Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich schildere nun diese Alterthümer unter der Burg in der Reihenfolge,
daß ich erst die gebe, welchen Man bei einem Rundgang um den heiligen
Hügel begegnet, und dann, mit dem Theseion beginnend, die zeige, welche
in der Stadt und um dieselbe zerstreut liegen. Den Anfang möge das Odeion
des Herodes Atticus machen, in das Man, wie bemerkt, beim Hinaus¬
steigen nach der Freitreppe der Propyläen rechts hinabblickt, und welches hier
ausführlicher beschrieben werden mag, da es erst kürzlich ganz von Schutt befreit
worden ist. Von oben hat man zunächst die grauen hufeisenförmigen nach
unten sich verkleinernden niedrigen Steinstufen vor sich, welche zu Bänken
dienten. In der Tiefe gewahrt man die ungefähr 20 Schritt tiefe und 50 Schritt
breite Orchestrci. Dahinter schließt das Ganze mit einer dicken, mit Bogen¬
fenstern durchbrochenen Mauer von Quadern, die von gleicher Höhe mit den
obersten Sitzreihen ist und wahrscheinlich die Nordseite eines Vorhaus bildete.
Von den Cedernbalken des ehemaligen Daches ist nichts mehr vorhanden. Sie
müssen außerordentlich groß gewesen sein, da das Gebäude gegen fünftausend
Personen faßte. Die Bänke sind durch einen horizontalen Mittelgang in eine
untere größere Hälfte von 20, und in eine obere kleinere von 13 Stufen ge¬
schieden. Die unterste muß für bevorzugte Personen bestimmt gewesen sein;
denn sie hat eine Lehne und eine Schemelstufe, und hinter ihr befindet sich
ein breiter Gang. Die Sitze sind von pentelischem Marmor, der Fußboden
ist mit Platten von einem schön geäderten Kalkstein ausgelegt. Zu den untern
Sitzreihen führte an jeder Seite ein unterer Eingang, welcher wie die Bühne
mit Statuen in Nischen geschmückt war; zu den obern dagegen gelangte man
auf rechts und links hinausgehenden Treppen, die auf den mittlern Umkreis
ausmündeten. Das Odeion diente zur Aufführung von dramatischen Werten,
in denen die Musik vorherrschte, war also in gewissem Sinn das Opernhaus
Athens. Es wurde um das Jahr 140 n. Chr. erbaut. Durch wen und wann
es zerstört wurde, ist unbekannt.

Das Odeion des Perikles ist vollständig verschwunden. Es lag in der
Nähe des Dionysostheaters, welches sich einige hundert Schritt weiter
östlich ebenfalls hart unter der südlichen Mauer der Akropolis befand, jetzt
aber bis auf unbedeutende Reste vom Mauerwerk der Steile und einige Stein¬
barke ebenfalls in Schutt und Trümmer zerfallen ist. Hier feierten Sophokles
und Aristophanes ihre Triumphe. Ueber dem Theater ragen dicht neben dem
Felsen, der die Burg trügt, zwei hohe weiße Säulen, und nicht fern davon
geht eine kleine Grotte in den Berg hinein. Die letztere war bis vor kurzem
eine Kapelle der Panagia Spiliotissa d. i. der allerheiligsten Jungfrau, der
Höhlenbewohncrin; einst aber war sie dem Gotte des Theaters drunten, Dio¬
nysos geweiht. Jene Säulen über ihr hatten gleichfalls auf diesen Gott Be¬
zug, indem sie zwei von jenen ehernen Dreifüßen trugen, mit welchen man


Ich schildere nun diese Alterthümer unter der Burg in der Reihenfolge,
daß ich erst die gebe, welchen Man bei einem Rundgang um den heiligen
Hügel begegnet, und dann, mit dem Theseion beginnend, die zeige, welche
in der Stadt und um dieselbe zerstreut liegen. Den Anfang möge das Odeion
des Herodes Atticus machen, in das Man, wie bemerkt, beim Hinaus¬
steigen nach der Freitreppe der Propyläen rechts hinabblickt, und welches hier
ausführlicher beschrieben werden mag, da es erst kürzlich ganz von Schutt befreit
worden ist. Von oben hat man zunächst die grauen hufeisenförmigen nach
unten sich verkleinernden niedrigen Steinstufen vor sich, welche zu Bänken
dienten. In der Tiefe gewahrt man die ungefähr 20 Schritt tiefe und 50 Schritt
breite Orchestrci. Dahinter schließt das Ganze mit einer dicken, mit Bogen¬
fenstern durchbrochenen Mauer von Quadern, die von gleicher Höhe mit den
obersten Sitzreihen ist und wahrscheinlich die Nordseite eines Vorhaus bildete.
Von den Cedernbalken des ehemaligen Daches ist nichts mehr vorhanden. Sie
müssen außerordentlich groß gewesen sein, da das Gebäude gegen fünftausend
Personen faßte. Die Bänke sind durch einen horizontalen Mittelgang in eine
untere größere Hälfte von 20, und in eine obere kleinere von 13 Stufen ge¬
schieden. Die unterste muß für bevorzugte Personen bestimmt gewesen sein;
denn sie hat eine Lehne und eine Schemelstufe, und hinter ihr befindet sich
ein breiter Gang. Die Sitze sind von pentelischem Marmor, der Fußboden
ist mit Platten von einem schön geäderten Kalkstein ausgelegt. Zu den untern
Sitzreihen führte an jeder Seite ein unterer Eingang, welcher wie die Bühne
mit Statuen in Nischen geschmückt war; zu den obern dagegen gelangte man
auf rechts und links hinausgehenden Treppen, die auf den mittlern Umkreis
ausmündeten. Das Odeion diente zur Aufführung von dramatischen Werten,
in denen die Musik vorherrschte, war also in gewissem Sinn das Opernhaus
Athens. Es wurde um das Jahr 140 n. Chr. erbaut. Durch wen und wann
es zerstört wurde, ist unbekannt.

