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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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breite Stirn und seine schönen Augen. "Aber doch gewahrte ich," fährt er
fort, "ein kleines Mißverhältniß in der Gestalt des schönen Greises: wenn
er stand, gewahrte, wer dergleichen überhaupt sehen kann, daß sein Leib eine
gewisse Steifheit und gleichsam Unbeholfenheit hatte." -- "Goethe war ja
Minister und Excellenz und in Wahrheit eine der excellentesten Excellenzen des
Vaterlandes, aber hier in Köln wie? wie? Es kamen von den jungen Offi¬
zieren, die in Köln standen, einige sich vor ihm zu verneigen, solche, deren
Bäter oder Vettern erkannte. Thüringerund andere, Ministersöhne. Baronen¬
söhne, Jungen, vor welchen Stein, ja nicht einmal Unsereiner, nicht die
Mütze abgezogen hätte -- und Goethe stand vor ihnen in einer Stellung,
als sei er der Untere. Eine solche Ungefügigkeit des Leibes, eine solche fast
dienerliche Haltung einem Altadeligen gegenüber, vielleicht aus Jugendgewohn¬
heit, womit eine gewisse Steifheit verknüpft war. ist dem sonst zwar stolzen,
aber sehr großmüthigen, liebenswürdigen Manne von den Unkundigen wol oft
als Hoffart ausgelegt worden." Andere haben das Gegentheils darin sehen
wollen. Arndt aber löst sich das Räthsel auf eine andere Art, die überraschend
genug -- "seine Beine waren um sechs, sieben Zo it zu kurz." Goethe
hat nach ihm als Zukurzbeiniger in seiner Jugend "als Reiter. Fechter, Tän¬
zer, Schlittschuhläufer nimmer ein Leichtfliegendcr sein" können, und aus dem
Gefühl dieses körperlichen Mangels (der mit sechs, ja sieben Zoll mehr
Bein sicher in eine Ungeheuerlichkeit umgeschlagen wäre) hat er "in Schilde¬
rungen seiner sogenannten ritterlichen Männer (ein Jarno und Konsorten) auf
jene körperliche Beweglichkeit und Gewandtheit, welche jeder Jagdjunker und
Kammerjunker von Kind auf leicht und umsonst gewinnt, wie mir däucht, im
Kleinen einen zu großen Wetth gelegt."

Endlich mag hier noch stehen, was Arndt über Hardenberg urtheilt. Nie-
buhr haßte ihn, verachtete ihn sogar. Auch Stein mochte ihn zuletzt nicht
mehr. Aber die harten Urtheile der beiden über den Staatskanzler, auf
welche das Bild gegründet ist, das Pertz von ihm entwirft, wurden "Briefen
entnommen, die wie alle Briefe nur den Ausdruck des Gefühls des Augen¬
blicks enthielten." Arndt hörte "Stein zwar oft auf Hardenberg schelten, aber
einmal -- und zwar zur Zeit entscheidendster Momente -- auch ein gerechtes
und billiges Urtheil über ihn fallen. ja sogar ihn loben." So wenig wie
Stein einst vermocht hatte, Friedrich Wilhelm und Alexander zu bestimmen,
daß sie in Sachsen Aushebungen von Kämpfern gegen Napoleon gestatteten,
so wenig vermochte Hardenberg in Paris, als es galt, Preußen gute Bedin¬
gungen zu verschaffen, den "blöden und scheuen" König zu einer mündlichen
Besprechung mit Franz und Alezander zu gewinnen, bei welcher, wie Stein
glaubte, seine Angelegenheiten sicher abgemacht worden wären.

Wir gehen jetzt zu dem Bilde von Stein über, welches wir uns aus


breite Stirn und seine schönen Augen. „Aber doch gewahrte ich," fährt er
fort, „ein kleines Mißverhältniß in der Gestalt des schönen Greises: wenn
er stand, gewahrte, wer dergleichen überhaupt sehen kann, daß sein Leib eine
gewisse Steifheit und gleichsam Unbeholfenheit hatte." — „Goethe war ja
Minister und Excellenz und in Wahrheit eine der excellentesten Excellenzen des
Vaterlandes, aber hier in Köln wie? wie? Es kamen von den jungen Offi¬
zieren, die in Köln standen, einige sich vor ihm zu verneigen, solche, deren
Bäter oder Vettern erkannte. Thüringerund andere, Ministersöhne. Baronen¬
söhne, Jungen, vor welchen Stein, ja nicht einmal Unsereiner, nicht die
Mütze abgezogen hätte — und Goethe stand vor ihnen in einer Stellung,
als sei er der Untere. Eine solche Ungefügigkeit des Leibes, eine solche fast
dienerliche Haltung einem Altadeligen gegenüber, vielleicht aus Jugendgewohn¬
heit, womit eine gewisse Steifheit verknüpft war. ist dem sonst zwar stolzen,
aber sehr großmüthigen, liebenswürdigen Manne von den Unkundigen wol oft
als Hoffart ausgelegt worden." Andere haben das Gegentheils darin sehen
wollen. Arndt aber löst sich das Räthsel auf eine andere Art, die überraschend
genug — „seine Beine waren um sechs, sieben Zo it zu kurz." Goethe
hat nach ihm als Zukurzbeiniger in seiner Jugend „als Reiter. Fechter, Tän¬
zer, Schlittschuhläufer nimmer ein Leichtfliegendcr sein" können, und aus dem
Gefühl dieses körperlichen Mangels (der mit sechs, ja sieben Zoll mehr
Bein sicher in eine Ungeheuerlichkeit umgeschlagen wäre) hat er „in Schilde¬
rungen seiner sogenannten ritterlichen Männer (ein Jarno und Konsorten) auf
jene körperliche Beweglichkeit und Gewandtheit, welche jeder Jagdjunker und
Kammerjunker von Kind auf leicht und umsonst gewinnt, wie mir däucht, im
Kleinen einen zu großen Wetth gelegt."

