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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Wir übergehen das Erstere, den Abendmahlsbesuch betreffend. Ein rela¬
tiver Zwang wiederholt sich in jedem Seminar bis auf den heutigen Tag.
Die Geschichte mit dem "strenggläubigen" Decan, die Herrn Wagner veran¬
laßt, den Intendanten auch in religiöser Beziehung abzukanzeln, ist kurz fol¬
gende: Am 27. Aug. 1756 schreibt ersterer an seinen Sohn in der Akademie:
"Ich habe noch vor meiner Abreise von Stuttgart gehört, das? einer von Euch,
der das stärkste Gefühl der Gnade gehabt und schon unter manchen Trübsalen
sestbehalten hatte, sich wieder habe abwendig machen lassen" -- woran sich
in biblischer Sprache Herzensermahnungcn des Vaters knüpfen. Niemand, der
die religiösen Richtungen jener Zeit genauer zu unterscheiden versteht, kann
sich aber darüber täuschen, aus welcher Anschauungsweise heraus der Brief
geschrieben ist. Es ist die pietistische, deren Recht in den Persönlichkeiten
eines Flattich. Hahn u. a, Herzog Karl vollkommen anerkannte. Etwas
anders wäre die Betheiligung derselben an der Lieblingsstiftung des Herzogs
und ihres Leiters, des Intendanten gewesen; das sind völlig heterogene Ele¬
mente, deren Zusammenmengung nothwendig zur Ironie geführt. Die Aka¬
demie hatte das Tanzen, die Betheiligung an Redouten- und Maskenzügen,
am Theater und anderen der pietistischen Schule als verwerflich erscheinenden
Dingen ihren Zöglingen principiell gestattet, und da dies eine bekannte Sache
war, so war es ein unverzeihlicher Mißgriff des Decans, daß er seinen Sohn
aus der strengen Anschauung seines Hauses heraus grade in diese Bildungs-
anstalt brachte.

Der Brief war, wie alle andern an die Jugend dieses Instituts ein¬
gehende Briefe, nach Vorschrift "Sr. herzoglichen Durchlaucht unterthänigst vor¬
gelegt worden" B. 1. S. 617. Der Intendant wundert sich über die angezogene
Stelle und erwiedert: nicht auf äußerliche Tugenden, sondern auf wahres in¬
neres Christenthum dringe die Akademie, spricht von der einreißenden Schwär¬
merei einiger junger Leute, welche vermöge ihres "übeldirigirten Gewissens,"
Ungehorsam ausgeübt, ein geistliches Regiment mit Bischöfen und Erz-
bischöfen aufrichten :c. und sagt, daß diese fanatischen Albernheiten, nicht
aber die "Festigkeit in der Gnade" bei denen, die darin stehen, nachgelassen
haben.

Der Vater erwiedert in sehr entschiedenem Tone, mit Beziehung auf die
"religiösen Conseauenzen" des Intendanten, er wisse die Gesetze des Instituts
bis dato noch nicht, obwol er seit zwei Jahren darum gebeten; darum
könne es ihm nicht zugemuthet werden, den Sohn iridistwete zur Befolgung
alles dessen, was darin enthalten sei. zu ermuntern, denn es gebe ja auch
easus eollisionis. So werde er nie zum Tanzen on inasgu" auf der Redoute
am Sonntag seinen Sohn ermuthigen."

Die Folge war, daß der Herzog mit Beziehung auf jenes "mäistineto


Wir übergehen das Erstere, den Abendmahlsbesuch betreffend. Ein rela¬
tiver Zwang wiederholt sich in jedem Seminar bis auf den heutigen Tag.
Die Geschichte mit dem „strenggläubigen" Decan, die Herrn Wagner veran¬
laßt, den Intendanten auch in religiöser Beziehung abzukanzeln, ist kurz fol¬
gende: Am 27. Aug. 1756 schreibt ersterer an seinen Sohn in der Akademie:
„Ich habe noch vor meiner Abreise von Stuttgart gehört, das? einer von Euch,
der das stärkste Gefühl der Gnade gehabt und schon unter manchen Trübsalen
sestbehalten hatte, sich wieder habe abwendig machen lassen" — woran sich
in biblischer Sprache Herzensermahnungcn des Vaters knüpfen. Niemand, der
die religiösen Richtungen jener Zeit genauer zu unterscheiden versteht, kann
sich aber darüber täuschen, aus welcher Anschauungsweise heraus der Brief
geschrieben ist. Es ist die pietistische, deren Recht in den Persönlichkeiten
eines Flattich. Hahn u. a, Herzog Karl vollkommen anerkannte. Etwas
anders wäre die Betheiligung derselben an der Lieblingsstiftung des Herzogs
und ihres Leiters, des Intendanten gewesen; das sind völlig heterogene Ele¬
mente, deren Zusammenmengung nothwendig zur Ironie geführt. Die Aka¬
demie hatte das Tanzen, die Betheiligung an Redouten- und Maskenzügen,
am Theater und anderen der pietistischen Schule als verwerflich erscheinenden
Dingen ihren Zöglingen principiell gestattet, und da dies eine bekannte Sache
war, so war es ein unverzeihlicher Mißgriff des Decans, daß er seinen Sohn
aus der strengen Anschauung seines Hauses heraus grade in diese Bildungs-
anstalt brachte.

