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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Neben dem Theseion breitete sich einst die Agora, deEMarkt von Athen
mit seinen Hallen aus. Jetzt ist hier ein Exercirplatz.

Geht man von hier nach der im Nordosten gelegenen nächsten Kirche hin
und wendet man sich von dieser in die nach Süden führende enge Gasse, so
gelangt man nach einigen vierzig Schritten an einen offnen Hof, in welchem
die fälschlich sogenannten Giganten stehen, große, jetzt kopf- und armlose Mar¬
morbilder von geringem Kunstwerth, deren Füße in Schlangen- oder Fisch¬
schwänze endigen, und die wahrscheinlich einige von den zwölf Heroen darstellten,
nach denen sich die Stämme der attischen Bevölkerung nannten. Noch weiter
südlich bei einer zweiten Kirche stößt man aus Reste eines Baues, in dem
man das Rathhaus des alten Athen vermuthet. Oestlich aber von den Gi¬
ganten erheben sich auf einem kleinen freien Platze die Ueberbleibsel des zur
Zeit des Augustus errichteten Thores der Athene Archegetis, vier dorische
Säulen mit einem breiten Durchgang in der Mitte und zwei engeren an bei¬
den Seiten. Noch eine Strecke weiter nach Osten in der Nähe einer alten
Palme und verschiedener türkischer Kuppelbauten steht auf der Aeolusstraße
der Thurm der Winde. Dieser achteckige, sehr wenig beschädigte Bau, von
dem Syrer Andronikos Kyrrhestes 35 v. Chr. errichtet, war der Wetterzeiger
und zugleich die Stadtuhr von Athen. Auf der Spitze des Daches, die Aehn-
lichkeit mit einem Säulenkapitäl hatte, war ein beweglicher Triton angebracht,
welcher mit einem Stäbe in der Rechten die Richtung angab, von wo der
Wind herkam. An den Seitenflächen, die den acht Hauptgegenden der Wind¬
rose zugekehrt sind, sieht man die kolossalen geflügelten Gestalten der Wind¬
gottheiten in Relief abgebildet. Darüber befinden sich theilweis lesbare In¬
schriften, welche deren Namen nennen. In die Aeolusstraße hinab schaut Bo-
reas, der Nordwind. Dieser bringt hier selten Regen, wol aber braust er meist
mit großer Heftigkeit über das Land und im Winter erzeugt er durchdringende
Kälte. Dem entsprechend ist er hier als unfreundlicher langbärtiger Greis mit
faltigem Antlitz dargestellt. Ein weiter Mantel hüllt ihn ein, und an den Mund
hält er eine Trompetenmuschel. Gehen wir links um den Thurm, so folgt
Kaikias, der Nordostwind. Auch er hat die Gestalt eines alten bärtigen Man¬
nes. In seinen Armen halt er einen Schild, aus dem er Hagelkörner und
Regentropfen schüttet; denn der Nordost sührt in Attika Hagel, Schnee und
schwere Regengüsse herbei. Der Apeliotcs oder Ostwind bringt im Sommer
feuchte Luft und Regen nach Athen, und da er damit das Gedeihen der Feld-
früchte und Bäume fördert, so trägt er hier in seinem weiten Mantel Aehren
und Obst. Uebrigens hat er keinen Bart. Der Euros oder Südost ist eben¬
falls ein Negenwind, sein Bild ist bärtig und hat lange fliegende Haare, die
wie sein flatternder Mantel seine Heftigkeit andeuten. Rolof, der Südwind
ist wie die folgenden Brüder als bartloser Jüngling dargestellt. Er bringt


Neben dem Theseion breitete sich einst die Agora, deEMarkt von Athen
mit seinen Hallen aus. Jetzt ist hier ein Exercirplatz.

