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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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begrüßte er die ersten Symptome der Revolution als die Hoffnung einer
bessern Zeit; doch keineswegs in leidenschaftlichen Formen, und noch 1790
nahm er Gelegenheit, eines seiner Werke dem Kurfürsten mit ehrfurchtsvollem
Dank zu widmen. In dieser Zeit schreibt sein Schwiegervater an ihn: "daß
Sie in Ihrer Thätigkeit Ihre Zufriedenheit suchen, freut mich. Allmälig, sehe
ich. werde'n Sie auch von der Chimäre geheilt, in der man sich so gern ver¬
strickt, als müßten wir alle in das Große, in das Ganze wirken, sonst Hütten
wir Ursache mißvergnügt und mit dem Gang der Dinge unzufrieden zu sein,
wenn wir einen kleinen Wirkungskreis haben. Ich weiß keinen sichtbareren
Beweis von Schwäche als eben dieselbe. . . Ein kranker Mißmuth, daß ich
auf keinem höhern Posten stehe, führt zu nichts, als nur dahin, daß ich auch
den eingeschränkten Kreis schlecht ausfülle. --

Inzwischen war seine Ehe nicht glücklich. Der Verfasser gibt verschiedene
Gründe an. Die Hauptsache scheint gewesen zu sein, daß Forster sich zu
wenig um die Leitung des Hauswesens kümmerte. Sein junger Hausfreund
Huber, der ihm aufrichtig zugethan war und Therese leidenschaftlich liebte,
mußte oft seine Stelle vertreten, er war der Helfer, der Vermittler, der Ver¬
traute und stand bald Theresen näher als ihr Mann. Uebrigens waltete bei
den beiden Gatten so viel Phlegma und Wohlwollen vor. daß äußerlich keine
Störung eintrat. Aber die innere Entfremdung wurde noch größer, als Förster
mit A. v. Humboldt im Frühling 1700 eine Reise durch Holland, England
und Frankreich machte; jene Reise, deren Frucht die Ansichten vom Nieder¬
rhein waren, das vollendetste Werk, das Forster geschrieben und eins der
schönsten Erzeugnisse der deutschen Prosa überhaupt. Als Forster von dieser
Reise zurückkehrte, hatten ihn bereits die politischen Bewegungen tiefer ergriffen,
in einer Abhandlung über Burke setzte er seine Ansichten über die Revolution
auseinander, denen gewiß jeder Besonnene beipflichten wnd. "Die Natur der will-
kürlichen Gewalt laßt sich nicht verkennen, sie werde von einem Tyrannen und
fernen Satelliten oder von einer zwölfhundertköpfigen Hydra verübt: sie trotze
auf Erbrecht. Herkommen und Vorurtheil oder sie trage die Lanze der alles
richtenden Vernunft. Im großen Gange menschlicher Begebenheiten liegt weit
mehr Unwillkürliches, als das stolze denkende Thier in seinem Freiheitstraum
zugestehn will. Die Revolution ist wirklich anzusehn als ein Werk der Ge¬
rechtigkeit der Natur. Der Stolz der Vernunft mit seiner Gleichheit, seinen
Rechten der Menschheit, seinen metaphysischen Theorien ist jetzt an die Reihe
gekommen ; sonst war es der Stolz der Geburt und der Heiligkeit, womit man
Reh für besser als andere ausgab, um ungestraft schlechter sein zu können.
Nicht die Weisheit oder die Thorheit der Nationalversammlung hat den in
Lüsten erschlafften hohen Klerus und den mark- und hirnlosen Adel vernichtet,
sondern die gänzliche Unfähigkeit dieser beiden Gesammtheiten hat sie gestürzt.


begrüßte er die ersten Symptome der Revolution als die Hoffnung einer
bessern Zeit; doch keineswegs in leidenschaftlichen Formen, und noch 1790
nahm er Gelegenheit, eines seiner Werke dem Kurfürsten mit ehrfurchtsvollem
Dank zu widmen. In dieser Zeit schreibt sein Schwiegervater an ihn: „daß
Sie in Ihrer Thätigkeit Ihre Zufriedenheit suchen, freut mich. Allmälig, sehe
ich. werde'n Sie auch von der Chimäre geheilt, in der man sich so gern ver¬
strickt, als müßten wir alle in das Große, in das Ganze wirken, sonst Hütten
wir Ursache mißvergnügt und mit dem Gang der Dinge unzufrieden zu sein,
wenn wir einen kleinen Wirkungskreis haben. Ich weiß keinen sichtbareren
Beweis von Schwäche als eben dieselbe. . . Ein kranker Mißmuth, daß ich
auf keinem höhern Posten stehe, führt zu nichts, als nur dahin, daß ich auch
den eingeschränkten Kreis schlecht ausfülle. —

Inzwischen war seine Ehe nicht glücklich. Der Verfasser gibt verschiedene
Gründe an. Die Hauptsache scheint gewesen zu sein, daß Forster sich zu
wenig um die Leitung des Hauswesens kümmerte. Sein junger Hausfreund
Huber, der ihm aufrichtig zugethan war und Therese leidenschaftlich liebte,
mußte oft seine Stelle vertreten, er war der Helfer, der Vermittler, der Ver¬
traute und stand bald Theresen näher als ihr Mann. Uebrigens waltete bei
den beiden Gatten so viel Phlegma und Wohlwollen vor. daß äußerlich keine
Störung eintrat. Aber die innere Entfremdung wurde noch größer, als Förster
mit A. v. Humboldt im Frühling 1700 eine Reise durch Holland, England
und Frankreich machte; jene Reise, deren Frucht die Ansichten vom Nieder¬
rhein waren, das vollendetste Werk, das Forster geschrieben und eins der
schönsten Erzeugnisse der deutschen Prosa überhaupt. Als Forster von dieser
Reise zurückkehrte, hatten ihn bereits die politischen Bewegungen tiefer ergriffen,
in einer Abhandlung über Burke setzte er seine Ansichten über die Revolution
auseinander, denen gewiß jeder Besonnene beipflichten wnd. „Die Natur der will-
kürlichen Gewalt laßt sich nicht verkennen, sie werde von einem Tyrannen und
fernen Satelliten oder von einer zwölfhundertköpfigen Hydra verübt: sie trotze
auf Erbrecht. Herkommen und Vorurtheil oder sie trage die Lanze der alles
richtenden Vernunft. Im großen Gange menschlicher Begebenheiten liegt weit
mehr Unwillkürliches, als das stolze denkende Thier in seinem Freiheitstraum
zugestehn will. Die Revolution ist wirklich anzusehn als ein Werk der Ge¬
rechtigkeit der Natur. Der Stolz der Vernunft mit seiner Gleichheit, seinen
Rechten der Menschheit, seinen metaphysischen Theorien ist jetzt an die Reihe
gekommen ; sonst war es der Stolz der Geburt und der Heiligkeit, womit man
Reh für besser als andere ausgab, um ungestraft schlechter sein zu können.
Nicht die Weisheit oder die Thorheit der Nationalversammlung hat den in
Lüsten erschlafften hohen Klerus und den mark- und hirnlosen Adel vernichtet,
sondern die gänzliche Unfähigkeit dieser beiden Gesammtheiten hat sie gestürzt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/31>, abgerufen am 22.07.2024.