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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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wild brausen und stürmen wolle, daß er in seinem Ungestüm zuweilen dem
Jähzorn Preis gegeben sei und daß es dann mit ihm durchgehen könne, war
er sich wohl bewußt und klagte sich dann zuweilen wol über alle Gebühr an,
wie es denn seine Art war, als ein wahrhaft demüthiger und rechtschaffener
Mann seine Fehler nicht nur anzuerkennen, sondern auch wieder gut zu ma¬
chen. Das habe ich an mir selbst und an vielen andern oft genug erfahren."
Mochten manche, die sonst tief unter ihm standen, ihn an Kenntnissen und
Geschicklichkeit übertreffen, so war er dafür in jedem Augenblick ganz und
voll, was er war; er hatte "in jedem Augenblick sein Geräth und Waffen
fertig ganz und voll bei sich: die Revolvers, die Umrollcr und Ausrollcr
seines Geistes hatten die Kugeln immer zum Abdruck bei der Hand, in hellen
frischen Stunden "blitzte nicht blos Verstand, sondern auch Witz auf Witz aus
seinem Munde." -- "Festgeschlosscn und kurz floß es ihm von den Lippen,
selbst in heftiger Aufregung und im zornigen Muthe purzelten und stürzten
seine Worte nimmer unordentlich durcheinander. Geradaus und Geraddurch!
war sein Wahlspruch. Muth und Wahrheit fanden immer die rechte Stel¬
lung und die rechte Rede, diese hätten nimmer krumme und verschlungene Pfade
gehen, für alle Schätze der Welt nimmer Ja und Nein willkürlich wechseln
können. Wenn dieser, Mann als Minister ein offnes freies Parlament vor
sich gehabt Hütte, gewiß würde er für einen alles niederdonnernden, zerschmet¬
ternden Redner gegolten haben, mit seinem unbezwinglichen Muthe und seiner
Tugend und Kraft."

Wir geben, ehe wir in der Ausmalung der Züge des Trefflicher und
Gewaltigen fortfahren, einige Beispiele, welche das bisher Gesagte ins Licht
zu setzen geeignet sind:

Eine Probe seines Freimuths, welche "alle Russen zum Erschrecken und
zur Bewunderung hinriß", wurde Arndt vom Minister Uwaroff erzählt. Als
der Rückzug Napoleons von Moskau bekannt worden war, hatte die alte Kai¬
serin, von dem allgemeinen Siegesmuth angesteckt, bei Tafel "dem Minister
Stein gegenüber ihre stolzen würtemberger Lippen ungefähr mit den Worten
aufgethan: "Wenn jetzt noch ein französischer Soldat durch die deutschen Gren¬
zen entrinnt, so werde ich mich schämen, eine Deutsche zu sein." -- Bei die¬
sen Worten sah man Stein im Gesicht roth und längs seiner großen Nase
vor Zorn weiß werden, sich erheben, verneigen und in geflügelter Rede also
erwidern: "Ew. Majestät haben sehr unrecht, solches hier auszusprechen. und
zwar über ein so großes, treues, tapferes Volk, welchem Sie anzugehören das
Glück haben. Sie hätten sagen sollen, nicht des deutschen Volkes
schäme ich mich, sondern meiner Brüder, Vettern und Genossen,
der deutschen Fürsten. Ich habe die Zeit durchlebt, ich lebte in den
Jahren 1791 bis 1794 am Rhein; nicht das Volk hatte Schuld, man wußte


wild brausen und stürmen wolle, daß er in seinem Ungestüm zuweilen dem
Jähzorn Preis gegeben sei und daß es dann mit ihm durchgehen könne, war
er sich wohl bewußt und klagte sich dann zuweilen wol über alle Gebühr an,
wie es denn seine Art war, als ein wahrhaft demüthiger und rechtschaffener
Mann seine Fehler nicht nur anzuerkennen, sondern auch wieder gut zu ma¬
chen. Das habe ich an mir selbst und an vielen andern oft genug erfahren."
Mochten manche, die sonst tief unter ihm standen, ihn an Kenntnissen und
Geschicklichkeit übertreffen, so war er dafür in jedem Augenblick ganz und
voll, was er war; er hatte „in jedem Augenblick sein Geräth und Waffen
fertig ganz und voll bei sich: die Revolvers, die Umrollcr und Ausrollcr
seines Geistes hatten die Kugeln immer zum Abdruck bei der Hand, in hellen
frischen Stunden «blitzte nicht blos Verstand, sondern auch Witz auf Witz aus
seinem Munde." — „Festgeschlosscn und kurz floß es ihm von den Lippen,
selbst in heftiger Aufregung und im zornigen Muthe purzelten und stürzten
seine Worte nimmer unordentlich durcheinander. Geradaus und Geraddurch!
war sein Wahlspruch. Muth und Wahrheit fanden immer die rechte Stel¬
lung und die rechte Rede, diese hätten nimmer krumme und verschlungene Pfade
gehen, für alle Schätze der Welt nimmer Ja und Nein willkürlich wechseln
können. Wenn dieser, Mann als Minister ein offnes freies Parlament vor
sich gehabt Hütte, gewiß würde er für einen alles niederdonnernden, zerschmet¬
ternden Redner gegolten haben, mit seinem unbezwinglichen Muthe und seiner
Tugend und Kraft."

Wir geben, ehe wir in der Ausmalung der Züge des Trefflicher und
Gewaltigen fortfahren, einige Beispiele, welche das bisher Gesagte ins Licht
zu setzen geeignet sind:

Eine Probe seines Freimuths, welche „alle Russen zum Erschrecken und
zur Bewunderung hinriß", wurde Arndt vom Minister Uwaroff erzählt. Als
der Rückzug Napoleons von Moskau bekannt worden war, hatte die alte Kai¬
serin, von dem allgemeinen Siegesmuth angesteckt, bei Tafel „dem Minister
Stein gegenüber ihre stolzen würtemberger Lippen ungefähr mit den Worten
aufgethan: „Wenn jetzt noch ein französischer Soldat durch die deutschen Gren¬
zen entrinnt, so werde ich mich schämen, eine Deutsche zu sein." — Bei die¬
sen Worten sah man Stein im Gesicht roth und längs seiner großen Nase
vor Zorn weiß werden, sich erheben, verneigen und in geflügelter Rede also
erwidern: „Ew. Majestät haben sehr unrecht, solches hier auszusprechen. und
zwar über ein so großes, treues, tapferes Volk, welchem Sie anzugehören das
Glück haben. Sie hätten sagen sollen, nicht des deutschen Volkes
schäme ich mich, sondern meiner Brüder, Vettern und Genossen,
der deutschen Fürsten. Ich habe die Zeit durchlebt, ich lebte in den
Jahren 1791 bis 1794 am Rhein; nicht das Volk hatte Schuld, man wußte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/350>, abgerufen am 23.07.2024.