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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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gewurzelt ist in deutscher Freiheit und deutscher Gesinnung, und diese gilt es.
Möchten Sie sich wol irgend eine Gefahr, irgend ein Leiden ersparen für
die Gewißheit, unser künftiges Geschlecht einer niedrigen Sklaverei Preis gegeben
zu sehn und ihm auf alle Weise gewaltsam eingeimpft zu sehn die niedrige
Gesinnung eines grundverdorbenen Volks. Glauben Sie mir, es steht bevor
früher oder später, ein allgemeiner Kampf, dessen Gegenstand unsre Gesinnung,
unsre Religion, unsre Geistesbildung nicht weniger sein werden, als unsre
äußere Freiheit und äußern Güter, ein Kampf, den die Könige mit ihren ge¬
dungenen Heeren nicht kämpfen können, sondern die Völker mit ihren Königen
gemeinsam kämpfen werden, der Volk und Fürsten auf eine schönere Weise,
als es seit Jahrhunderten der Fall gewesen ist. vereinigen wird, und an den
sich jeder anschließen muß." (20. Juni 1806) Wie ganz anders zeigt sich in
diesen Zeiten der Noth Schleiermacher als der berühmte Geschichtschreiber der
Schweiz, der bei dem ersten Moment der Gefahr nicht blos den Muth, sondern
die Besinnung verlor. Schleiermacher hatte verschiedene Anerbietungen, er
blieb aber trotz der drückendsten Noth seinem Beruf und seiner Stellung treu.
"Mehr als je scheint mir jetzt der Einfluß wichtig, den ein akademischer Lehrer
auf die Gesinnung der Jugend haben kann. Wir müssen eine Saat säen,
die vielleicht erst spät aufgehn wird, aber die nur um desto sorgfältiger will
behandelt und gepflegt sein ... laß uns auf unserm Posten stehn und
nichts scheuen. Ich wollte ich hätte Weib und Kind, damit ich keinem nach¬
stehen dürfte für diesen Fall." Auch diese Probe sollte er bestehn. Sein
Freund Willich starb im März 1807, die junge zwanzigjährige Witwe wandte
sich um Trost an ihren väterlichen Freund, es entspann sich daraus ein herz¬
licher, inniger Briefwechsel, dem Juli 1808 die Verlobung, Mai 1809 die
Heirath folgte. Wie zwei wahrhaft edle und schöne Seelen sich glücklich ge¬
sunden hatten und nun in dem sittlichsten Ehestand, den man sich vorstellen
kann, sich bis an das Ende ihrer Tage begleiteten, wird man mit freudiger
Rührung aus diesen Briefen sehn. Vierzehn Jahre nachdem Schleiermacher
mit Eleonore gebrochen, traf er sie wieder, schüttelte ihr die Hand und sagte:
Gott hat es doch mit uns gut gemeint.




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gewurzelt ist in deutscher Freiheit und deutscher Gesinnung, und diese gilt es.
Möchten Sie sich wol irgend eine Gefahr, irgend ein Leiden ersparen für
die Gewißheit, unser künftiges Geschlecht einer niedrigen Sklaverei Preis gegeben
zu sehn und ihm auf alle Weise gewaltsam eingeimpft zu sehn die niedrige
Gesinnung eines grundverdorbenen Volks. Glauben Sie mir, es steht bevor
früher oder später, ein allgemeiner Kampf, dessen Gegenstand unsre Gesinnung,
unsre Religion, unsre Geistesbildung nicht weniger sein werden, als unsre
äußere Freiheit und äußern Güter, ein Kampf, den die Könige mit ihren ge¬
dungenen Heeren nicht kämpfen können, sondern die Völker mit ihren Königen
gemeinsam kämpfen werden, der Volk und Fürsten auf eine schönere Weise,
als es seit Jahrhunderten der Fall gewesen ist. vereinigen wird, und an den
sich jeder anschließen muß." (20. Juni 1806) Wie ganz anders zeigt sich in
diesen Zeiten der Noth Schleiermacher als der berühmte Geschichtschreiber der
Schweiz, der bei dem ersten Moment der Gefahr nicht blos den Muth, sondern
die Besinnung verlor. Schleiermacher hatte verschiedene Anerbietungen, er
blieb aber trotz der drückendsten Noth seinem Beruf und seiner Stellung treu.
