Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tisch, zeichnet nicht, liebt das Französische nicht, und hat schlechte Augen."
Ihr Verhältniß wurde bald so innig, daß sie am 21. December 1791 zu¬
sammenzogen, und daß ihre Bekannten das Verhältniß als eine Ehe bezeich¬
neten. "Was seinen Geist anbetrifft, so ist er mir so durchaus hup^risur,
daß ich nur mit vieler Ehrfurcht davon sprechen. kann. Wie schnell und tief
er eindringt in den Geist jeder Wissenschaft, jedes Systems, jedes Schrift¬
stellers, mit welcher hohen und unparteiischen Kritik er jedem seine Stelle
anweist, wie seine Kenntnisse alle in einem herrlichen System geordnet dastehn
und alle seine Arbeiten nicht von ungefähr, sondern nach einem großen Plane
aufeinander folgen, mit welcher Beharrlichkeit er alles verfolgt, was er ein¬
mal angefangen hat -- das weiß ich alles erst seit dieser kurzen Zeit völlig
zu schätzen, da ich seine Ideen gleichsam entstehen und wachsen sehe. Aber
nach seinem Gemüth wirst du unstreitig mehr fragen, als nach seinem Geist
und Genie. Es ist äußerst kindlich, das ist gewiß der Hauptzug darin; offen
und froh, naiv in allen seinen Aeußerungen, etwas leichtfertig, ein tödtlicher
Feind aller Formen und Plackereien, heftig in seinen Wünschen und Nei¬
gungen, allgemein wohlwollend, aber auch, wie Kinder oft zu sein Pflegen,
etwas argwöhnisch und von mancherlei Antipathien. Sein Charakter ist noch
nicht so sest und seine Meinungen über Menschen und Verhältnisse in'es nicht
so bestimmt, daß er nicht leicht sollte zu regieren sein, wenn er einmal jemand
sein Vertrauen geschenkt hat. Was ich aber doch vermisse, ist das zarte Ge¬
fühl und der seine Sinn sür die lieblichen Kleinigkeiten des Lebens und für
die feinen Aeußerungen schöner Gesinnungen, die oft in kleinen Dingen un-
willkürlich das ganze Gemüth enthüllen. So wie er Bücher am liebsten mit
großer Schrift mag, so auch an den Menschen große und starke Züge. Das
blos Sanfte und Schöne fesselt ihn nicht sehr, weil er zu sehr nach der Ana¬
logie seines eignen Gemüths alles für schwach hält, was nicht feurig und stark
erscheint. So wenig dieser eigenthümliche Mangel meine Liebe zu ihm mil¬
dert, so macht er es mir doch unmöglich, ihm manche Seite meines Gemüths
ganz zu enthüllen und verständlich zu machen. Er wird immer mehr sein als
ich. aber ich werde ihn vollständiger fassen und kennen lernen als er mich.
Sein Aeußeres ist mehr Aufmerksamkeit erregend als schön. Eine nicht eben
Zierlich und voll, aber doch stark und gesund gebaute Figur, ein sehr charak¬
teristischer Kopf, ein blasses Gesicht, sehr dunkles, rund um den Kopf kurz ab¬
geschnittenes, ungepudertes und ungekräuseltes Haar und ein ziemlich unclcgan-
ier, aber doch seiner und gentlemanmäßiger Anzug -- das gibt die äußere
Erscheinung meiner dermaligen Ehehälfte." -- Im Mai 1798 kam A. W. Schle¬
gel*) nach Berlin, und entführte Anfang Juli seinen Bruder auf zwei Monate



-) "Er hat weder die Tiefe noch die Innigkeit Friedrichs, er ist ein feiner eleganter Mann,
hat sehr viel Kenntnisse und künstlerisches Geschick und sprudelt von Witz, das ist aber auch alles/'

tisch, zeichnet nicht, liebt das Französische nicht, und hat schlechte Augen."
