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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Anspruchslosigkeit seind. Gleich darauf begann die Aristokratie bei dem Näher¬
rücken der Franzosen die Stadt zu verlassen. Da mau Forsters sanguinisches
Wesen kannte, drang man sehr lebhaft in ihn, wie 1806 in Müller, sich dieser
Emigration anzuschließen, er widerstand und sprach sich mit großer Entrüstung
über die Feigheit aus, die schöne Stadt dem Feinde Preis zu geben. Den
21. Oct. rückten die Franzosen ein. Forster grüßte vor dem Thor einige
Soldaten mit dem Zuruf: vivo 1a. republique! Nie vivra, belle sans vous!
fluchte der Franzose zur Antwort. Gleich daraus sah man Professoren mit
der dreifarbigen Cocarde auf den Straßen und ein Club wurde errichtet, in
welchen jedoch Forster nicht eintrat, obgleich man ihn wegen seines guten
Französisch zu Unterhandlungen mit den neuen Behörden verwandte. Dagegen
bemühte er sich für die Wiedereröffnung des Theaters, um die fremden Offi¬
ziere zu unterhalten, und das Publicum zu Humanisiren, wie er es nannte.
Aber mehr und mehr wurde ihm die Unthätigkeit unerträglich, seine Stimmung
immer exaltirter. "Seit der Erscheinung des Christenthums hat die Geschichte
nichts Aehnliches auszuweisen, dem Enthusiasmus, dem Freiheitseifer kann nichts
widerstehn als etwa die in Stupidität versunkene Verfassung Asiens." -- Dennoch
HM er Deutschland noch immer nicht für reif-, unser armes rohes, ungebildetes
Volk kann nur wüthen, aber nicht sich constituiren. Inzwischen glaubte er
zu bemerken, daß die Sache der Freiheit in Mainz populär würde. Er trat
in den Club ein, und als er von Müller bei dessen kurzem Besuch in Mainz
eine Bestätigung seiner Ansichten zu vernehmen glaubte, hielt er Is. Nov.
eine öffentliche Rede. worin er die Mainzer aufforderte, sich für die Republik
zu erklären. Der Rhein sei die natürliche Grenze Frankreichs und die Fran¬
zosen seien berechtigt, diese Grenze als Entschädigung zu fordern. Den 20. Nov.
übernahm er eine Stelle in der von den Franzosen eingesetzten provisorischen
Verwaltung des Nheindistricts.

Obgleich man im Stillen diese Wendung erwartet, verbreitete sich doch
unter seinen auswärtigen Freunden ein großer Schreck über diesen Entschluß.
Sem alter Vater gerieth in den äußersten Zorn; Stolberg schrieb anJacobi:
"Ich bitte dich, las, Förster deinen Schutz nicht länger angcdeihn! Laß sein
Andenken zugleich mit Kotzebues Büste in irgend einer Rumpelkammer vergessen
sein! Es bedarf in diesem Augenblick einer tüchtigen Wurfschaufel. um den
Weizen zu sichten und den heulenden Winden die Spreu zu überlassen." Selbst
von Sommerung traf ein sehr bitterer Brief ein. der den alten Freund für alle
Excesse des Pöbels gegen das Eigenthum verantwortlich machte. Nur wenige
Tage nach seinem Abfall kam auch ein Brief von Herzberg mit einer Gratification
und dem Wunsch, Forster möge ein guter Preuße bleiben. Forster lehnte das
Geschenk zuerst ab. nahm es aber doch später an. als man ihn belehrte, jener
Wunsch sei keineswegs eine Bedingung. Er bedürfte es in der That mehr


Grenzboten III. 1358. 4

Anspruchslosigkeit seind. Gleich darauf begann die Aristokratie bei dem Näher¬
rücken der Franzosen die Stadt zu verlassen. Da mau Forsters sanguinisches
Wesen kannte, drang man sehr lebhaft in ihn, wie 1806 in Müller, sich dieser
Emigration anzuschließen, er widerstand und sprach sich mit großer Entrüstung
über die Feigheit aus, die schöne Stadt dem Feinde Preis zu geben. Den
21. Oct. rückten die Franzosen ein. Forster grüßte vor dem Thor einige
Soldaten mit dem Zuruf: vivo 1a. republique! Nie vivra, belle sans vous!
fluchte der Franzose zur Antwort. Gleich daraus sah man Professoren mit
der dreifarbigen Cocarde auf den Straßen und ein Club wurde errichtet, in
welchen jedoch Forster nicht eintrat, obgleich man ihn wegen seines guten
Französisch zu Unterhandlungen mit den neuen Behörden verwandte. Dagegen
bemühte er sich für die Wiedereröffnung des Theaters, um die fremden Offi¬
ziere zu unterhalten, und das Publicum zu Humanisiren, wie er es nannte.
Aber mehr und mehr wurde ihm die Unthätigkeit unerträglich, seine Stimmung
immer exaltirter. „Seit der Erscheinung des Christenthums hat die Geschichte
nichts Aehnliches auszuweisen, dem Enthusiasmus, dem Freiheitseifer kann nichts
widerstehn als etwa die in Stupidität versunkene Verfassung Asiens." — Dennoch
HM er Deutschland noch immer nicht für reif-, unser armes rohes, ungebildetes
Volk kann nur wüthen, aber nicht sich constituiren. Inzwischen glaubte er
zu bemerken, daß die Sache der Freiheit in Mainz populär würde. Er trat
in den Club ein, und als er von Müller bei dessen kurzem Besuch in Mainz
eine Bestätigung seiner Ansichten zu vernehmen glaubte, hielt er Is. Nov.
eine öffentliche Rede. worin er die Mainzer aufforderte, sich für die Republik
zu erklären. Der Rhein sei die natürliche Grenze Frankreichs und die Fran¬
zosen seien berechtigt, diese Grenze als Entschädigung zu fordern. Den 20. Nov.
übernahm er eine Stelle in der von den Franzosen eingesetzten provisorischen
Verwaltung des Nheindistricts.

