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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Güter ihrer Väter geschützt sein sollten, als die Söhne und Enkel der Adeligen.
Weil dies in Westphalen noch bestand, hatte er dieses Land der rothen Erde
so lieb, fühlte er sich auf diesem Boden heimischer als in Nassau. Ueber¬
haupt aber "war sein Blick seit den Schlachten an der Katzbach, bei Denne-
witz und bei Leipzig, nur nach dem Norden gerichtet, nach dem Volke, was
zwischen der Weser, Elbe, Weichsel bis zum Pregel wohnt, nach dem glor¬
reichen Stamm, der dieses Volt beherrscht, nach den Hohenzollern. Der
Geist und Muth seiner Jugend, die nur dein großen Friedrich von Preußen
dienen gewollt, erwachte wieder, als er zum Greise geworden. "Hier sah
er Deutschlands Zukunft aufdämmern, hier die Macht und Herrlichkeit, wovon
wir schon in den Jahren 1813 und 1815 geträumt hatten."

Wir kommen zum Schluß. Stein war fromm, wie er tapfer und redlich
war. Aber selbst in ernsten Gesprächen führte er Gott selten im Munde.
"Nichts war ihm verhaßter als Maulchristen, ja selbst Mundchristen wurden
ihm leicht verdächtig als -Gleisner und Scheinheilige." "Er pries sich glück¬
lich, daß er durch seine Eltern ein Lutheraner war." "Er glaubte das Er-
lösungswerk des lutherischen Katechismus." Wenn er aber darauf zusprechen
kam, so sagte er: "Das ist ein Geheimniß, wobei einem verworrener wird,
je mehr man darüber schwatzt und klügelt; vor einem Geheimniß stehe ich
still, daran glaube ich, aber von Gott weiß und fühle ich was." Sonntags
ging er mit seinen Kindern und Hausgenossen immer in den Vormittags-
gottcsdienst. Da sagte er: "Man geht oft in die Kirche ohne Herzensbedürf¬
niß, aber ein alter Mann und ein Hausherr ist der Jugend ein Beispiel
schuldig, und oft nimmt man doch etwas mit nach Hause, was man nicht
gehofft hatte." Ueber gewisse Geistliche äußerte er: "Die dummen Kerle haben
die Capitel vergessen, die im AUerheiligsten der Bundeslade in Gold eingewickelt
liegen, vor welchen sie anbeten sollen, sie wissen viel mehr zu schwatzen und
Glossen zu machen über die Ochsen und Esel, welche die Bundeslade ziehen
sollen. Das Herz empor! und den Hut ab in Ehrfurcht! Das empfinden sie
nicht. Je nun, wir können uns doch trösten, ist die Predigt schlecht, so klingt
doch noch mitunter ein Lied von Doctor Luther oder Paul Gerhard, und
wenn man fromm sein will, so gehts doch."

Stein starb den 29. Juni 1831. Arndt nennt ihn unsern zweiten Armi-
nius, den größten Deutschen des 19. Jahrhunderts neben Goethe, Deutsch¬
lands politischen Martin Luther "seiner ganzen Natürlichkeit nach, an Leib
und Geist, auch mit denselben Tugenden und Fehlern." Wer das Leben und
die Schriften des Generals Friedrich von Gagern kennt, wird sich noch
einem dritten Vergleich hingeführt sehen. Friedrich von Gagern hatte alles,
was an Stein preiswürdig war, und mehr als das, er war zugleich ein in
allen Dingen vollkommen klarer, vollkommen durchgebildeter Geist. Er, wenn


Güter ihrer Väter geschützt sein sollten, als die Söhne und Enkel der Adeligen.
Weil dies in Westphalen noch bestand, hatte er dieses Land der rothen Erde
so lieb, fühlte er sich auf diesem Boden heimischer als in Nassau. Ueber¬
haupt aber „war sein Blick seit den Schlachten an der Katzbach, bei Denne-
witz und bei Leipzig, nur nach dem Norden gerichtet, nach dem Volke, was
zwischen der Weser, Elbe, Weichsel bis zum Pregel wohnt, nach dem glor¬
reichen Stamm, der dieses Volt beherrscht, nach den Hohenzollern. Der
Geist und Muth seiner Jugend, die nur dein großen Friedrich von Preußen
dienen gewollt, erwachte wieder, als er zum Greise geworden. „Hier sah
er Deutschlands Zukunft aufdämmern, hier die Macht und Herrlichkeit, wovon
wir schon in den Jahren 1813 und 1815 geträumt hatten."