Ihr Verhältniß wurde bald so innig, daß sie am 21. December 1791 zu¬
sammenzogen, und daß ihre Bekannten das Verhältniß als eine Ehe bezeich¬
neten. „Was seinen Geist anbetrifft, so ist er mir so durchaus hup^risur,
daß ich nur mit vieler Ehrfurcht davon sprechen. kann. Wie schnell und tief
er eindringt in den Geist jeder Wissenschaft, jedes Systems, jedes Schrift¬
stellers, mit welcher hohen und unparteiischen Kritik er jedem seine Stelle
anweist, wie seine Kenntnisse alle in einem herrlichen System geordnet dastehn
und alle seine Arbeiten nicht von ungefähr, sondern nach einem großen Plane
aufeinander folgen, mit welcher Beharrlichkeit er alles verfolgt, was er ein¬
mal angefangen hat — das weiß ich alles erst seit dieser kurzen Zeit völlig
zu schätzen, da ich seine Ideen gleichsam entstehen und wachsen sehe. Aber
nach seinem Gemüth wirst du unstreitig mehr fragen, als nach seinem Geist
und Genie. Es ist äußerst kindlich, das ist gewiß der Hauptzug darin; offen
und froh, naiv in allen seinen Aeußerungen, etwas leichtfertig, ein tödtlicher
Feind aller Formen und Plackereien, heftig in seinen Wünschen und Nei¬
gungen, allgemein wohlwollend, aber auch, wie Kinder oft zu sein Pflegen,
etwas argwöhnisch und von mancherlei Antipathien. Sein Charakter ist noch
nicht so sest und seine Meinungen über Menschen und Verhältnisse in'es nicht
so bestimmt, daß er nicht leicht sollte zu regieren sein, wenn er einmal jemand
sein Vertrauen geschenkt hat. Was ich aber doch vermisse, ist das zarte Ge¬
fühl und der seine Sinn sür die lieblichen Kleinigkeiten des Lebens und für
die feinen Aeußerungen schöner Gesinnungen, die oft in kleinen Dingen un-
willkürlich das ganze Gemüth enthüllen. So wie er Bücher am liebsten mit
großer Schrift mag, so auch an den Menschen große und starke Züge. Das
blos Sanfte und Schöne fesselt ihn nicht sehr, weil er zu sehr nach der Ana¬
logie seines eignen Gemüths alles für schwach hält, was nicht feurig und stark
erscheint. So wenig dieser eigenthümliche Mangel meine Liebe zu ihm mil¬
dert, so macht er es mir doch unmöglich, ihm manche Seite meines Gemüths
ganz zu enthüllen und verständlich zu machen. Er wird immer mehr sein als
ich. aber ich werde ihn vollständiger fassen und kennen lernen als er mich.
Sein Aeußeres ist mehr Aufmerksamkeit erregend als schön. Eine nicht eben
Zierlich und voll, aber doch stark und gesund gebaute Figur, ein sehr charak¬
teristischer Kopf, ein blasses Gesicht, sehr dunkles, rund um den Kopf kurz ab¬
geschnittenes, ungepudertes und ungekräuseltes Haar und ein ziemlich unclcgan-
ier, aber doch seiner und gentlemanmäßiger Anzug — das gibt die äußere
Erscheinung meiner dermaligen Ehehälfte." — Im Mai 1798 kam A. W. Schle¬
gel*) nach Berlin, und entführte Anfang Juli seinen Bruder auf zwei Monate



-) „Er hat weder die Tiefe noch die Innigkeit Friedrichs, er ist ein feiner eleganter Mann,
hat sehr viel Kenntnisse und künstlerisches Geschick und sprudelt von Witz, das ist aber auch alles/'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106120"/>
          <p xml:id="ID_843" prev="#ID_842" next="#ID_844"> tisch, zeichnet nicht, liebt das Französische nicht, und hat schlechte Augen."<lb/>
Ihr Verhältniß wurde bald so innig, daß sie am 21. December 1791 zu¬<lb/>