„Mehr als je scheint mir jetzt der Einfluß wichtig, den ein akademischer Lehrer
auf die Gesinnung der Jugend haben kann. Wir müssen eine Saat säen,
die vielleicht erst spät aufgehn wird, aber die nur um desto sorgfältiger will
behandelt und gepflegt sein ... laß uns auf unserm Posten stehn und
nichts scheuen. Ich wollte ich hätte Weib und Kind, damit ich keinem nach¬
stehen dürfte für diesen Fall." Auch diese Probe sollte er bestehn. Sein
Freund Willich starb im März 1807, die junge zwanzigjährige Witwe wandte
sich um Trost an ihren väterlichen Freund, es entspann sich daraus ein herz¬
licher, inniger Briefwechsel, dem Juli 1808 die Verlobung, Mai 1809 die
Heirath folgte. Wie zwei wahrhaft edle und schöne Seelen sich glücklich ge¬
sunden hatten und nun in dem sittlichsten Ehestand, den man sich vorstellen
kann, sich bis an das Ende ihrer Tage begleiteten, wird man mit freudiger
Rührung aus diesen Briefen sehn. Vierzehn Jahre nachdem Schleiermacher
mit Eleonore gebrochen, traf er sie wieder, schüttelte ihr die Hand und sagte:
Gott hat es doch mit uns gut gemeint.




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[0315] gewurzelt ist in deutscher Freiheit und deutscher Gesinnung, und diese gilt es. Möchten Sie sich wol irgend eine Gefahr, irgend ein Leiden ersparen für die Gewißheit, unser künftiges Geschlecht einer niedrigen Sklaverei Preis gegeben zu sehn und ihm auf alle Weise gewaltsam eingeimpft zu sehn die niedrige Gesinnung eines grundverdorbenen Volks. Glauben Sie mir, es steht bevor früher oder später, ein allgemeiner Kampf, dessen Gegenstand unsre Gesinnung, unsre Religion, unsre Geistesbildung nicht weniger sein werden, als unsre äußere Freiheit und äußern Güter, ein Kampf, den die Könige mit ihren ge¬ dungenen Heeren nicht kämpfen können, sondern die Völker mit ihren Königen gemeinsam kämpfen werden, der Volk und Fürsten auf eine schönere Weise, als es seit Jahrhunderten der Fall gewesen ist. vereinigen wird, und an den sich jeder anschließen muß." (20. Juni 1806) Wie ganz anders zeigt sich in diesen Zeiten der Noth Schleiermacher als der berühmte Geschichtschreiber der Schweiz, der bei dem ersten Moment der Gefahr nicht blos den Muth, sondern die Besinnung verlor. Schleiermacher hatte verschiedene Anerbietungen, er blieb aber trotz der drückendsten Noth seinem Beruf und seiner Stellung treu. „Mehr als je scheint mir jetzt der Einfluß wichtig, den ein akademischer Lehrer auf die Gesinnung der Jugend haben kann. Wir müssen eine Saat säen, die vielleicht erst spät aufgehn wird, aber die nur um desto sorgfältiger will behandelt und gepflegt sein ... laß uns auf unserm Posten stehn und nichts scheuen. Ich wollte ich hätte Weib und Kind, damit ich keinem nach¬ stehen dürfte für diesen Fall." Auch diese Probe sollte er bestehn. Sein Freund Willich starb im März 1807, die junge zwanzigjährige Witwe wandte sich um Trost an ihren väterlichen Freund, es entspann sich daraus ein herz¬ licher, inniger Briefwechsel, dem Juli 1808 die Verlobung, Mai 1809 die Heirath folgte. Wie zwei wahrhaft edle und schöne Seelen sich glücklich ge¬ sunden hatten und nun in dem sittlichsten Ehestand, den man sich vorstellen kann, sich bis an das Ende ihrer Tage begleiteten, wird man mit freudiger Rührung aus diesen Briefen sehn. Vierzehn Jahre nachdem Schleiermacher mit Eleonore gebrochen, traf er sie wieder, schüttelte ihr die Hand und sagte: Gott hat es doch mit uns gut gemeint. 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/315>, abgerufen am 22.07.2024.