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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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des Aufenthalts Ihrer Söhne Ihnen gegebenen Versicherungen jederzeit echt
waren. Es ist ein Unglück für jedes Institut, besonders von dem weitläufigen
Umfang wie das hiesige, daß Dummköpfe oder schon in der ersten Er¬
ziehung verdorbene junge Leute, welche grade wegen Verdorbenheit
ihrer Sitten der Hochschule übergeben werden, deren Eltern glaubten, nach
einem zwei-, höchstens dreijährigen Aufenthalt ihre Söhne als Gelehrte zurück-,
zubekommen, den Erwartungen nicht immer entsprechen" ze.

Dies eine der Hauptblößen, die sich der Intendant nach Wagnerscher
Kritik gegeben hat. Er begleitet auch die erste Hälfte der Korrespondenz
S. 308 -- 17 mit einer gründlichen Beleuchtung d. h. mit einer philiströsen
"Umschreibung und Erörterung", so daß wir in die tiefsten Tiefen der Herzens¬
stimmungen eingeführt werden. Natürlich wird die Sperre des Briefwechsels
dem Intendanten ins Gewissen geschoben, nur daß in der zweiten Hälfte,
die die einfache Rechtfertigung desselben ist, unser Kritiker mit den Noten
abbricht.

Keine Frage, daß die Verletzung des Briefgeheimnisses die anerkannter¬
maßen in der Akademie geübt wurde, zu den schwächsten Seiten derselben
gehörte; aber sie war eben ein Aggregat zum Ganzen, ohne das wir uns
die Akademie schwer denken könnten. Man erwäge nur, welches Konglomerat
verzogener, verwöhnter, träger Eleven neben den bessern war, welche Ur¬
theile über "Sklavcnplantagen" mögen von unvcrgorenen Köpfen gefällt wor¬
den sein! Indessen zwischen dem Lesen der Briefe und der Ueberwachung
derselben und einer Sperre des Briefwechsels, wie sie Wagner und anfangs
wenigstens der Bankier voraussehen, welcher Unterschied!

Wir fühlen mit dem besorgten Vater und würden wol in seiner Lage
nicht anders gehandelt haben, aber wenn nun der Intendant mit aller Ent¬
schiedenheit das Gegentheil bezeugt, alle Schuld von seiner Seite abwälzt, und
das in Briefen, die dem Herzog zur Einsicht übergeben werden, wenn man
diese Briefe so officiell behandelte, daß sie dem königlichen Staatsarchiv an¬
vertraut wurden, in welchem jeder, nicht erst ein Kanzleirath, sie zu belie¬
bigem Gebrauch sich abconterfeien kann, wenn der Intendant zuletzt erklärt,
er habe als ehrlicher Mann einem rechtschaffenen Mann gegenüber gehandelt
-- was gibt Herrn Wagner das Recht, von einer Niederlage desselben zu
reden? Nicht zu gedenken des Tones, in dem er das thut, und mit welchem er den
Höhepunkt des Scurrilen erreicht. Peinlich werden aber seine Bemerkungen
erst, wenn er auf das Capitel der Religion zu sprechen kommt und den am
Sonntag wie am Werktag freilich oft genug pedantischen Obristen erinnert,
"wer unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das Gericht"
-- wenn er uns belehrt, mit dem Herrn soll der Christ am Sonntag sich
abgeben, aber nicht mit dem Domino der Redoute.


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des Aufenthalts Ihrer Söhne Ihnen gegebenen Versicherungen jederzeit echt
waren. Es ist ein Unglück für jedes Institut, besonders von dem weitläufigen
Umfang wie das hiesige, daß Dummköpfe oder schon in der ersten Er¬
ziehung verdorbene junge Leute, welche grade wegen Verdorbenheit
ihrer Sitten der Hochschule übergeben werden, deren Eltern glaubten, nach
einem zwei-, höchstens dreijährigen Aufenthalt ihre Söhne als Gelehrte zurück-,
zubekommen, den Erwartungen nicht immer entsprechen" ze.

Dies eine der Hauptblößen, die sich der Intendant nach Wagnerscher
Kritik gegeben hat. Er begleitet auch die erste Hälfte der Korrespondenz
S. 308 — 17 mit einer gründlichen Beleuchtung d. h. mit einer philiströsen
„Umschreibung und Erörterung", so daß wir in die tiefsten Tiefen der Herzens¬
stimmungen eingeführt werden. Natürlich wird die Sperre des Briefwechsels
dem Intendanten ins Gewissen geschoben, nur daß in der zweiten Hälfte,
die die einfache Rechtfertigung desselben ist, unser Kritiker mit den Noten
abbricht.

Keine Frage, daß die Verletzung des Briefgeheimnisses die anerkannter¬
maßen in der Akademie geübt wurde, zu den schwächsten Seiten derselben
gehörte; aber sie war eben ein Aggregat zum Ganzen, ohne das wir uns
die Akademie schwer denken könnten. Man erwäge nur, welches Konglomerat
verzogener, verwöhnter, träger Eleven neben den bessern war, welche Ur¬
theile über „Sklavcnplantagen" mögen von unvcrgorenen Köpfen gefällt wor¬
den sein! Indessen zwischen dem Lesen der Briefe und der Ueberwachung
derselben und einer Sperre des Briefwechsels, wie sie Wagner und anfangs
wenigstens der Bankier voraussehen, welcher Unterschied!

Wir fühlen mit dem besorgten Vater und würden wol in seiner Lage
nicht anders gehandelt haben, aber wenn nun der Intendant mit aller Ent¬
schiedenheit das Gegentheil bezeugt, alle Schuld von seiner Seite abwälzt, und
das in Briefen, die dem Herzog zur Einsicht übergeben werden, wenn man
diese Briefe so officiell behandelte, daß sie dem königlichen Staatsarchiv an¬
vertraut wurden, in welchem jeder, nicht erst ein Kanzleirath, sie zu belie¬
bigem Gebrauch sich abconterfeien kann, wenn der Intendant zuletzt erklärt,
er habe als ehrlicher Mann einem rechtschaffenen Mann gegenüber gehandelt
— was gibt Herrn Wagner das Recht, von einer Niederlage desselben zu
reden? Nicht zu gedenken des Tones, in dem er das thut, und mit welchem er den
Höhepunkt des Scurrilen erreicht. Peinlich werden aber seine Bemerkungen
erst, wenn er auf das Capitel der Religion zu sprechen kommt und den am
Sonntag wie am Werktag freilich oft genug pedantischen Obristen erinnert,
„wer unwürdig isset und trinket, der isset und trinket ihm selber das Gericht"
— wenn er uns belehrt, mit dem Herrn soll der Christ am Sonntag sich
abgeben, aber nicht mit dem Domino der Redoute.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/339>, abgerufen am 23.07.2024.