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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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" Den Neunziger näher als den Achtziger erfreut er sich, während mancher sonst
höher Begabte in diesen Jahren längst an Schwung erlahmte und an Farbe
verbleichte, den alten schönen Buchen seiner Heimath Rügen vergleichbar, noch
immer dessen, was die Engländer "s, gi-sen via aZö" nennen. Wie lebhaften
Antheil er noch an politischen Fragen nimmt, wie treu sein Gedächtniß ist,
wie lustig ihm noch die Quelle des Witzes sprudelt, wie stürmisch noch sein
Haß, wie warm seine Liebe, wie rege seine Phantasie, wie scharf sein Urtheil
über Ereignisse und Persönlichkeiten sich gibt, zeigt auel sein neuestes Buch
über Stein, seinen, unsern Stein. Mag man ihm an gelegentlichen Wieder¬
holungen etwas von den 89 Jahren anmerken, mag man mit ihm über, die
Anwendung des Superlativs nicht völlig einverstanden sein, mag man hier
und da einen Ausdruck oder Vergleich zu derb finden, seine Ansicht von der
Rolle, die Friedrich Wilhelm in und nach.den Freiheitskriegen als "Ritter,
der seine Verlorne Geliebte sucht", spielte, als gar zu gutherzig nicht unter¬
schreiben können, über die Theilung Sachsens sehr andrer Meinung sein und
in der Anordnung des Ganzen das Eine und das Andere besser gruppirt
wünschen, man vergißt diese kleinen Mängel bereitwillig vor dem Bilde des
rüstigen Greises, das uns auf allen Seiten des Buches entgegentritt.

Das Buch stellt sich uns schlickt und anspruchslos als eine Sammlung
kleiner Porträts und Anekdoten dar. Aber es ist mehr als das. Es ist zunächst,
indem es Stein vorzüglich von der gemüthlichen Seite ins Auge faßt, eine
wesentliche Ergänzung des Bildes, welches uns Pertz von dem Reichsfreihcrrn
geliefert hat. Sodann aber versetzt es. indem aus den Sckilderungen allent¬
halben jener kernhaft fromme, jener stolze und trotzige, wehrhafte und kampfcs-
freudige Sinn hervorleuchtet, der das norddeutsche Volk zu den Freiheitskriegen
aufbrechen ließ, lebendig in die Stimmung jener großen Zeit der Wiedergeburt.
Wir hören zwischen gemüthlichen Scherzen und lustigen Erzählungen hindurch
den Sturmhauch des Gottes, der Eisen wachsen ließ, weil er keine Knechte
wollte, und wir stehen mitten in der Empfindung, mit der die Nation, Stein
voran, sich aufmachte, diesem Gotte zu dienen. Wir lassen uns endlich, ob¬
gleich wir es gleich manchem Andern vom Inhalte des Buchs schon wissen,
gern von einem, der selbst mit beim Werke war. noch einmal erzählen, daß
nicht Russen, sondern Preußen, und nicht Fürsten, sondern Privatleute es
waren, welche die ersten Schritte thaten, um Deutschland von der Knechtschaft
Napoleons zu befreien. Darin liegt der Hauptwerth des Buches, das in
dieser Beziehung ein erbauliches der besten Art ist. Nebenher sind wir dem
Verfasser aber zugleich für manches gutgezeichnere Charakterbild aus der Zahl
seiner Erinnerungen dankbar, und endlich befinden sich auch unter den Anek¬
doten mehre neue, und selbst wo sie bekannt sind, lassen wir sie uns aus
diesen: Munde recht wohl noch einmal gefallen.


Grenzboten III. 1868. 43

" Den Neunziger näher als den Achtziger erfreut er sich, während mancher sonst
höher Begabte in diesen Jahren längst an Schwung erlahmte und an Farbe
verbleichte, den alten schönen Buchen seiner Heimath Rügen vergleichbar, noch
immer dessen, was die Engländer „s, gi-sen via aZö" nennen. Wie lebhaften
Antheil er noch an politischen Fragen nimmt, wie treu sein Gedächtniß ist,
wie lustig ihm noch die Quelle des Witzes sprudelt, wie stürmisch noch sein
Haß, wie warm seine Liebe, wie rege seine Phantasie, wie scharf sein Urtheil
über Ereignisse und Persönlichkeiten sich gibt, zeigt auel sein neuestes Buch
über Stein, seinen, unsern Stein. Mag man ihm an gelegentlichen Wieder¬
holungen etwas von den 89 Jahren anmerken, mag man mit ihm über, die
Anwendung des Superlativs nicht völlig einverstanden sein, mag man hier
und da einen Ausdruck oder Vergleich zu derb finden, seine Ansicht von der
Rolle, die Friedrich Wilhelm in und nach.den Freiheitskriegen als „Ritter,
der seine Verlorne Geliebte sucht", spielte, als gar zu gutherzig nicht unter¬
schreiben können, über die Theilung Sachsens sehr andrer Meinung sein und
in der Anordnung des Ganzen das Eine und das Andere besser gruppirt
wünschen, man vergißt diese kleinen Mängel bereitwillig vor dem Bilde des
rüstigen Greises, das uns auf allen Seiten des Buches entgegentritt.

