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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Andere Einwürfe scheinen sich durch die für eine Rednerbühne überaus günstige
Lage des Orts zu widerlegen. Vor sich hatte der Sprecher im Areopag die
Mahnung zur Gerechtigkeit, in der Tiefe lagen vor seinen Augen die Woh¬
nungen der Bürger und dahinter die Fluren und Haine der Kephissosebne,
links sah er im Piräus die Flotte ankern und rechts leuchteten ihm die Tempel-
giebcl der Akropolis, schaute ihm das gewaltige Antlitz der höchsten Gottheit der
Vaterstadt, von den Siegen strahlend, die sie erfochten, begeisternd in die
Seele. Man begreift hier erst ganz die Flamme der Vaterlandsliebe, die in
den Reden des Demosthenes lodert, aber wir wissen, daß auf diesem Steine,
den wir als heiligen Boden nur unbeschuht betreten möchten, auch ein Aeschines
sprach, der dem Macedonierkönig sein Herz und seine Zunge verkauft hatte.

Unten lauft um die drei Seiten des Bema eine Stufe herum, in welche
vorn Löcher eingehauen sind, die vermuthlich Jnschrifttaseln oder Reliefplatten
enthielten. Demselben Zwecke dienten wahrscheinlich die 43 kleinen Nischen,
die man an der nach Südosten verlaufenden Felswand gewahrt. Ausgrabungen,
die hier angestellt wurden, ließen Weihgeschenke finden, welche dem höchsten
Zeus gewidmet waren, unter dessen Schutz der ganze Ort gestanden zu
haben scheint.

Die Umgebung der Pnyx war im Alterthum gleich den benachbarten
Senkungen und Hügelflanken mit Häusern bedeckt. Jetzt trifft man hier nur
noch einzelne Mauerreste, behauene Steine, Felskammern und Cisternen an,
und nicht ein einziger Baum oder Strauch ist von den Garten der vornehmen
Welt übrig, die hier vorzüglich gewohnt haben mag. Ebenso öde ist der im
Nordwesten gelegene, verschiedene Grotten und Höhlen zeigende Nymphen-
hügel, der seinen Namen von einer Inschrift hat. welche hier auf einem
Steinblock zu lesen ist. An dem Wege, der hinausführt, wies unser Cicerone
uns ein Felsstück, an dem neugriechischer Aberglaube Frauen, die mitNachkommen-
schast gesegnet sein wollen, hinabzurutschen gebietet. Die Stelle ist glatt und
glänzend wie polirt, und der Gebrauch scheint somit fleißig prakticirt zu wer¬
den. Den Gipfel krönt eine kleine buntbemalte Sternwarte. Statt des
schalkhaften Gelächters der Nymphen, die sich das Alterthum als Bewohne¬
rinnen jener Grotten-denken mochte, hört man jetzt nur das Gcgrunz und
Gequiek von Schweinen, die hier das Ende ihres Daseins auf der nahen,
von Naben umträchzten Schlachtstelle erwarten.

Steigen wir in die Ebne hinab, so haben wir zunächst in der Entfernug
von einigen hundert Schritten nordöstlich den Theseustempel mit seinen röth-
lichgelben Mauern und Säulen vor uns. Von Kimon erbaut und über
2,300 Jahre alt, ist er von allen Heiligthümern Griechenlands am besten er¬
halten -- ein Umstand, der sich theils daher, daß er zeitig in eine Kirche
verwandelt wurde, theils aus seiner Lage erklärt, die ihn bei Kriegsereignissen


Andere Einwürfe scheinen sich durch die für eine Rednerbühne überaus günstige
Lage des Orts zu widerlegen. Vor sich hatte der Sprecher im Areopag die
Mahnung zur Gerechtigkeit, in der Tiefe lagen vor seinen Augen die Woh¬
nungen der Bürger und dahinter die Fluren und Haine der Kephissosebne,
links sah er im Piräus die Flotte ankern und rechts leuchteten ihm die Tempel-
giebcl der Akropolis, schaute ihm das gewaltige Antlitz der höchsten Gottheit der
Vaterstadt, von den Siegen strahlend, die sie erfochten, begeisternd in die
Seele. Man begreift hier erst ganz die Flamme der Vaterlandsliebe, die in
den Reden des Demosthenes lodert, aber wir wissen, daß auf diesem Steine,
den wir als heiligen Boden nur unbeschuht betreten möchten, auch ein Aeschines
sprach, der dem Macedonierkönig sein Herz und seine Zunge verkauft hatte.

Unten lauft um die drei Seiten des Bema eine Stufe herum, in welche
vorn Löcher eingehauen sind, die vermuthlich Jnschrifttaseln oder Reliefplatten
enthielten. Demselben Zwecke dienten wahrscheinlich die 43 kleinen Nischen,
die man an der nach Südosten verlaufenden Felswand gewahrt. Ausgrabungen,
die hier angestellt wurden, ließen Weihgeschenke finden, welche dem höchsten
Zeus gewidmet waren, unter dessen Schutz der ganze Ort gestanden zu
haben scheint.