sammenzogen, und daß ihre Bekannten das Verhältniß als eine Ehe bezeich¬<lb/>
neten. &#x201E;Was seinen Geist anbetrifft, so ist er mir so durchaus hup^risur,<lb/>
daß ich nur mit vieler Ehrfurcht davon sprechen. kann. Wie schnell und tief<lb/>
er eindringt in den Geist jeder Wissenschaft, jedes Systems, jedes Schrift¬<lb/>
stellers, mit welcher hohen und unparteiischen Kritik er jedem seine Stelle<lb/>
anweist, wie seine Kenntnisse alle in einem herrlichen System geordnet dastehn<lb/>
und alle seine Arbeiten nicht von ungefähr, sondern nach einem großen Plane<lb/>
aufeinander folgen, mit welcher Beharrlichkeit er alles verfolgt, was er ein¬<lb/>
mal angefangen hat &#x2014; das weiß ich alles erst seit dieser kurzen Zeit völlig<lb/>
zu schätzen, da ich seine Ideen gleichsam entstehen und wachsen sehe. Aber<lb/>
nach seinem Gemüth wirst du unstreitig mehr fragen, als nach seinem Geist<lb/>
und Genie. Es ist äußerst kindlich, das ist gewiß der Hauptzug darin; offen<lb/>
und froh, naiv in allen seinen Aeußerungen, etwas leichtfertig, ein tödtlicher<lb/>
Feind aller Formen und Plackereien, heftig in seinen Wünschen und Nei¬<lb/>
gungen, allgemein wohlwollend, aber auch, wie Kinder oft zu sein Pflegen,<lb/>
etwas argwöhnisch und von mancherlei Antipathien. Sein Charakter ist noch<lb/>
nicht so sest und seine Meinungen über Menschen und Verhältnisse in'es nicht<lb/>
so bestimmt, daß er nicht leicht sollte zu regieren sein, wenn er einmal jemand<lb/>
sein Vertrauen geschenkt hat. Was ich aber doch vermisse, ist das zarte Ge¬<lb/>
fühl und der seine Sinn sür die lieblichen Kleinigkeiten des Lebens und für<lb/>
die feinen Aeußerungen schöner Gesinnungen, die oft in kleinen Dingen un-<lb/>
willkürlich das ganze Gemüth enthüllen. So wie er Bücher am liebsten mit<lb/>
großer Schrift mag, so auch an den Menschen große und starke Züge. Das<lb/>
blos Sanfte und Schöne fesselt ihn nicht sehr, weil er zu sehr nach der Ana¬<lb/>
logie seines eignen Gemüths alles für schwach hält, was nicht feurig und stark<lb/>
erscheint. So wenig dieser eigenthümliche Mangel meine Liebe zu ihm mil¬<lb/>
dert, so macht er es mir doch unmöglich, ihm manche Seite meines Gemüths<lb/>
ganz zu enthüllen und verständlich zu machen. Er wird immer mehr sein als<lb/>
ich. aber ich werde ihn vollständiger fassen und kennen lernen als er mich.<lb/>
Sein Aeußeres ist mehr Aufmerksamkeit erregend als schön. Eine nicht eben<lb/>
Zierlich und voll, aber doch stark und gesund gebaute Figur, ein sehr charak¬<lb/>
teristischer Kopf, ein blasses Gesicht, sehr dunkles, rund um den Kopf kurz ab¬<lb/>
geschnittenes, ungepudertes und ungekräuseltes Haar und ein ziemlich unclcgan-<lb/>
ier, aber doch seiner und gentlemanmäßiger Anzug &#x2014; das gibt die äußere<lb/>
Erscheinung meiner dermaligen Ehehälfte." &#x2014; Im Mai 1798 kam A. W. Schle¬<lb/>
gel*) nach Berlin, und entführte Anfang Juli seinen Bruder auf zwei Monate</p><lb/>
          <note xml:id="FID_24" place="foot"> -) &#x201E;Er hat weder die Tiefe noch die Innigkeit Friedrichs, er ist ein feiner eleganter Mann,<lb/>
