Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es nicht zu gebrauchen: hätten die deutschen Könige und Fürsten ihre
Schuldigkeit gethan, nimmer wäre ein Franzose über die Elbe, Oder oder
Weichsel, geschweige über den Dniestr gekommen." -- Und die Kaiserin hatte
die Rede aufgenommen, wie sie nicht anders konnte, und mit aller Fassung
gedankt: "Sie mögen vielleicht Recht haben, Herr Baron, ich danke Ihnen für
die Lection."

Es sei hierzu bemerkt, daß die Kaiserin vorher allen Kleingläubigen und
Feigen vorangcweseu war. Ebenso ihr zweiter Sohn Konstantin, der auf die
Nachricht vom Brande Moskaus "durch alle Gassen und Paläste Frieden!
Frieden! schrie. " Ebenso eine Anzahl anderer Russen. Aber während dieser
Schreckenstage voll Angst und Erschütterung, fährt Arndt fort, "stand mein
Ritter fest und unerschütterlich da. Nie habe ich ihn frischer und rüstiger ge¬
sehn, als in diesen entscheidenden Wochen. Auch Kaiser Alexander stand und
hielt fest. Ich habe nicht angesessen im innern Rath und weiß nicht, wie
viel er sich auf Steins Muth und Tugend gestützt hat; genug, trotz aller Nei¬
gungen und Senkungen nach der andern Seite hin und trotz Napoleons Sen¬
dungen, Friede ward nicht geschlossen." Er wurde -- schon das spätere Ver¬
halten Alexanders, als Stein nicht mehr sein Berather war, zeigt es, aber
auch Arndt sagt es im weitern Verlauf indirect -- deshalb nicht geschlossen,
weil Stein ihn nicht wollte. Gewiß, Arndt hat nicht mit im Rath gesessen.
Er wurde aber sehr bald in die Stellung eines Geheimsecretärs Steins er¬
hoben und las in dieser dessen Correspondenz mit dem Kaiser, aus welcher
hervorging, daß dieser sich auf Stein allerdings sehr viel stützte. "Lehrreich,
oft entzückend und erfreulich waren diese Steinschen Aufsätze und Briefe durch die
Einblicke in das ganze volle stürmische Herz des Mannes und in die Gro߬
artigkeit, womit er die Dinge vor dem Kaiser Alexander behandelte, um das
ganze seit dem tilstter Frieden befolgte, zugleich ebenso schwächliche als treu¬
lose System zu lockern und zu brechen und den zähen Träger desselben, den
Minister Nmnanzvff vom Staatsruder herunterzustürzen. Wenn ich nun in
diesen Papieren und Briefen Steins Art un.d Rede zu Alexander las und wie
er die Politik der letzten fünf Jahr malte, und den schleichenden honigsüßen
und honigweichen Charakter an den Galgen der Schande hängte, bei welcher
Malung und Hängung doch einige Schmuzflecke auf den Kaiser abspritzen
konnten, so erkannte und bewunderte ich die ganze Herzhaftigkeit und Muthig-
keit Steins."

Charakteristisch ist ferner das Verhältniß Steins zu dein Herzog von
Oldenburg, der damals an die Spitze jener deutschen Legion treten sollte.
Der Herzog "wollte alles mit, durch und für die Fürsten anfangen und in
ihrem Namen Deutschland! rufen (auch später von kleinen und kleinsinnigen
Gekrönten, namentlich gegen Preußen, häufig geschehen), Stein aber meinte


es nicht zu gebrauchen: hätten die deutschen Könige und Fürsten ihre
Schuldigkeit gethan, nimmer wäre ein Franzose über die Elbe, Oder oder
Weichsel, geschweige über den Dniestr gekommen." — Und die Kaiserin hatte
die Rede aufgenommen, wie sie nicht anders konnte, und mit aller Fassung
gedankt: „Sie mögen vielleicht Recht haben, Herr Baron, ich danke Ihnen für
die Lection."