Der Brief war, wie alle andern an die Jugend dieses Instituts ein¬
gehende Briefe, nach Vorschrift „Sr. herzoglichen Durchlaucht unterthänigst vor¬
gelegt worden" B. 1. S. 617. Der Intendant wundert sich über die angezogene
Stelle und erwiedert: nicht auf äußerliche Tugenden, sondern auf wahres in¬
neres Christenthum dringe die Akademie, spricht von der einreißenden Schwär¬
merei einiger junger Leute, welche vermöge ihres „übeldirigirten Gewissens,"
Ungehorsam ausgeübt, ein geistliches Regiment mit Bischöfen und Erz-
bischöfen aufrichten :c. und sagt, daß diese fanatischen Albernheiten, nicht
aber die „Festigkeit in der Gnade" bei denen, die darin stehen, nachgelassen
haben.

Der Vater erwiedert in sehr entschiedenem Tone, mit Beziehung auf die
„religiösen Conseauenzen" des Intendanten, er wisse die Gesetze des Instituts
bis dato noch nicht, obwol er seit zwei Jahren darum gebeten; darum
könne es ihm nicht zugemuthet werden, den Sohn iridistwete zur Befolgung
alles dessen, was darin enthalten sei. zu ermuntern, denn es gebe ja auch
easus eollisionis. So werde er nie zum Tanzen on inasgu« auf der Redoute
am Sonntag seinen Sohn ermuthigen."

Die Folge war, daß der Herzog mit Beziehung auf jenes „mäistineto


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[0340] Wir übergehen das Erstere, den Abendmahlsbesuch betreffend. Ein rela¬ tiver Zwang wiederholt sich in jedem Seminar bis auf den heutigen Tag. Die Geschichte mit dem „strenggläubigen" Decan, die Herrn Wagner veran¬ laßt, den Intendanten auch in religiöser Beziehung abzukanzeln, ist kurz fol¬ gende: Am 27. Aug. 1756 schreibt ersterer an seinen Sohn in der Akademie: „Ich habe noch vor meiner Abreise von Stuttgart gehört, das? einer von Euch, der das stärkste Gefühl der Gnade gehabt und schon unter manchen Trübsalen sestbehalten hatte, sich wieder habe abwendig machen lassen" — woran sich in biblischer Sprache Herzensermahnungcn des Vaters knüpfen. Niemand, der die religiösen Richtungen jener Zeit genauer zu unterscheiden versteht, kann sich aber darüber täuschen, aus welcher Anschauungsweise heraus der Brief geschrieben ist. Es ist die pietistische, deren Recht in den Persönlichkeiten eines Flattich. Hahn u. a, Herzog Karl vollkommen anerkannte. Etwas anders wäre die Betheiligung derselben an der Lieblingsstiftung des Herzogs und ihres Leiters, des Intendanten gewesen; das sind völlig heterogene Ele¬ mente, deren Zusammenmengung nothwendig zur Ironie geführt. Die Aka¬ demie hatte das Tanzen, die Betheiligung an Redouten- und Maskenzügen, am Theater und anderen der pietistischen Schule als verwerflich erscheinenden Dingen ihren Zöglingen principiell gestattet, und da dies eine bekannte Sache war, so war es ein unverzeihlicher Mißgriff des Decans, daß er seinen Sohn aus der strengen Anschauung seines Hauses heraus grade in diese Bildungs- anstalt brachte. Der Brief war, wie alle andern an die Jugend dieses Instituts ein¬ gehende Briefe, nach Vorschrift „Sr. herzoglichen Durchlaucht unterthänigst vor¬ gelegt worden" B. 1. S. 617. Der Intendant wundert sich über die angezogene Stelle und erwiedert: nicht auf äußerliche Tugenden, sondern auf wahres in¬ neres Christenthum dringe die Akademie, spricht von der einreißenden Schwär¬ merei einiger junger Leute, welche vermöge ihres „übeldirigirten Gewissens," Ungehorsam ausgeübt, ein geistliches Regiment mit Bischöfen und Erz- bischöfen aufrichten :c. und sagt, daß diese fanatischen Albernheiten, nicht aber die „Festigkeit in der Gnade" bei denen, die darin stehen, nachgelassen haben. Der Vater erwiedert in sehr entschiedenem Tone, mit Beziehung auf die „religiösen Conseauenzen" des Intendanten, er wisse die Gesetze des Instituts bis dato noch nicht, obwol er seit zwei Jahren darum gebeten; darum könne es ihm nicht zugemuthet werden, den Sohn iridistwete zur Befolgung alles dessen, was darin enthalten sei. zu ermuntern, denn es gebe ja auch easus eollisionis. So werde er nie zum Tanzen on inasgu« auf der Redoute am Sonntag seinen Sohn ermuthigen." Die Folge war, daß der Herzog mit Beziehung auf jenes „mäistineto

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/340>, abgerufen am 23.07.2024.