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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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verlustig erklärt hatten, haben gegen diejenigen die Todesstrafe erkannt, die
es wagen würden, daselbst wieder aufzutreten, um jene Rechte zu behaupten.
Allein diese Aeußerungen der Volkssouveränetät sollen nur Vorläufer eines
noch wichtigeren Schrittes sein. Es heißt in der That sehr wenig, das Ge¬
bäude der alten Tyrannei niederzureißen; das neue der öffentlichen Glückselig¬
keit wußte man ausbauen. Die Stellvertreter des Volks kannten den ein-
müthigcn Wunsch ihrer Committenten; sie thun in diesem Augenblick weiter
nichts, als das Gefünl ausdrücken, welches alle Herzen erfüllt, indem sie von
euch die Vereinigung ihres Landes mit der Frankcnrepublik verlangen. Bür¬
ger, Gesetzgeber von Frankreich und bald von ganz Europa! Nie werden die
Deutschen des Rheinufers vergessen, daß die Franzosen ihre Ketten zerbrochen;
daß sie im Schatten der dreifarbigen Fahne ihre Wahlen vollbringen konnten.
Das Gewitter tobte ringsumher; die Tyrannen und ihre Haufen knirschten,
während tiefer Friede über unsern fruchtbaren Gefilden herrschte und mit seinen
schützenden Flügeln unsere Dörfer bedeckte. Die unüberwindliche Schutzwehr
der Krieger der Freiheit umringte uns von allen Seiten; da sprach Frank¬
reich: werde frei! und wir sind frei. Bürger! ihr, die ihr täglich der Vor-
trefflichkeit der menschlichen Natur huldigt, möge die Frucht eurer Wohlthaten,
möge die Daukbarkeit eines guten und gerührten Volks euern Herzen ein
Opfer scheinen, das des Hauptaltars der Freiheit würdig ist" u. s. w. --
Man mag dem Parteigeist viel nachsehen; hier wird man ein um so strenge¬
res Urtheil nicht zurückhalten können, da Frankreich damals bereits der ver¬
worfensten Sansculotlenherrschnst verfallen war. Für den wohlgesinnten Fran¬
zosen blieb Frankreich trotzdem mit Recht immer das Vaterland, aber den
Deutschen, der sich so wegwarf, kann kein politischer Idealismus entschuldigen.

Am 25. März reiste Förster mit seinen Eollegen nach Paris ab. freilich
hielt jetzt seine Verblendung nicht mehr lange an. Er sah die verruchte Wirth¬
schaft in der Nähe und sein Fanatismus schwand vor dem Eindruck der Wirk¬
lichkeit. "Nach so vieljähriger angestrengter Arbeit ist mir nunmehr alles,
was ich zu meinem Fortkommen unternommen hatte, fehl geschlagen und ich
fange die Welt gleichsam von neuem an. ohne zu wissen, wie und womit,
da ich von ganz Europa abgeschnitten, mit Schulden überhäuft, hier ohne
alle Mittel, ohne alle Unterstützung und fast ohne Aussicht bin. Ich habe
mich anheischig gemacht, alles anzunehmen, was man mir anbieten würde."
"Seit ich weiß, daß keine Tugend in der Revolution ist. ekelt es mich an.
Ich konnte fern voy allen idealischen Träumereien mit unvollkommenen
Menschen zum Ziele gehen, unterwegs fallen und wiederaufstehen und weiter
gehen: aber mit Teufeln und herzlosen Teufeln, wie sie hier find, ist es mir
eine Sünde an der Menschheit, an der heiligen Mutter Erde lind an dem
Lichte der Sonne." -- "Mich überzeugt jeder Tag und jede Stunde mehr.


verlustig erklärt hatten, haben gegen diejenigen die Todesstrafe erkannt, die
es wagen würden, daselbst wieder aufzutreten, um jene Rechte zu behaupten.
Allein diese Aeußerungen der Volkssouveränetät sollen nur Vorläufer eines
noch wichtigeren Schrittes sein. Es heißt in der That sehr wenig, das Ge¬
bäude der alten Tyrannei niederzureißen; das neue der öffentlichen Glückselig¬
keit wußte man ausbauen. Die Stellvertreter des Volks kannten den ein-
müthigcn Wunsch ihrer Committenten; sie thun in diesem Augenblick weiter
nichts, als das Gefünl ausdrücken, welches alle Herzen erfüllt, indem sie von
euch die Vereinigung ihres Landes mit der Frankcnrepublik verlangen. Bür¬
ger, Gesetzgeber von Frankreich und bald von ganz Europa! Nie werden die
Deutschen des Rheinufers vergessen, daß die Franzosen ihre Ketten zerbrochen;
daß sie im Schatten der dreifarbigen Fahne ihre Wahlen vollbringen konnten.
Das Gewitter tobte ringsumher; die Tyrannen und ihre Haufen knirschten,
während tiefer Friede über unsern fruchtbaren Gefilden herrschte und mit seinen
schützenden Flügeln unsere Dörfer bedeckte. Die unüberwindliche Schutzwehr
der Krieger der Freiheit umringte uns von allen Seiten; da sprach Frank¬
reich: werde frei! und wir sind frei. Bürger! ihr, die ihr täglich der Vor-
trefflichkeit der menschlichen Natur huldigt, möge die Frucht eurer Wohlthaten,
möge die Daukbarkeit eines guten und gerührten Volks euern Herzen ein
Opfer scheinen, das des Hauptaltars der Freiheit würdig ist" u. s. w. —
Man mag dem Parteigeist viel nachsehen; hier wird man ein um so strenge¬
res Urtheil nicht zurückhalten können, da Frankreich damals bereits der ver¬
worfensten Sansculotlenherrschnst verfallen war. Für den wohlgesinnten Fran¬
zosen blieb Frankreich trotzdem mit Recht immer das Vaterland, aber den
Deutschen, der sich so wegwarf, kann kein politischer Idealismus entschuldigen.

Am 25. März reiste Förster mit seinen Eollegen nach Paris ab. freilich
hielt jetzt seine Verblendung nicht mehr lange an. Er sah die verruchte Wirth¬
schaft in der Nähe und sein Fanatismus schwand vor dem Eindruck der Wirk¬
lichkeit. „Nach so vieljähriger angestrengter Arbeit ist mir nunmehr alles,
was ich zu meinem Fortkommen unternommen hatte, fehl geschlagen und ich
fange die Welt gleichsam von neuem an. ohne zu wissen, wie und womit,
da ich von ganz Europa abgeschnitten, mit Schulden überhäuft, hier ohne
alle Mittel, ohne alle Unterstützung und fast ohne Aussicht bin. Ich habe
mich anheischig gemacht, alles anzunehmen, was man mir anbieten würde."
„Seit ich weiß, daß keine Tugend in der Revolution ist. ekelt es mich an.
Ich konnte fern voy allen idealischen Träumereien mit unvollkommenen
Menschen zum Ziele gehen, unterwegs fallen und wiederaufstehen und weiter
gehen: aber mit Teufeln und herzlosen Teufeln, wie sie hier find, ist es mir
eine Sünde an der Menschheit, an der heiligen Mutter Erde lind an dem
Lichte der Sonne." — „Mich überzeugt jeder Tag und jede Stunde mehr.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/36>, abgerufen am 22.07.2024.