Es sei hierzu bemerkt, daß die Kaiserin vorher allen Kleingläubigen und
Feigen vorangcweseu war. Ebenso ihr zweiter Sohn Konstantin, der auf die
Nachricht vom Brande Moskaus „durch alle Gassen und Paläste Frieden!
Frieden! schrie. " Ebenso eine Anzahl anderer Russen. Aber während dieser
Schreckenstage voll Angst und Erschütterung, fährt Arndt fort, „stand mein
Ritter fest und unerschütterlich da. Nie habe ich ihn frischer und rüstiger ge¬
sehn, als in diesen entscheidenden Wochen. Auch Kaiser Alexander stand und
hielt fest. Ich habe nicht angesessen im innern Rath und weiß nicht, wie
viel er sich auf Steins Muth und Tugend gestützt hat; genug, trotz aller Nei¬
gungen und Senkungen nach der andern Seite hin und trotz Napoleons Sen¬
dungen, Friede ward nicht geschlossen." Er wurde — schon das spätere Ver¬
halten Alexanders, als Stein nicht mehr sein Berather war, zeigt es, aber
auch Arndt sagt es im weitern Verlauf indirect — deshalb nicht geschlossen,
weil Stein ihn nicht wollte. Gewiß, Arndt hat nicht mit im Rath gesessen.
Er wurde aber sehr bald in die Stellung eines Geheimsecretärs Steins er¬
hoben und las in dieser dessen Correspondenz mit dem Kaiser, aus welcher
hervorging, daß dieser sich auf Stein allerdings sehr viel stützte. „Lehrreich,
oft entzückend und erfreulich waren diese Steinschen Aufsätze und Briefe durch die
Einblicke in das ganze volle stürmische Herz des Mannes und in die Gro߬
artigkeit, womit er die Dinge vor dem Kaiser Alexander behandelte, um das
ganze seit dem tilstter Frieden befolgte, zugleich ebenso schwächliche als treu¬
lose System zu lockern und zu brechen und den zähen Träger desselben, den
Minister Nmnanzvff vom Staatsruder herunterzustürzen. Wenn ich nun in
diesen Papieren und Briefen Steins Art un.d Rede zu Alexander las und wie
er die Politik der letzten fünf Jahr malte, und den schleichenden honigsüßen
und honigweichen Charakter an den Galgen der Schande hängte, bei welcher
Malung und Hängung doch einige Schmuzflecke auf den Kaiser abspritzen
konnten, so erkannte und bewunderte ich die ganze Herzhaftigkeit und Muthig-
keit Steins."

