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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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nach Dresden. "Der Strohwitwerstand," schreibt Schleiermacher, "ist mir
gar sehr fatal angekommen und will mir noch immer nicht schmecken, ob wir
uns auch nun wie zärtliche Eheleute alle acht Tage schreiben." , Dorothee
Veit. Schlegels Geliebte, war auf Schleiermacher, Henriette Herz auf Schle¬
gel eifersüchtig. Die letztere, die jetzt von Schleiermnchcr Griechisch lernte,
wie sie ihn früher Italienisch gelehrt, warnte ihn öfters vor der Gemüthlosig-
keit des Romantikers. -- Schlegel war es, der Schleiermacher durch sein
unablässiges Drängen zur Schriftstellerei trieb, wozu dieser ursprünglich kei¬
nen Beruf zu haben glaubte, da er schwer arbeitete. Die "Reden über
die Religion" wurden Anfang 1799 begonnen, den 15. April geschlossen; kurz
vorher war die Lucinde erschienen. "Dorothee klagt über das Hcrauswenden
alles Innern in der Lucinde und meint, meine Kühnheit in der "Religion"
tröste sie nicht. Bei der "Religion" kann man sich nur wundern, wie man
so etwas der Welt sagen mag, bei der Lucinde vielleicht auch, wie man so
etwas seinen Freunden sagen mag. für die es einen viel individuellem Sinn
hat als für die Welt." In der That erfahren wir, daß directe Anspielungen auf
die intimen berliner Verhältnisse die ganze Lucinde durchzieh"; wir erfahren
nebenbei, daß Eleonore in den "Vertrauten Briefen" das leibhafte Conter-
fei von Eleonore Grunow ist. -- Im April 1799 machten die beiden
Freunde den Plan, gemeinsam den Plato zu übersetzen, ein Plan, der sie
später trennte, denn Schleiermacher betrieb alles, was er unternahm, mit
ernster Gewissenhaftigkeit, Schlegel mit einem sträflichen Leichtsinn. -- In den
Fragmenten des Athenäums waren zahlreiche Beiträge von Schleiermacher,
er ging ganz in die Tendenz der Zeitschrift ein; hier erschien auch Fr. Schlegels
begeisterte Anzeige der "Reden über die Religion". "Dazu studirt er mich
ordentlich (Juni 1799); er will mein Centrum wissen, und darüber haben wir
nicht einig werden können. Ob ich mich wol selbst so verstehe, wie er mich
verstehen will? ich habe ihm gesagt, ich würde wol nie bis ins Centrum kom¬
men, mit dem Machen nämlich; das hat er für eine Blasphemie gegen mich
selbst genommen, kurz, wir sind nicht zusammengekommen. Wo ist denn mein
Centrum? wissen Sie es?" "Wie ich mit Friedrich stehe, weiß ich eigentlich
nicht (1. Juli an Henriette Herz); es drückt mich gewaltig. Unsere Gemüther
sind wol recht füreinander, eben insofern sie einander nicht ähnlich, zur Er¬
gänzung. Daß man unter diesen Umständen nicht so leicht auf den rechten Punkt
zusammenkommt, ist natürlich; aber es kann doch gehn und muß gehn, wenn
Schlegels Heftigkeit und Ungeduld uns nicht aus dem Wege bringt. Ich
weiß nicht, ob er ein solches heruntergebrachtes Verhältniß leiden kann, ich
kann es nicht, und werde mir nächstens das Herz fassen, wieder mit ihm zu
reden. Es ist nur so übel, daß ich ihn ungern jetzt auf eine Art afficiren
möchte, die ihn beunruhigt, weil es einen solchen Einfluß auf seine Arbeiten


nach Dresden. „Der Strohwitwerstand," schreibt Schleiermacher, „ist mir
gar sehr fatal angekommen und will mir noch immer nicht schmecken, ob wir
uns auch nun wie zärtliche Eheleute alle acht Tage schreiben." , Dorothee
Veit. Schlegels Geliebte, war auf Schleiermacher, Henriette Herz auf Schle¬
gel eifersüchtig. Die letztere, die jetzt von Schleiermnchcr Griechisch lernte,
wie sie ihn früher Italienisch gelehrt, warnte ihn öfters vor der Gemüthlosig-
keit des Romantikers. — Schlegel war es, der Schleiermacher durch sein
unablässiges Drängen zur Schriftstellerei trieb, wozu dieser ursprünglich kei¬
nen Beruf zu haben glaubte, da er schwer arbeitete. Die „Reden über
die Religion" wurden Anfang 1799 begonnen, den 15. April geschlossen; kurz
vorher war die Lucinde erschienen. „Dorothee klagt über das Hcrauswenden
alles Innern in der Lucinde und meint, meine Kühnheit in der „Religion"
tröste sie nicht. Bei der „Religion" kann man sich nur wundern, wie man
so etwas der Welt sagen mag, bei der Lucinde vielleicht auch, wie man so
etwas seinen Freunden sagen mag. für die es einen viel individuellem Sinn
hat als für die Welt." In der That erfahren wir, daß directe Anspielungen auf
die intimen berliner Verhältnisse die ganze Lucinde durchzieh»; wir erfahren
nebenbei, daß Eleonore in den „Vertrauten Briefen" das leibhafte Conter-
fei von Eleonore Grunow ist. — Im April 1799 machten die beiden
Freunde den Plan, gemeinsam den Plato zu übersetzen, ein Plan, der sie