hat sehr viel Kenntnisse und künstlerisches Geschick und sprudelt von Witz, das ist aber auch alles/'</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0309] tisch, zeichnet nicht, liebt das Französische nicht, und hat schlechte Augen." Ihr Verhältniß wurde bald so innig, daß sie am 21. December 1791 zu¬ sammenzogen, und daß ihre Bekannten das Verhältniß als eine Ehe bezeich¬ neten. „Was seinen Geist anbetrifft, so ist er mir so durchaus hup^risur, daß ich nur mit vieler Ehrfurcht davon sprechen. kann. Wie schnell und tief er eindringt in den Geist jeder Wissenschaft, jedes Systems, jedes Schrift¬ stellers, mit welcher hohen und unparteiischen Kritik er jedem seine Stelle anweist, wie seine Kenntnisse alle in einem herrlichen System geordnet dastehn und alle seine Arbeiten nicht von ungefähr, sondern nach einem großen Plane aufeinander folgen, mit welcher Beharrlichkeit er alles verfolgt, was er ein¬ mal angefangen hat — das weiß ich alles erst seit dieser kurzen Zeit völlig zu schätzen, da ich seine Ideen gleichsam entstehen und wachsen sehe. Aber nach seinem Gemüth wirst du unstreitig mehr fragen, als nach seinem Geist und Genie. Es ist äußerst kindlich, das ist gewiß der Hauptzug darin; offen und froh, naiv in allen seinen Aeußerungen, etwas leichtfertig, ein tödtlicher Feind aller Formen und Plackereien, heftig in seinen Wünschen und Nei¬ gungen, allgemein wohlwollend, aber auch, wie Kinder oft zu sein Pflegen, etwas argwöhnisch und von mancherlei Antipathien. Sein Charakter ist noch nicht so sest und seine Meinungen über Menschen und Verhältnisse in'es nicht so bestimmt, daß er nicht leicht sollte zu regieren sein, wenn er einmal jemand sein Vertrauen geschenkt hat. Was ich aber doch vermisse, ist das zarte Ge¬ fühl und der seine Sinn sür die lieblichen Kleinigkeiten des Lebens und für die feinen Aeußerungen schöner Gesinnungen, die oft in kleinen Dingen un- willkürlich das ganze Gemüth enthüllen. So wie er Bücher am liebsten mit großer Schrift mag, so auch an den Menschen große und starke Züge. Das blos Sanfte und Schöne fesselt ihn nicht sehr, weil er zu sehr nach der Ana¬ logie seines eignen Gemüths alles für schwach hält, was nicht feurig und stark erscheint. So wenig dieser eigenthümliche Mangel meine Liebe zu ihm mil¬ dert, so macht er es mir doch unmöglich, ihm manche Seite meines Gemüths ganz zu enthüllen und verständlich zu machen. Er wird immer mehr sein als ich. aber ich werde ihn vollständiger fassen und kennen lernen als er mich. Sein Aeußeres ist mehr Aufmerksamkeit erregend als schön. Eine nicht eben Zierlich und voll, aber doch stark und gesund gebaute Figur, ein sehr charak¬ teristischer Kopf, ein blasses Gesicht, sehr dunkles, rund um den Kopf kurz ab¬ geschnittenes, ungepudertes und ungekräuseltes Haar und ein ziemlich unclcgan- ier, aber doch seiner und gentlemanmäßiger Anzug — das gibt die äußere Erscheinung meiner dermaligen Ehehälfte." — Im Mai 1798 kam A. W. Schle¬ gel*) nach Berlin, und entführte Anfang Juli seinen Bruder auf zwei Monate -) „Er hat weder die Tiefe noch die Innigkeit Friedrichs, er ist ein feiner eleganter Mann, hat sehr viel Kenntnisse und künstlerisches Geschick und sprudelt von Witz, das ist aber auch alles/'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/309
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/309>, abgerufen am 23.07.2024.