Das Odeion des Perikles ist vollständig verschwunden. Es lag in der
Nähe des Dionysostheaters, welches sich einige hundert Schritt weiter
östlich ebenfalls hart unter der südlichen Mauer der Akropolis befand, jetzt
aber bis auf unbedeutende Reste vom Mauerwerk der Steile und einige Stein¬
barke ebenfalls in Schutt und Trümmer zerfallen ist. Hier feierten Sophokles
und Aristophanes ihre Triumphe. Ueber dem Theater ragen dicht neben dem
Felsen, der die Burg trügt, zwei hohe weiße Säulen, und nicht fern davon
geht eine kleine Grotte in den Berg hinein. Die letztere war bis vor kurzem
eine Kapelle der Panagia Spiliotissa d. i. der allerheiligsten Jungfrau, der
Höhlenbewohncrin; einst aber war sie dem Gotte des Theaters drunten, Dio¬
nysos geweiht. Jene Säulen über ihr hatten gleichfalls auf diesen Gott Be¬
zug, indem sie zwei von jenen ehernen Dreifüßen trugen, mit welchen man


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106167"/>
            <p xml:id="ID_984"> Ich schildere nun diese Alterthümer unter der Burg in der Reihenfolge,<lb/>
daß ich erst die gebe, welchen Man bei einem Rundgang um den heiligen<lb/>
Hügel begegnet, und dann, mit dem Theseion beginnend, die zeige, welche<lb/>
in der Stadt und um dieselbe zerstreut liegen. Den Anfang möge das Odeion<lb/>
des Herodes Atticus machen, in das Man, wie bemerkt, beim Hinaus¬<lb/>
steigen nach der Freitreppe der Propyläen rechts hinabblickt, und welches hier<lb/>
ausführlicher beschrieben werden mag, da es erst kürzlich ganz von Schutt befreit<lb/>
worden ist. Von oben hat man zunächst die grauen hufeisenförmigen nach<lb/>
unten sich verkleinernden niedrigen Steinstufen vor sich, welche zu Bänken<lb/>
dienten. In der Tiefe gewahrt man die ungefähr 20 Schritt tiefe und 50 Schritt<lb/>
breite Orchestrci. Dahinter schließt das Ganze mit einer dicken, mit Bogen¬<lb/>
fenstern durchbrochenen Mauer von Quadern, die von gleicher Höhe mit den<lb/>
obersten Sitzreihen ist und wahrscheinlich die Nordseite eines Vorhaus bildete.<lb/>
Von den Cedernbalken des ehemaligen Daches ist nichts mehr vorhanden. Sie<lb/>
müssen außerordentlich groß gewesen sein, da das Gebäude gegen fünftausend<lb/>
Personen faßte. Die Bänke sind durch einen horizontalen Mittelgang in eine<lb/>
untere größere Hälfte von 20, und in eine obere kleinere von 13 Stufen ge¬<lb/>
schieden. Die unterste muß für bevorzugte Personen bestimmt gewesen sein;<lb/>
denn sie hat eine Lehne und eine Schemelstufe, und hinter ihr befindet sich<lb/>
ein breiter Gang. Die Sitze sind von pentelischem Marmor, der Fußboden<lb/>
ist mit Platten von einem schön geäderten Kalkstein ausgelegt. Zu den untern<lb/>
Sitzreihen führte an jeder Seite ein unterer Eingang, welcher wie die Bühne<lb/>
mit Statuen in Nischen geschmückt war; zu den obern dagegen gelangte man<lb/>
auf rechts und links hinausgehenden Treppen, die auf den mittlern Umkreis<lb/>
ausmündeten. Das Odeion diente zur Aufführung von dramatischen Werten,<lb/>
in denen die Musik vorherrschte, war also in gewissem Sinn das Opernhaus<lb/>
Athens. Es wurde um das Jahr 140 n. Chr. erbaut. Durch wen und wann<lb/>
es zerstört wurde, ist unbekannt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_985" next="#ID_986"> Das Odeion des Perikles ist vollständig verschwunden. Es lag in der<lb/>
Nähe des Dionysostheaters, welches sich einige hundert Schritt weiter<lb/>
östlich ebenfalls hart unter der südlichen Mauer der Akropolis befand, jetzt<lb/>
aber bis auf unbedeutende Reste vom Mauerwerk der Steile und einige Stein¬<lb/>
barke ebenfalls in Schutt und Trümmer zerfallen ist. Hier feierten Sophokles<lb/>