Wir kommen zum Schluß. Stein war fromm, wie er tapfer und redlich
war. Aber selbst in ernsten Gesprächen führte er Gott selten im Munde.
„Nichts war ihm verhaßter als Maulchristen, ja selbst Mundchristen wurden
ihm leicht verdächtig als -Gleisner und Scheinheilige." „Er pries sich glück¬
lich, daß er durch seine Eltern ein Lutheraner war." „Er glaubte das Er-
lösungswerk des lutherischen Katechismus." Wenn er aber darauf zusprechen
kam, so sagte er: „Das ist ein Geheimniß, wobei einem verworrener wird,
je mehr man darüber schwatzt und klügelt; vor einem Geheimniß stehe ich
still, daran glaube ich, aber von Gott weiß und fühle ich was." Sonntags
ging er mit seinen Kindern und Hausgenossen immer in den Vormittags-
gottcsdienst. Da sagte er: „Man geht oft in die Kirche ohne Herzensbedürf¬
niß, aber ein alter Mann und ein Hausherr ist der Jugend ein Beispiel
schuldig, und oft nimmt man doch etwas mit nach Hause, was man nicht
gehofft hatte." Ueber gewisse Geistliche äußerte er: „Die dummen Kerle haben
die Capitel vergessen, die im AUerheiligsten der Bundeslade in Gold eingewickelt
liegen, vor welchen sie anbeten sollen, sie wissen viel mehr zu schwatzen und
Glossen zu machen über die Ochsen und Esel, welche die Bundeslade ziehen
sollen. Das Herz empor! und den Hut ab in Ehrfurcht! Das empfinden sie
nicht. Je nun, wir können uns doch trösten, ist die Predigt schlecht, so klingt
doch noch mitunter ein Lied von Doctor Luther oder Paul Gerhard, und
wenn man fromm sein will, so gehts doch."

Stein starb den 29. Juni 1831. Arndt nennt ihn unsern zweiten Armi-
nius, den größten Deutschen des 19. Jahrhunderts neben Goethe, Deutsch¬
lands politischen Martin Luther „seiner ganzen Natürlichkeit nach, an Leib
und Geist, auch mit denselben Tugenden und Fehlern." Wer das Leben und
die Schriften des Generals Friedrich von Gagern kennt, wird sich noch
einem dritten Vergleich hingeführt sehen. Friedrich von Gagern hatte alles,
was an Stein preiswürdig war, und mehr als das, er war zugleich ein in
allen Dingen vollkommen klarer, vollkommen durchgebildeter Geist. Er, wenn


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[0354] Güter ihrer Väter geschützt sein sollten, als die Söhne und Enkel der Adeligen. Weil dies in Westphalen noch bestand, hatte er dieses Land der rothen Erde so lieb, fühlte er sich auf diesem Boden heimischer als in Nassau. Ueber¬ haupt aber „war sein Blick seit den Schlachten an der Katzbach, bei Denne- witz und bei Leipzig, nur nach dem Norden gerichtet, nach dem Volke, was zwischen der Weser, Elbe, Weichsel bis zum Pregel wohnt, nach dem glor¬ reichen Stamm, der dieses Volt beherrscht, nach den Hohenzollern. Der Geist und Muth seiner Jugend, die nur dein großen Friedrich von Preußen dienen gewollt, erwachte wieder, als er zum Greise geworden. „Hier sah er Deutschlands Zukunft aufdämmern, hier die Macht und Herrlichkeit, wovon wir schon in den Jahren 1813 und 1815 geträumt hatten." Wir kommen zum Schluß. Stein war fromm, wie er tapfer und redlich war. Aber selbst in ernsten Gesprächen führte er Gott selten im Munde. „Nichts war ihm verhaßter als Maulchristen, ja selbst Mundchristen wurden ihm leicht verdächtig als -Gleisner und Scheinheilige." „Er pries sich glück¬ lich, daß er durch seine Eltern ein Lutheraner war." „Er glaubte das Er- lösungswerk des lutherischen Katechismus." Wenn er aber darauf zusprechen kam, so sagte er: „Das ist ein Geheimniß, wobei einem verworrener wird, je mehr man darüber schwatzt und klügelt; vor einem Geheimniß stehe ich still, daran glaube ich, aber von Gott weiß und fühle ich was." Sonntags ging er mit seinen Kindern und Hausgenossen immer in den Vormittags- gottcsdienst. Da sagte er: „Man geht oft in die Kirche ohne Herzensbedürf¬ niß, aber ein alter Mann und ein Hausherr ist der Jugend ein Beispiel schuldig, und oft nimmt man doch etwas mit nach Hause, was man nicht gehofft hatte." Ueber gewisse Geistliche äußerte er: „Die dummen Kerle haben die Capitel vergessen, die im AUerheiligsten der Bundeslade in Gold eingewickelt liegen, vor welchen sie anbeten sollen, sie wissen viel mehr zu schwatzen und Glossen zu machen über die Ochsen und Esel, welche die Bundeslade ziehen sollen. Das Herz empor! und den Hut ab in Ehrfurcht! Das empfinden sie nicht. Je nun, wir können uns doch trösten, ist die Predigt schlecht, so klingt doch noch mitunter ein Lied von Doctor Luther oder Paul Gerhard, und wenn man fromm sein will, so gehts doch." Stein starb den 29. Juni 1831. Arndt nennt ihn unsern zweiten Armi- nius, den größten Deutschen des 19. Jahrhunderts neben Goethe, Deutsch¬ lands politischen Martin Luther „seiner ganzen Natürlichkeit nach, an Leib und Geist, auch mit denselben Tugenden und Fehlern." Wer das Leben und die Schriften des Generals Friedrich von Gagern kennt, wird sich noch einem dritten Vergleich hingeführt sehen. Friedrich von Gagern hatte alles, was an Stein preiswürdig war, und mehr als das, er war zugleich ein in allen Dingen vollkommen klarer, vollkommen durchgebildeter Geist. Er, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/354>, abgerufen am 22.07.2024.