Geht man von hier nach der im Nordosten gelegenen nächsten Kirche hin
und wendet man sich von dieser in die nach Süden führende enge Gasse, so
gelangt man nach einigen vierzig Schritten an einen offnen Hof, in welchem
die fälschlich sogenannten Giganten stehen, große, jetzt kopf- und armlose Mar¬
morbilder von geringem Kunstwerth, deren Füße in Schlangen- oder Fisch¬
schwänze endigen, und die wahrscheinlich einige von den zwölf Heroen darstellten,
nach denen sich die Stämme der attischen Bevölkerung nannten. Noch weiter
südlich bei einer zweiten Kirche stößt man aus Reste eines Baues, in dem
man das Rathhaus des alten Athen vermuthet. Oestlich aber von den Gi¬
ganten erheben sich auf einem kleinen freien Platze die Ueberbleibsel des zur
Zeit des Augustus errichteten Thores der Athene Archegetis, vier dorische
Säulen mit einem breiten Durchgang in der Mitte und zwei engeren an bei¬
den Seiten. Noch eine Strecke weiter nach Osten in der Nähe einer alten
Palme und verschiedener türkischer Kuppelbauten steht auf der Aeolusstraße
der Thurm der Winde. Dieser achteckige, sehr wenig beschädigte Bau, von
dem Syrer Andronikos Kyrrhestes 35 v. Chr. errichtet, war der Wetterzeiger
und zugleich die Stadtuhr von Athen. Auf der Spitze des Daches, die Aehn-
lichkeit mit einem Säulenkapitäl hatte, war ein beweglicher Triton angebracht,
welcher mit einem Stäbe in der Rechten die Richtung angab, von wo der
Wind herkam. An den Seitenflächen, die den acht Hauptgegenden der Wind¬
rose zugekehrt sind, sieht man die kolossalen geflügelten Gestalten der Wind¬
gottheiten in Relief abgebildet. Darüber befinden sich theilweis lesbare In¬
schriften, welche deren Namen nennen. In die Aeolusstraße hinab schaut Bo-
reas, der Nordwind. Dieser bringt hier selten Regen, wol aber braust er meist
mit großer Heftigkeit über das Land und im Winter erzeugt er durchdringende
Kälte. Dem entsprechend ist er hier als unfreundlicher langbärtiger Greis mit
faltigem Antlitz dargestellt. Ein weiter Mantel hüllt ihn ein, und an den Mund
hält er eine Trompetenmuschel. Gehen wir links um den Thurm, so folgt
Kaikias, der Nordostwind. Auch er hat die Gestalt eines alten bärtigen Man¬
nes. In seinen Armen halt er einen Schild, aus dem er Hagelkörner und
Regentropfen schüttet; denn der Nordost sührt in Attika Hagel, Schnee und
schwere Regengüsse herbei. Der Apeliotcs oder Ostwind bringt im Sommer
feuchte Luft und Regen nach Athen, und da er damit das Gedeihen der Feld-
früchte und Bäume fördert, so trägt er hier in seinem weiten Mantel Aehren
und Obst. Uebrigens hat er keinen Bart. Der Euros oder Südost ist eben¬
falls ein Negenwind, sein Bild ist bärtig und hat lange fliegende Haare, die
wie sein flatternder Mantel seine Heftigkeit andeuten. Rolof, der Südwind
ist wie die folgenden Brüder als bartloser Jüngling dargestellt. Er bringt


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[0362] Neben dem Theseion breitete sich einst die Agora, deEMarkt von Athen mit seinen Hallen aus. Jetzt ist hier ein Exercirplatz. Geht man von hier nach der im Nordosten gelegenen nächsten Kirche hin und wendet man sich von dieser in die nach Süden führende enge Gasse, so gelangt man nach einigen vierzig Schritten an einen offnen Hof, in welchem die fälschlich sogenannten Giganten stehen, große, jetzt kopf- und armlose Mar¬ morbilder von geringem Kunstwerth, deren Füße in Schlangen- oder Fisch¬ schwänze endigen, und die wahrscheinlich einige von den zwölf Heroen darstellten, nach denen sich die Stämme der attischen Bevölkerung nannten. Noch weiter südlich bei einer zweiten Kirche stößt man aus Reste eines Baues, in dem man das Rathhaus des alten Athen vermuthet. Oestlich aber von den Gi¬ ganten erheben sich auf einem kleinen freien Platze die Ueberbleibsel des zur Zeit des Augustus errichteten Thores der Athene Archegetis, vier dorische Säulen mit einem breiten Durchgang in der Mitte und zwei engeren an bei¬ den Seiten. Noch eine Strecke weiter nach Osten in der Nähe einer alten Palme und verschiedener türkischer Kuppelbauten steht auf der Aeolusstraße der Thurm der Winde. Dieser achteckige, sehr wenig beschädigte Bau, von dem Syrer Andronikos Kyrrhestes 35 v. Chr. errichtet, war der Wetterzeiger und zugleich die Stadtuhr von Athen. Auf der Spitze des Daches, die Aehn- lichkeit mit einem Säulenkapitäl hatte, war ein beweglicher Triton angebracht, welcher mit einem Stäbe in der Rechten die Richtung angab, von wo der Wind herkam. An den Seitenflächen, die den acht Hauptgegenden der Wind¬ rose zugekehrt sind, sieht man die kolossalen geflügelten Gestalten der Wind¬ gottheiten in Relief abgebildet. Darüber befinden sich theilweis lesbare In¬ schriften, welche deren Namen nennen. In die Aeolusstraße hinab schaut Bo- reas, der Nordwind. Dieser bringt hier selten Regen, wol aber braust er meist mit großer Heftigkeit über das Land und im Winter erzeugt er durchdringende Kälte. Dem entsprechend ist er hier als unfreundlicher langbärtiger Greis mit faltigem Antlitz dargestellt. Ein weiter Mantel hüllt ihn ein, und an den Mund hält er eine Trompetenmuschel. Gehen wir links um den Thurm, so folgt Kaikias, der Nordostwind. Auch er hat die Gestalt eines alten bärtigen Man¬ nes. In seinen Armen halt er einen Schild, aus dem er Hagelkörner und Regentropfen schüttet; denn der Nordost sührt in Attika Hagel, Schnee und schwere Regengüsse herbei. Der Apeliotcs oder Ostwind bringt im Sommer feuchte Luft und Regen nach Athen, und da er damit das Gedeihen der Feld- früchte und Bäume fördert, so trägt er hier in seinem weiten Mantel Aehren und Obst. Uebrigens hat er keinen Bart. Der Euros oder Südost ist eben¬ falls ein Negenwind, sein Bild ist bärtig und hat lange fliegende Haare, die wie sein flatternder Mantel seine Heftigkeit andeuten. Rolof, der Südwind ist wie die folgenden Brüder als bartloser Jüngling dargestellt. Er bringt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/362>, abgerufen am 23.07.2024.