Obgleich man im Stillen diese Wendung erwartet, verbreitete sich doch
unter seinen auswärtigen Freunden ein großer Schreck über diesen Entschluß.
Sem alter Vater gerieth in den äußersten Zorn; Stolberg schrieb anJacobi:
„Ich bitte dich, las, Förster deinen Schutz nicht länger angcdeihn! Laß sein
Andenken zugleich mit Kotzebues Büste in irgend einer Rumpelkammer vergessen
sein! Es bedarf in diesem Augenblick einer tüchtigen Wurfschaufel. um den
Weizen zu sichten und den heulenden Winden die Spreu zu überlassen." Selbst
von Sommerung traf ein sehr bitterer Brief ein. der den alten Freund für alle
Excesse des Pöbels gegen das Eigenthum verantwortlich machte. Nur wenige
Tage nach seinem Abfall kam auch ein Brief von Herzberg mit einer Gratification
und dem Wunsch, Forster möge ein guter Preuße bleiben. Forster lehnte das
Geschenk zuerst ab. nahm es aber doch später an. als man ihn belehrte, jener
Wunsch sei keineswegs eine Bedingung. Er bedürfte es in der That mehr


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[0033] Anspruchslosigkeit seind. Gleich darauf begann die Aristokratie bei dem Näher¬ rücken der Franzosen die Stadt zu verlassen. Da mau Forsters sanguinisches Wesen kannte, drang man sehr lebhaft in ihn, wie 1806 in Müller, sich dieser Emigration anzuschließen, er widerstand und sprach sich mit großer Entrüstung über die Feigheit aus, die schöne Stadt dem Feinde Preis zu geben. Den 21. Oct. rückten die Franzosen ein. Forster grüßte vor dem Thor einige Soldaten mit dem Zuruf: vivo 1a. republique! Nie vivra, belle sans vous! fluchte der Franzose zur Antwort. Gleich daraus sah man Professoren mit der dreifarbigen Cocarde auf den Straßen und ein Club wurde errichtet, in welchen jedoch Forster nicht eintrat, obgleich man ihn wegen seines guten Französisch zu Unterhandlungen mit den neuen Behörden verwandte. Dagegen bemühte er sich für die Wiedereröffnung des Theaters, um die fremden Offi¬ ziere zu unterhalten, und das Publicum zu Humanisiren, wie er es nannte. Aber mehr und mehr wurde ihm die Unthätigkeit unerträglich, seine Stimmung immer exaltirter. „Seit der Erscheinung des Christenthums hat die Geschichte nichts Aehnliches auszuweisen, dem Enthusiasmus, dem Freiheitseifer kann nichts widerstehn als etwa die in Stupidität versunkene Verfassung Asiens." — Dennoch HM er Deutschland noch immer nicht für reif-, unser armes rohes, ungebildetes Volk kann nur wüthen, aber nicht sich constituiren. Inzwischen glaubte er zu bemerken, daß die Sache der Freiheit in Mainz populär würde. Er trat in den Club ein, und als er von Müller bei dessen kurzem Besuch in Mainz eine Bestätigung seiner Ansichten zu vernehmen glaubte, hielt er Is. Nov. eine öffentliche Rede. worin er die Mainzer aufforderte, sich für die Republik zu erklären. Der Rhein sei die natürliche Grenze Frankreichs und die Fran¬ zosen seien berechtigt, diese Grenze als Entschädigung zu fordern. Den 20. Nov. übernahm er eine Stelle in der von den Franzosen eingesetzten provisorischen Verwaltung des Nheindistricts. Obgleich man im Stillen diese Wendung erwartet, verbreitete sich doch unter seinen auswärtigen Freunden ein großer Schreck über diesen Entschluß. Sem alter Vater gerieth in den äußersten Zorn; Stolberg schrieb anJacobi: „Ich bitte dich, las, Förster deinen Schutz nicht länger angcdeihn! Laß sein Andenken zugleich mit Kotzebues Büste in irgend einer Rumpelkammer vergessen sein! Es bedarf in diesem Augenblick einer tüchtigen Wurfschaufel. um den Weizen zu sichten und den heulenden Winden die Spreu zu überlassen." Selbst von Sommerung traf ein sehr bitterer Brief ein. der den alten Freund für alle Excesse des Pöbels gegen das Eigenthum verantwortlich machte. Nur wenige Tage nach seinem Abfall kam auch ein Brief von Herzberg mit einer Gratification und dem Wunsch, Forster möge ein guter Preuße bleiben. Forster lehnte das Geschenk zuerst ab. nahm es aber doch später an. als man ihn belehrte, jener Wunsch sei keineswegs eine Bedingung. Er bedürfte es in der That mehr Grenzboten III. 1358. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/33>, abgerufen am 22.07.2024.