Charakteristisch ist ferner das Verhältniß Steins zu dein Herzog von
Oldenburg, der damals an die Spitze jener deutschen Legion treten sollte.
Der Herzog „wollte alles mit, durch und für die Fürsten anfangen und in
ihrem Namen Deutschland! rufen (auch später von kleinen und kleinsinnigen
Gekrönten, namentlich gegen Preußen, häufig geschehen), Stein aber meinte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106162"/>
          <p xml:id="ID_970" prev="#ID_969"> es nicht zu gebrauchen: hätten die deutschen Könige und Fürsten ihre<lb/>
Schuldigkeit gethan, nimmer wäre ein Franzose über die Elbe, Oder oder<lb/>
Weichsel, geschweige über den Dniestr gekommen." &#x2014; Und die Kaiserin hatte<lb/>
die Rede aufgenommen, wie sie nicht anders konnte, und mit aller Fassung<lb/>
gedankt: &#x201E;Sie mögen vielleicht Recht haben, Herr Baron, ich danke Ihnen für<lb/>
die Lection."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_971"> Es sei hierzu bemerkt, daß die Kaiserin vorher allen Kleingläubigen und<lb/>
Feigen vorangcweseu war.  Ebenso ihr zweiter Sohn Konstantin, der auf die<lb/>
Nachricht vom Brande Moskaus &#x201E;durch alle Gassen und Paläste Frieden!<lb/>
Frieden! schrie. "  Ebenso eine Anzahl anderer Russen.  Aber während dieser<lb/>
Schreckenstage voll Angst und Erschütterung, fährt Arndt fort, &#x201E;stand mein<lb/>
Ritter fest und unerschütterlich da.  Nie habe ich ihn frischer und rüstiger ge¬<lb/>
sehn, als in diesen entscheidenden Wochen.  Auch Kaiser Alexander stand und<lb/>
hielt fest.  Ich habe nicht angesessen im innern Rath und weiß nicht, wie<lb/>
viel er sich auf Steins Muth und Tugend gestützt hat; genug, trotz aller Nei¬<lb/>
gungen und Senkungen nach der andern Seite hin und trotz Napoleons Sen¬<lb/>
dungen, Friede ward nicht geschlossen."  Er wurde &#x2014; schon das spätere Ver¬<lb/>
halten Alexanders, als Stein nicht mehr sein Berather war, zeigt es, aber<lb/>
auch Arndt sagt es im weitern Verlauf indirect &#x2014; deshalb nicht geschlossen,<lb/>
weil Stein ihn nicht wollte.  Gewiß, Arndt hat nicht mit im Rath gesessen.<lb/>
Er wurde aber sehr bald in die Stellung eines Geheimsecretärs Steins er¬<lb/>
hoben und las in dieser dessen Correspondenz mit dem Kaiser, aus welcher<lb/>
hervorging, daß dieser sich auf Stein allerdings sehr viel stützte. &#x201E;Lehrreich,<lb/>
oft entzückend und erfreulich waren diese Steinschen Aufsätze und Briefe durch die<lb/>
Einblicke in das ganze volle stürmische Herz des Mannes und in die Gro߬<lb/>
artigkeit, womit er die Dinge vor dem Kaiser Alexander behandelte, um das<lb/>
ganze seit dem tilstter Frieden befolgte, zugleich ebenso schwächliche als treu¬<lb/>
lose System zu lockern und zu brechen und den zähen Träger desselben, den<lb/>
Minister Nmnanzvff vom Staatsruder herunterzustürzen.  Wenn ich nun in<lb/>
diesen Papieren und Briefen Steins Art un.d Rede zu Alexander las und wie<lb/>
er die Politik der letzten fünf Jahr malte, und den schleichenden honigsüßen<lb/>
und honigweichen Charakter an den Galgen der Schande hängte, bei welcher<lb/>
Malung und Hängung doch einige Schmuzflecke auf den Kaiser abspritzen<lb/>
konnten, so erkannte und bewunderte ich die ganze Herzhaftigkeit und Muthig-<lb/>
keit Steins."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_972" next="#ID_973"> Charakteristisch ist ferner das Verhältniß Steins zu dein Herzog von<lb/>
Oldenburg, der damals an die Spitze jener deutschen Legion treten sollte.<lb/>
Der Herzog &#x201E;wollte alles mit, durch und für die Fürsten anfangen und in<lb/>
ihrem Namen Deutschland! rufen (auch später von kleinen und kleinsinnigen<lb/>
Gekrönten, namentlich gegen Preußen, häufig geschehen), Stein aber meinte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] es nicht zu gebrauchen: hätten die deutschen Könige und Fürsten ihre Schuldigkeit gethan, nimmer wäre ein Franzose über die Elbe, Oder oder Weichsel, geschweige über den Dniestr gekommen." — Und die Kaiserin hatte die Rede aufgenommen, wie sie nicht anders konnte, und mit aller Fassung gedankt: „Sie mögen vielleicht Recht haben, Herr Baron, ich danke Ihnen für die Lection." Es sei hierzu bemerkt, daß die Kaiserin vorher allen Kleingläubigen und Feigen vorangcweseu war. Ebenso ihr zweiter Sohn Konstantin, der auf die Nachricht vom Brande Moskaus „durch alle Gassen und Paläste Frieden! Frieden! schrie. " Ebenso eine Anzahl anderer Russen. Aber während dieser Schreckenstage voll Angst und Erschütterung, fährt Arndt fort, „stand mein Ritter fest und unerschütterlich da. Nie habe ich ihn frischer und rüstiger ge¬ sehn, als in diesen entscheidenden Wochen. Auch Kaiser Alexander stand und hielt fest. Ich habe nicht angesessen im innern Rath und weiß nicht, wie viel er sich auf Steins Muth und Tugend gestützt hat; genug, trotz aller Nei¬ gungen und Senkungen nach der andern Seite hin und trotz Napoleons Sen¬ dungen, Friede ward nicht geschlossen." Er wurde — schon das spätere Ver¬ halten Alexanders, als Stein nicht mehr sein Berather war, zeigt es, aber auch Arndt sagt es im weitern Verlauf indirect — deshalb nicht geschlossen, weil Stein ihn nicht wollte. Gewiß, Arndt hat nicht mit im Rath gesessen. Er wurde aber sehr bald in die Stellung eines Geheimsecretärs Steins er¬ hoben und las in dieser dessen Correspondenz mit dem Kaiser, aus welcher hervorging, daß dieser sich auf Stein allerdings sehr viel stützte. „Lehrreich, oft entzückend und erfreulich waren diese Steinschen Aufsätze und Briefe durch die Einblicke in das ganze volle stürmische Herz des Mannes und in die Gro߬ artigkeit, womit er die Dinge vor dem Kaiser Alexander behandelte, um das ganze seit dem tilstter Frieden befolgte, zugleich ebenso schwächliche als treu¬ lose System zu lockern und zu brechen und den zähen Träger desselben, den Minister Nmnanzvff vom Staatsruder herunterzustürzen. Wenn ich nun in diesen Papieren und Briefen Steins Art un.d Rede zu Alexander las und wie er die Politik der letzten fünf Jahr malte, und den schleichenden honigsüßen und honigweichen Charakter an den Galgen der Schande hängte, bei welcher Malung und Hängung doch einige Schmuzflecke auf den Kaiser abspritzen konnten, so erkannte und bewunderte ich die ganze Herzhaftigkeit und Muthig- keit Steins." Charakteristisch ist ferner das Verhältniß Steins zu dein Herzog von Oldenburg, der damals an die Spitze jener deutschen Legion treten sollte. Der Herzog „wollte alles mit, durch und für die Fürsten anfangen und in ihrem Namen Deutschland! rufen (auch später von kleinen und kleinsinnigen Gekrönten, namentlich gegen Preußen, häufig geschehen), Stein aber meinte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/351>, abgerufen am 23.07.2024.