Das Buch stellt sich uns schlickt und anspruchslos als eine Sammlung
kleiner Porträts und Anekdoten dar. Aber es ist mehr als das. Es ist zunächst,
indem es Stein vorzüglich von der gemüthlichen Seite ins Auge faßt, eine
wesentliche Ergänzung des Bildes, welches uns Pertz von dem Reichsfreihcrrn
geliefert hat. Sodann aber versetzt es. indem aus den Sckilderungen allent¬
halben jener kernhaft fromme, jener stolze und trotzige, wehrhafte und kampfcs-
freudige Sinn hervorleuchtet, der das norddeutsche Volk zu den Freiheitskriegen
aufbrechen ließ, lebendig in die Stimmung jener großen Zeit der Wiedergeburt.
Wir hören zwischen gemüthlichen Scherzen und lustigen Erzählungen hindurch
den Sturmhauch des Gottes, der Eisen wachsen ließ, weil er keine Knechte
wollte, und wir stehen mitten in der Empfindung, mit der die Nation, Stein
voran, sich aufmachte, diesem Gotte zu dienen. Wir lassen uns endlich, ob¬
gleich wir es gleich manchem Andern vom Inhalte des Buchs schon wissen,
gern von einem, der selbst mit beim Werke war. noch einmal erzählen, daß
nicht Russen, sondern Preußen, und nicht Fürsten, sondern Privatleute es
waren, welche die ersten Schritte thaten, um Deutschland von der Knechtschaft
Napoleons zu befreien. Darin liegt der Hauptwerth des Buches, das in
dieser Beziehung ein erbauliches der besten Art ist. Nebenher sind wir dem
Verfasser aber zugleich für manches gutgezeichnere Charakterbild aus der Zahl
seiner Erinnerungen dankbar, und endlich befinden sich auch unter den Anek¬
doten mehre neue, und selbst wo sie bekannt sind, lassen wir sie uns aus
diesen: Munde recht wohl noch einmal gefallen.


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[0345] " Den Neunziger näher als den Achtziger erfreut er sich, während mancher sonst höher Begabte in diesen Jahren längst an Schwung erlahmte und an Farbe verbleichte, den alten schönen Buchen seiner Heimath Rügen vergleichbar, noch immer dessen, was die Engländer „s, gi-sen via aZö" nennen. Wie lebhaften Antheil er noch an politischen Fragen nimmt, wie treu sein Gedächtniß ist, wie lustig ihm noch die Quelle des Witzes sprudelt, wie stürmisch noch sein Haß, wie warm seine Liebe, wie rege seine Phantasie, wie scharf sein Urtheil über Ereignisse und Persönlichkeiten sich gibt, zeigt auel sein neuestes Buch über Stein, seinen, unsern Stein. Mag man ihm an gelegentlichen Wieder¬ holungen etwas von den 89 Jahren anmerken, mag man mit ihm über, die Anwendung des Superlativs nicht völlig einverstanden sein, mag man hier und da einen Ausdruck oder Vergleich zu derb finden, seine Ansicht von der Rolle, die Friedrich Wilhelm in und nach.den Freiheitskriegen als „Ritter, der seine Verlorne Geliebte sucht", spielte, als gar zu gutherzig nicht unter¬ schreiben können, über die Theilung Sachsens sehr andrer Meinung sein und in der Anordnung des Ganzen das Eine und das Andere besser gruppirt wünschen, man vergißt diese kleinen Mängel bereitwillig vor dem Bilde des rüstigen Greises, das uns auf allen Seiten des Buches entgegentritt. Das Buch stellt sich uns schlickt und anspruchslos als eine Sammlung kleiner Porträts und Anekdoten dar. Aber es ist mehr als das. Es ist zunächst, indem es Stein vorzüglich von der gemüthlichen Seite ins Auge faßt, eine wesentliche Ergänzung des Bildes, welches uns Pertz von dem Reichsfreihcrrn geliefert hat. Sodann aber versetzt es. indem aus den Sckilderungen allent¬ halben jener kernhaft fromme, jener stolze und trotzige, wehrhafte und kampfcs- freudige Sinn hervorleuchtet, der das norddeutsche Volk zu den Freiheitskriegen aufbrechen ließ, lebendig in die Stimmung jener großen Zeit der Wiedergeburt. Wir hören zwischen gemüthlichen Scherzen und lustigen Erzählungen hindurch den Sturmhauch des Gottes, der Eisen wachsen ließ, weil er keine Knechte wollte, und wir stehen mitten in der Empfindung, mit der die Nation, Stein voran, sich aufmachte, diesem Gotte zu dienen. Wir lassen uns endlich, ob¬ gleich wir es gleich manchem Andern vom Inhalte des Buchs schon wissen, gern von einem, der selbst mit beim Werke war. noch einmal erzählen, daß nicht Russen, sondern Preußen, und nicht Fürsten, sondern Privatleute es waren, welche die ersten Schritte thaten, um Deutschland von der Knechtschaft Napoleons zu befreien. Darin liegt der Hauptwerth des Buches, das in dieser Beziehung ein erbauliches der besten Art ist. Nebenher sind wir dem Verfasser aber zugleich für manches gutgezeichnere Charakterbild aus der Zahl seiner Erinnerungen dankbar, und endlich befinden sich auch unter den Anek¬ doten mehre neue, und selbst wo sie bekannt sind, lassen wir sie uns aus diesen: Munde recht wohl noch einmal gefallen. Grenzboten III. 1868. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/345>, abgerufen am 22.07.2024.