Die Umgebung der Pnyx war im Alterthum gleich den benachbarten
Senkungen und Hügelflanken mit Häusern bedeckt. Jetzt trifft man hier nur
noch einzelne Mauerreste, behauene Steine, Felskammern und Cisternen an,
und nicht ein einziger Baum oder Strauch ist von den Garten der vornehmen
Welt übrig, die hier vorzüglich gewohnt haben mag. Ebenso öde ist der im
Nordwesten gelegene, verschiedene Grotten und Höhlen zeigende Nymphen-
hügel, der seinen Namen von einer Inschrift hat. welche hier auf einem
Steinblock zu lesen ist. An dem Wege, der hinausführt, wies unser Cicerone
uns ein Felsstück, an dem neugriechischer Aberglaube Frauen, die mitNachkommen-
schast gesegnet sein wollen, hinabzurutschen gebietet. Die Stelle ist glatt und
glänzend wie polirt, und der Gebrauch scheint somit fleißig prakticirt zu wer¬
den. Den Gipfel krönt eine kleine buntbemalte Sternwarte. Statt des
schalkhaften Gelächters der Nymphen, die sich das Alterthum als Bewohne¬
rinnen jener Grotten-denken mochte, hört man jetzt nur das Gcgrunz und
Gequiek von Schweinen, die hier das Ende ihres Daseins auf der nahen,
von Naben umträchzten Schlachtstelle erwarten.

Steigen wir in die Ebne hinab, so haben wir zunächst in der Entfernug
von einigen hundert Schritten nordöstlich den Theseustempel mit seinen röth-
lichgelben Mauern und Säulen vor uns. Von Kimon erbaut und über
2,300 Jahre alt, ist er von allen Heiligthümern Griechenlands am besten er¬
halten — ein Umstand, der sich theils daher, daß er zeitig in eine Kirche
verwandelt wurde, theils aus seiner Lage erklärt, die ihn bei Kriegsereignissen


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[0359] Andere Einwürfe scheinen sich durch die für eine Rednerbühne überaus günstige Lage des Orts zu widerlegen. Vor sich hatte der Sprecher im Areopag die Mahnung zur Gerechtigkeit, in der Tiefe lagen vor seinen Augen die Woh¬ nungen der Bürger und dahinter die Fluren und Haine der Kephissosebne, links sah er im Piräus die Flotte ankern und rechts leuchteten ihm die Tempel- giebcl der Akropolis, schaute ihm das gewaltige Antlitz der höchsten Gottheit der Vaterstadt, von den Siegen strahlend, die sie erfochten, begeisternd in die Seele. Man begreift hier erst ganz die Flamme der Vaterlandsliebe, die in den Reden des Demosthenes lodert, aber wir wissen, daß auf diesem Steine, den wir als heiligen Boden nur unbeschuht betreten möchten, auch ein Aeschines sprach, der dem Macedonierkönig sein Herz und seine Zunge verkauft hatte. Unten lauft um die drei Seiten des Bema eine Stufe herum, in welche vorn Löcher eingehauen sind, die vermuthlich Jnschrifttaseln oder Reliefplatten enthielten. Demselben Zwecke dienten wahrscheinlich die 43 kleinen Nischen, die man an der nach Südosten verlaufenden Felswand gewahrt. Ausgrabungen, die hier angestellt wurden, ließen Weihgeschenke finden, welche dem höchsten Zeus gewidmet waren, unter dessen Schutz der ganze Ort gestanden zu haben scheint. Die Umgebung der Pnyx war im Alterthum gleich den benachbarten Senkungen und Hügelflanken mit Häusern bedeckt. Jetzt trifft man hier nur noch einzelne Mauerreste, behauene Steine, Felskammern und Cisternen an, und nicht ein einziger Baum oder Strauch ist von den Garten der vornehmen Welt übrig, die hier vorzüglich gewohnt haben mag. Ebenso öde ist der im Nordwesten gelegene, verschiedene Grotten und Höhlen zeigende Nymphen- hügel, der seinen Namen von einer Inschrift hat. welche hier auf einem Steinblock zu lesen ist. An dem Wege, der hinausführt, wies unser Cicerone uns ein Felsstück, an dem neugriechischer Aberglaube Frauen, die mitNachkommen- schast gesegnet sein wollen, hinabzurutschen gebietet. Die Stelle ist glatt und glänzend wie polirt, und der Gebrauch scheint somit fleißig prakticirt zu wer¬ den. Den Gipfel krönt eine kleine buntbemalte Sternwarte. Statt des schalkhaften Gelächters der Nymphen, die sich das Alterthum als Bewohne¬ rinnen jener Grotten-denken mochte, hört man jetzt nur das Gcgrunz und Gequiek von Schweinen, die hier das Ende ihres Daseins auf der nahen, von Naben umträchzten Schlachtstelle erwarten. Steigen wir in die Ebne hinab, so haben wir zunächst in der Entfernug von einigen hundert Schritten nordöstlich den Theseustempel mit seinen röth- lichgelben Mauern und Säulen vor uns. Von Kimon erbaut und über 2,300 Jahre alt, ist er von allen Heiligthümern Griechenlands am besten er¬ halten — ein Umstand, der sich theils daher, daß er zeitig in eine Kirche verwandelt wurde, theils aus seiner Lage erklärt, die ihn bei Kriegsereignissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/359>, abgerufen am 23.07.2024.