Endlich mag hier noch stehen, was Arndt über Hardenberg urtheilt. Nie-
buhr haßte ihn, verachtete ihn sogar. Auch Stein mochte ihn zuletzt nicht
mehr. Aber die harten Urtheile der beiden über den Staatskanzler, auf
welche das Bild gegründet ist, das Pertz von ihm entwirft, wurden „Briefen
entnommen, die wie alle Briefe nur den Ausdruck des Gefühls des Augen¬
blicks enthielten." Arndt hörte „Stein zwar oft auf Hardenberg schelten, aber
einmal — und zwar zur Zeit entscheidendster Momente — auch ein gerechtes
und billiges Urtheil über ihn fallen. ja sogar ihn loben." So wenig wie
Stein einst vermocht hatte, Friedrich Wilhelm und Alexander zu bestimmen,
daß sie in Sachsen Aushebungen von Kämpfern gegen Napoleon gestatteten,
so wenig vermochte Hardenberg in Paris, als es galt, Preußen gute Bedin¬
gungen zu verschaffen, den „blöden und scheuen" König zu einer mündlichen
Besprechung mit Franz und Alezander zu gewinnen, bei welcher, wie Stein
glaubte, seine Angelegenheiten sicher abgemacht worden wären.

Wir gehen jetzt zu dem Bilde von Stein über, welches wir uns aus


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[0348] breite Stirn und seine schönen Augen. „Aber doch gewahrte ich," fährt er fort, „ein kleines Mißverhältniß in der Gestalt des schönen Greises: wenn er stand, gewahrte, wer dergleichen überhaupt sehen kann, daß sein Leib eine gewisse Steifheit und gleichsam Unbeholfenheit hatte." — „Goethe war ja Minister und Excellenz und in Wahrheit eine der excellentesten Excellenzen des Vaterlandes, aber hier in Köln wie? wie? Es kamen von den jungen Offi¬ zieren, die in Köln standen, einige sich vor ihm zu verneigen, solche, deren Bäter oder Vettern erkannte. Thüringerund andere, Ministersöhne. Baronen¬ söhne, Jungen, vor welchen Stein, ja nicht einmal Unsereiner, nicht die Mütze abgezogen hätte — und Goethe stand vor ihnen in einer Stellung, als sei er der Untere. Eine solche Ungefügigkeit des Leibes, eine solche fast dienerliche Haltung einem Altadeligen gegenüber, vielleicht aus Jugendgewohn¬ heit, womit eine gewisse Steifheit verknüpft war. ist dem sonst zwar stolzen, aber sehr großmüthigen, liebenswürdigen Manne von den Unkundigen wol oft als Hoffart ausgelegt worden." Andere haben das Gegentheils darin sehen wollen. Arndt aber löst sich das Räthsel auf eine andere Art, die überraschend genug — „seine Beine waren um sechs, sieben Zo it zu kurz." Goethe hat nach ihm als Zukurzbeiniger in seiner Jugend „als Reiter. Fechter, Tän¬ zer, Schlittschuhläufer nimmer ein Leichtfliegendcr sein" können, und aus dem Gefühl dieses körperlichen Mangels (der mit sechs, ja sieben Zoll mehr Bein sicher in eine Ungeheuerlichkeit umgeschlagen wäre) hat er „in Schilde¬ rungen seiner sogenannten ritterlichen Männer (ein Jarno und Konsorten) auf jene körperliche Beweglichkeit und Gewandtheit, welche jeder Jagdjunker und Kammerjunker von Kind auf leicht und umsonst gewinnt, wie mir däucht, im Kleinen einen zu großen Wetth gelegt." Endlich mag hier noch stehen, was Arndt über Hardenberg urtheilt. Nie- buhr haßte ihn, verachtete ihn sogar. Auch Stein mochte ihn zuletzt nicht mehr. Aber die harten Urtheile der beiden über den Staatskanzler, auf welche das Bild gegründet ist, das Pertz von ihm entwirft, wurden „Briefen entnommen, die wie alle Briefe nur den Ausdruck des Gefühls des Augen¬ blicks enthielten." Arndt hörte „Stein zwar oft auf Hardenberg schelten, aber einmal — und zwar zur Zeit entscheidendster Momente — auch ein gerechtes und billiges Urtheil über ihn fallen. ja sogar ihn loben." So wenig wie Stein einst vermocht hatte, Friedrich Wilhelm und Alexander zu bestimmen, daß sie in Sachsen Aushebungen von Kämpfern gegen Napoleon gestatteten, so wenig vermochte Hardenberg in Paris, als es galt, Preußen gute Bedin¬ gungen zu verschaffen, den „blöden und scheuen" König zu einer mündlichen Besprechung mit Franz und Alezander zu gewinnen, bei welcher, wie Stein glaubte, seine Angelegenheiten sicher abgemacht worden wären. Wir gehen jetzt zu dem Bilde von Stein über, welches wir uns aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/348>, abgerufen am 23.07.2024.