und Aristophanes ihre Triumphe. Ueber dem Theater ragen dicht neben dem<lb/>
Felsen, der die Burg trügt, zwei hohe weiße Säulen, und nicht fern davon<lb/>
geht eine kleine Grotte in den Berg hinein. Die letztere war bis vor kurzem<lb/>
eine Kapelle der Panagia Spiliotissa d. i. der allerheiligsten Jungfrau, der<lb/>
Höhlenbewohncrin; einst aber war sie dem Gotte des Theaters drunten, Dio¬<lb/>
nysos geweiht. Jene Säulen über ihr hatten gleichfalls auf diesen Gott Be¬<lb/>
zug, indem sie zwei von jenen ehernen Dreifüßen trugen, mit welchen man</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] Ich schildere nun diese Alterthümer unter der Burg in der Reihenfolge, daß ich erst die gebe, welchen Man bei einem Rundgang um den heiligen Hügel begegnet, und dann, mit dem Theseion beginnend, die zeige, welche in der Stadt und um dieselbe zerstreut liegen. Den Anfang möge das Odeion des Herodes Atticus machen, in das Man, wie bemerkt, beim Hinaus¬ steigen nach der Freitreppe der Propyläen rechts hinabblickt, und welches hier ausführlicher beschrieben werden mag, da es erst kürzlich ganz von Schutt befreit worden ist. Von oben hat man zunächst die grauen hufeisenförmigen nach unten sich verkleinernden niedrigen Steinstufen vor sich, welche zu Bänken dienten. In der Tiefe gewahrt man die ungefähr 20 Schritt tiefe und 50 Schritt breite Orchestrci. Dahinter schließt das Ganze mit einer dicken, mit Bogen¬ fenstern durchbrochenen Mauer von Quadern, die von gleicher Höhe mit den obersten Sitzreihen ist und wahrscheinlich die Nordseite eines Vorhaus bildete. Von den Cedernbalken des ehemaligen Daches ist nichts mehr vorhanden. Sie müssen außerordentlich groß gewesen sein, da das Gebäude gegen fünftausend Personen faßte. Die Bänke sind durch einen horizontalen Mittelgang in eine untere größere Hälfte von 20, und in eine obere kleinere von 13 Stufen ge¬ schieden. Die unterste muß für bevorzugte Personen bestimmt gewesen sein; denn sie hat eine Lehne und eine Schemelstufe, und hinter ihr befindet sich ein breiter Gang. Die Sitze sind von pentelischem Marmor, der Fußboden ist mit Platten von einem schön geäderten Kalkstein ausgelegt. Zu den untern Sitzreihen führte an jeder Seite ein unterer Eingang, welcher wie die Bühne mit Statuen in Nischen geschmückt war; zu den obern dagegen gelangte man auf rechts und links hinausgehenden Treppen, die auf den mittlern Umkreis ausmündeten. Das Odeion diente zur Aufführung von dramatischen Werten, in denen die Musik vorherrschte, war also in gewissem Sinn das Opernhaus Athens. Es wurde um das Jahr 140 n. Chr. erbaut. Durch wen und wann es zerstört wurde, ist unbekannt. Das Odeion des Perikles ist vollständig verschwunden. Es lag in der Nähe des Dionysostheaters, welches sich einige hundert Schritt weiter östlich ebenfalls hart unter der südlichen Mauer der Akropolis befand, jetzt aber bis auf unbedeutende Reste vom Mauerwerk der Steile und einige Stein¬ barke ebenfalls in Schutt und Trümmer zerfallen ist. Hier feierten Sophokles und Aristophanes ihre Triumphe. Ueber dem Theater ragen dicht neben dem Felsen, der die Burg trügt, zwei hohe weiße Säulen, und nicht fern davon geht eine kleine Grotte in den Berg hinein. Die letztere war bis vor kurzem eine Kapelle der Panagia Spiliotissa d. i. der allerheiligsten Jungfrau, der Höhlenbewohncrin; einst aber war sie dem Gotte des Theaters drunten, Dio¬ nysos geweiht. Jene Säulen über ihr hatten gleichfalls auf diesen Gott Be¬ zug, indem sie zwei von jenen ehernen Dreifüßen trugen, mit welchen man

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/356>, abgerufen am 22.07.2024.