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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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keine hervorragende Rolle spielen ließ. Gegenwärtig dient er als eine Art
Museum zur Aufbewahrung griechischer Alterthümer. Dem Stil nach steht
er dein Parthenon nahe, doch mangelt ihm die Vollendung in den einzelnen
Theilen, die wir dort bewundern, auch wirkt er bei seiner Stellung in der
Tiefe und in unmittelbarer Nähe des häßlichsten Quartiers der Stadt und
bei seiner verhältnißmäßigen Kleinheit bei weitem nicht so mächtig, wie jenes
Wunderwerk des Phidias. Aus einem Unterbau von Porosquadern erhebt
sich der Tempel zu einer Höhe von 32 Fuß. Seine Länge beträgt 104, seine
Breite 46 Fuß. Um die Cella läuft ein dorischer Säulengang, und zwar stehen
an jeder Langseite >3, an jeder schmalen Seite 6 Säulen. Wie der Parthe¬
non hat auch das Theseion an der Cella eine Vorhalle im Osten und eine
etwas weniger tiefe im Westen. Im Osten war der Eingang, der aber jetzt
vermauert lst. Von den Giebeln hatte nur der östliche einen Schmuck von
Statuen, gegenwärtig ist auch er ohne diese Zierde. Wenn sich beim Par¬
thenon die Kette der Metopen um alle vier Seiten zog, und ebenso der Fest¬
zug der Panathenäen um den ganzen Fries der Cella herumging, so sind beim
Theseustempel lediglich die lo Metopen der Ostseite vollständig mit Sculp-
turen geschmückt. Die Westfronte entbehrt derselben völlig, und an der Nord'
und Südseite sind nur je vier der östlichen Fronte am nächsten befindliche
Metopen mit Bildhauerarbeit verziert; an der Cellawand aber hat blos die
Ost- und die Westseite einen Hautrelieffries, und zwar jene einen längeren,
diesen einen kürzeren. Jene Metopen, die sehr verstümmelt sind, scheinen auf
der Ostfronte Thaten des Herakles, an der Süd- und Nordseite Ereignisse aus
dem Leben des Theseus vorgestellt zu haben; wenigstens läßt sich die eine auf
den Kampf mit dem Minotaurus, eine andere aus den Fang des marathoni¬
schen Stiers und eine dritte (im Norden) auf den Sturz Skirons vom Felsen
deuten. In dem gleichfalls stark beschädigten Friesrclief über dem einstigen
Eingang wollen die Einen den Kampf der Giganten mit den Göttern erken¬
nen, Andere dagegen den Streit des Theseus mit seinen Verwandten, den
Pallantiden. Wer Recht hat, bleibe dahin gestellt. Dagegen ist kein Zweifel,
daß der Relieffries über dem Opisthotonus im Westen den Kampf der Cen¬
tauren und Lapithen darstellt. Deutlich erkennt man hier Theseus neben einem
von ihm getödteten Centauren, während gegen die Mitte hin sein Genosse
Kauens von den Gegnern gesteinigt wird. Die Figuren waren in alter Zeit
bemalt. Jetzt ist davon ebenso wenig mehr zu sehen, als von den bunten
Mäandervcrzierungen am Gcpälk, von den Sternen in den Kassetten des
Deckenfeldes und von den Gemälden, mit denen Mikon die innern Wände
des Tempels verzierte.'

Die Sammlung von Skulpturwerken, die gegenwärtig in der Cella aus
gestellt ist, enthält manche gute Arbeit und verschiedene Stücke von hohem


keine hervorragende Rolle spielen ließ. Gegenwärtig dient er als eine Art
Museum zur Aufbewahrung griechischer Alterthümer. Dem Stil nach steht
er dein Parthenon nahe, doch mangelt ihm die Vollendung in den einzelnen
Theilen, die wir dort bewundern, auch wirkt er bei seiner Stellung in der
Tiefe und in unmittelbarer Nähe des häßlichsten Quartiers der Stadt und
bei seiner verhältnißmäßigen Kleinheit bei weitem nicht so mächtig, wie jenes
Wunderwerk des Phidias. Aus einem Unterbau von Porosquadern erhebt
sich der Tempel zu einer Höhe von 32 Fuß. Seine Länge beträgt 104, seine
Breite 46 Fuß. Um die Cella läuft ein dorischer Säulengang, und zwar stehen
an jeder Langseite >3, an jeder schmalen Seite 6 Säulen. Wie der Parthe¬
non hat auch das Theseion an der Cella eine Vorhalle im Osten und eine
etwas weniger tiefe im Westen. Im Osten war der Eingang, der aber jetzt
vermauert lst. Von den Giebeln hatte nur der östliche einen Schmuck von
Statuen, gegenwärtig ist auch er ohne diese Zierde. Wenn sich beim Par¬
thenon die Kette der Metopen um alle vier Seiten zog, und ebenso der Fest¬
zug der Panathenäen um den ganzen Fries der Cella herumging, so sind beim
Theseustempel lediglich die lo Metopen der Ostseite vollständig mit Sculp-
turen geschmückt. Die Westfronte entbehrt derselben völlig, und an der Nord'
und Südseite sind nur je vier der östlichen Fronte am nächsten befindliche
Metopen mit Bildhauerarbeit verziert; an der Cellawand aber hat blos die
Ost- und die Westseite einen Hautrelieffries, und zwar jene einen längeren,
diesen einen kürzeren. Jene Metopen, die sehr verstümmelt sind, scheinen auf
der Ostfronte Thaten des Herakles, an der Süd- und Nordseite Ereignisse aus
dem Leben des Theseus vorgestellt zu haben; wenigstens läßt sich die eine auf
den Kampf mit dem Minotaurus, eine andere aus den Fang des marathoni¬
schen Stiers und eine dritte (im Norden) auf den Sturz Skirons vom Felsen
deuten. In dem gleichfalls stark beschädigten Friesrclief über dem einstigen
Eingang wollen die Einen den Kampf der Giganten mit den Göttern erken¬
nen, Andere dagegen den Streit des Theseus mit seinen Verwandten, den
Pallantiden. Wer Recht hat, bleibe dahin gestellt. Dagegen ist kein Zweifel,
daß der Relieffries über dem Opisthotonus im Westen den Kampf der Cen¬
tauren und Lapithen darstellt. Deutlich erkennt man hier Theseus neben einem
von ihm getödteten Centauren, während gegen die Mitte hin sein Genosse
Kauens von den Gegnern gesteinigt wird. Die Figuren waren in alter Zeit
bemalt. Jetzt ist davon ebenso wenig mehr zu sehen, als von den bunten
Mäandervcrzierungen am Gcpälk, von den Sternen in den Kassetten des
Deckenfeldes und von den Gemälden, mit denen Mikon die innern Wände
des Tempels verzierte.'

Die Sammlung von Skulpturwerken, die gegenwärtig in der Cella aus
gestellt ist, enthält manche gute Arbeit und verschiedene Stücke von hohem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/360>, abgerufen am 23.07.2024.