später trennte, denn Schleiermacher betrieb alles, was er unternahm, mit
ernster Gewissenhaftigkeit, Schlegel mit einem sträflichen Leichtsinn. — In den
Fragmenten des Athenäums waren zahlreiche Beiträge von Schleiermacher,
er ging ganz in die Tendenz der Zeitschrift ein; hier erschien auch Fr. Schlegels
begeisterte Anzeige der „Reden über die Religion". „Dazu studirt er mich
ordentlich (Juni 1799); er will mein Centrum wissen, und darüber haben wir
nicht einig werden können. Ob ich mich wol selbst so verstehe, wie er mich
verstehen will? ich habe ihm gesagt, ich würde wol nie bis ins Centrum kom¬
men, mit dem Machen nämlich; das hat er für eine Blasphemie gegen mich
selbst genommen, kurz, wir sind nicht zusammengekommen. Wo ist denn mein
Centrum? wissen Sie es?" „Wie ich mit Friedrich stehe, weiß ich eigentlich
nicht (1. Juli an Henriette Herz); es drückt mich gewaltig. Unsere Gemüther
sind wol recht füreinander, eben insofern sie einander nicht ähnlich, zur Er¬
gänzung. Daß man unter diesen Umständen nicht so leicht auf den rechten Punkt
zusammenkommt, ist natürlich; aber es kann doch gehn und muß gehn, wenn
Schlegels Heftigkeit und Ungeduld uns nicht aus dem Wege bringt. Ich
weiß nicht, ob er ein solches heruntergebrachtes Verhältniß leiden kann, ich
kann es nicht, und werde mir nächstens das Herz fassen, wieder mit ihm zu
reden. Es ist nur so übel, daß ich ihn ungern jetzt auf eine Art afficiren
möchte, die ihn beunruhigt, weil es einen solchen Einfluß auf seine Arbeiten


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[0310] nach Dresden. „Der Strohwitwerstand," schreibt Schleiermacher, „ist mir gar sehr fatal angekommen und will mir noch immer nicht schmecken, ob wir uns auch nun wie zärtliche Eheleute alle acht Tage schreiben." , Dorothee Veit. Schlegels Geliebte, war auf Schleiermacher, Henriette Herz auf Schle¬ gel eifersüchtig. Die letztere, die jetzt von Schleiermnchcr Griechisch lernte, wie sie ihn früher Italienisch gelehrt, warnte ihn öfters vor der Gemüthlosig- keit des Romantikers. — Schlegel war es, der Schleiermacher durch sein unablässiges Drängen zur Schriftstellerei trieb, wozu dieser ursprünglich kei¬ nen Beruf zu haben glaubte, da er schwer arbeitete. Die „Reden über die Religion" wurden Anfang 1799 begonnen, den 15. April geschlossen; kurz vorher war die Lucinde erschienen. „Dorothee klagt über das Hcrauswenden alles Innern in der Lucinde und meint, meine Kühnheit in der „Religion" tröste sie nicht. Bei der „Religion" kann man sich nur wundern, wie man so etwas der Welt sagen mag, bei der Lucinde vielleicht auch, wie man so etwas seinen Freunden sagen mag. für die es einen viel individuellem Sinn hat als für die Welt." In der That erfahren wir, daß directe Anspielungen auf die intimen berliner Verhältnisse die ganze Lucinde durchzieh»; wir erfahren nebenbei, daß Eleonore in den „Vertrauten Briefen" das leibhafte Conter- fei von Eleonore Grunow ist. — Im April 1799 machten die beiden Freunde den Plan, gemeinsam den Plato zu übersetzen, ein Plan, der sie später trennte, denn Schleiermacher betrieb alles, was er unternahm, mit ernster Gewissenhaftigkeit, Schlegel mit einem sträflichen Leichtsinn. — In den Fragmenten des Athenäums waren zahlreiche Beiträge von Schleiermacher, er ging ganz in die Tendenz der Zeitschrift ein; hier erschien auch Fr. Schlegels begeisterte Anzeige der „Reden über die Religion". „Dazu studirt er mich ordentlich (Juni 1799); er will mein Centrum wissen, und darüber haben wir nicht einig werden können. Ob ich mich wol selbst so verstehe, wie er mich verstehen will? ich habe ihm gesagt, ich würde wol nie bis ins Centrum kom¬ men, mit dem Machen nämlich; das hat er für eine Blasphemie gegen mich selbst genommen, kurz, wir sind nicht zusammengekommen. Wo ist denn mein Centrum? wissen Sie es?" „Wie ich mit Friedrich stehe, weiß ich eigentlich nicht (1. Juli an Henriette Herz); es drückt mich gewaltig. Unsere Gemüther sind wol recht füreinander, eben insofern sie einander nicht ähnlich, zur Er¬ gänzung. Daß man unter diesen Umständen nicht so leicht auf den rechten Punkt zusammenkommt, ist natürlich; aber es kann doch gehn und muß gehn, wenn Schlegels Heftigkeit und Ungeduld uns nicht aus dem Wege bringt. Ich weiß nicht, ob er ein solches heruntergebrachtes Verhältniß leiden kann, ich kann es nicht, und werde mir nächstens das Herz fassen, wieder mit ihm zu reden. Es ist nur so übel, daß ich ihn ungern jetzt auf eine Art afficiren möchte, die ihn beunruhigt, weil es einen solchen Einfluß auf seine Arbeiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/310>, abgerufen am 23.07.2024.