durch eine morastige
Niederung, neben welcher der Fels in großen Blöcken aus dem Erdreich tritt.
An dem Bache, der die Mühle treibt, erfreute uns zum ersten Male wild¬
wachsender Oleander mit seinen anmuthigen rothen Kelchblumen. Doch sahen
wir hier zugleich die erste griechische Schlange. Als wir, verfolgt von dem
„Brekekekex Koax Koax" aristophanischer Frösche, nach dem Kamm der vor
uns liegenden Hügelwelle hinaufstiegen und oben in der Ferne das Thürm¬
chen der kleinen gelben Kirche von Erakli erblickten, ließen wir uns, indem
wir in einer halben Stunde in dem Orte zu sein meinten, während es noch
reichlich doppelt so weit dahin ist, zum ersten Male von der Klarheit der
griechischen Luft über Raum und Zeit täuschen. Endlich begegnete uns einige
hundert Schritte von hier auf einem mit zwei kleinen dürren Gäulen bespann¬
ten Leiterwagen der erste Bewohner der Colonie. Die deutsche Bauerntracht,
die Maserpfeife ließ ihn trotz des gewaltigen griechischen Schnurrbarts nicht
verkennen. Auf unser „Guten Morgen" hielt er an, und nicht sobald hatte
ich ihn nach den Verhältnissen der Niederlassung gefragt, als er im gediegen¬
sten Südbaierisch eine ganze Litanei von Klagen über seinen und seiner Mit-
ansiedlcr kläglichen, jämmerlichen, erbärmlichen Zustand vortrug, so daß ich,
wenn mir nicht zu rechter Zeit noch eingefallen wäre, daß eines Mannes
Rede keines Mannes Rede ist, umgekehrt sein würde, um mich nicht unnützer¬
weise zu ärgern.

Er war aus der Gegend von Ingolstadt und mit dem König als Ulan


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[0392] mögen die fürstlichen Perückenträger auf ihnen gemacht haben von dem Präg¬ stock des Münzmeistcrs an Rhein und Elbe bis herunter zum Fuß der Akro- polis, und was für Abenteuer würden sie erzählen können, wenn sie Stimme hätten! Wir hatten erfahren, daß sich zwei Stunden nördlich von Athen eine Colonie von deutschen Landleuten befinde, und nachdem unsere erste Wande¬ rung durch die Stadt beendigt war. machten wir uns eines schönen Morgens auf den Weg dahin. Der Ort heißt nach einem Heiligthum des Herakles, welches dort herum gestanden haben soll, Erakli und ist ohne viel Fragen zu finden. Auf der von den Franzosen während der Occupation angelegten Chaussee, welche die Fortsetzung der Aeolusstraße bildet, gelangten wir kurz nach Sonnenaufgang nach dem Dorfe Patissia. Vor uns hatten wir das prächtige Bild der violetten Gipfel und Flanken und der blauschwarzen Schluch¬ ten des Parnes und Pentelikon, links die baumreiche Niederung des Kephissus, in welcher Nachtigallen ihren Hymnus auf die Morgensonne sangen, rechts Gerstenfelder und mit Unkraut und Lavendel bestandene Bracher, über denen sich die spitze Felskuppe des Lykabettus und weiter nördlich ein ähnlich ge¬ formter Hügel erhob. Em Stück weiter zweigt der Weg rechts von der Chaus¬ see ab und führt an einer einsamen Wassermühle vorüber durch eine morastige Niederung, neben welcher der Fels in großen Blöcken aus dem Erdreich tritt. An dem Bache, der die Mühle treibt, erfreute uns zum ersten Male wild¬ wachsender Oleander mit seinen anmuthigen rothen Kelchblumen. Doch sahen wir hier zugleich die erste griechische Schlange. Als wir, verfolgt von dem „Brekekekex Koax Koax" aristophanischer Frösche, nach dem Kamm der vor uns liegenden Hügelwelle hinaufstiegen und oben in der Ferne das Thürm¬ chen der kleinen gelben Kirche von Erakli erblickten, ließen wir uns, indem wir in einer halben Stunde in dem Orte zu sein meinten, während es noch reichlich doppelt so weit dahin ist, zum ersten Male von der Klarheit der griechischen Luft über Raum und Zeit täuschen. Endlich begegnete uns einige hundert Schritte von hier auf einem mit zwei kleinen dürren Gäulen bespann¬ ten Leiterwagen der erste Bewohner der Colonie. Die deutsche Bauerntracht, die Maserpfeife ließ ihn trotz des gewaltigen griechischen Schnurrbarts nicht verkennen. Auf unser „Guten Morgen" hielt er an, und nicht sobald hatte ich ihn nach den Verhältnissen der Niederlassung gefragt, als er im gediegen¬ sten Südbaierisch eine ganze Litanei von Klagen über seinen und seiner Mit- ansiedlcr kläglichen, jämmerlichen, erbärmlichen Zustand vortrug, so daß ich, wenn mir nicht zu rechter Zeit noch eingefallen wäre, daß eines Mannes Rede keines Mannes Rede ist, umgekehrt sein würde, um mich nicht unnützer¬ weise zu ärgern. Er war aus der Gegend von Ingolstadt und mit dem König als Ulan

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/392>, abgerufen am 23.07.2024.