Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lich zu erzählen, aber ich bitte Sie inständig, halten Sie sie nicht für vor¬
übergehende Gedanken; fast ein Jahr lang haften sie bei mir und ein langes
angestrengtes Nachdenken hat mich dazu bestimmt." Die Antwort des Vaters
mußte den Sohn der Verzweiflung nahe bringen; denn jener betrachtete ihn
als einen zeitlich und ewig Verlornen, wenn er nicht seinem Unglauben ent¬
sagte. "Ist es Dir um den allein selig machenden Glauben von ganzem Herzen
zu thun, so suche, so erbitte ihn auf Deinen Knien von dem großen Gott
und Schöpfer, der als Mensch am Kreuz für Dich geblutet hat, als em pur
lauteres Geschenk seiner Erbarmung; ist es Dir aber um Deine eigne Ehre
zu thun, verschmähst Du den Gott Deiner Väter und willst hingehen und
fremden Göttern dienen, nun, so wähle, was Du thun willst; ich aber und
mein Haus wollen dem Herrn, der uns erkauft hat, dienen." Es war für
den armen Knaben el-n entsetzlicher Kampf, aber er blieb fest, zudem hatte er
seine Ansichten den Vorgesetzten gegenüber so offen ausgesprochen, daß seines
Bleibens in der Brüdergemeinde nicht länger war. Hier legte sich nun der
Oheim ins Mittel, der sich zuerst bemüht hatte, vom praktischen Standpunkt
auf ihn einzuwirken, indem er ihn auf die Hilflosigkeit seiner Lage aufmerk¬
sam machte; da er aber seine Ehrlichkeit nur billigen konnte, so bestimmte er
den Vater, zur Uebersiedlung nach Halle, die im Frühjahr 17 87 stattfand,
seine Einwilligung zu geben, "In meinen Studien war noch keine rechte
Einheit; ich studirte auch nicht mit Rücksicht auf die Zukunft, sondern nur
für das gegenwärtige Bedürfniß; deswegen versuchte ich von allem und fixirte
wich erst spät. Noch mehr schadete mir der Eigendünkel, der den Auto¬
didakten -- was ich in mancher Rücksicht war -- eigen ist. Sie wollen immer
bei der Manier bleiben, durch die sie nut großem Aufwand wenig erworben
haben; sie verachten das Lernen und meinen, es käme gar nicht darauf an,
was man wisse, sondern, wie man es wisse. Die kurze Dauer meines aka¬
demischen Aufenthaltes, welcher nur zwei Jahre währte, ließ auch ein anderes
als fragmentarisches Studium, welches von allem etwas aufzufasseO strebt,
nicht zu." Nach Ablauf dieser Zeit ging er mit seinem Oheim, der die Pre¬
digerstelle zu Drossen erhalten hatte, aufs Land, machte im Sommer 1790
sein theologisches Examen und erhielt durch Vermittlung des Hofpredigers
Sack eine Hosmeisterstelle bei dem Grasen Dohna-Schlobitten in Preußen, wo
^ für seine Bildung unendlich gewann und drittehalb glückliche Jahre ver¬
übte. Nach seiner Rückkehr Herbst 1793 wurde er Mitglied des Seminars in
Berlin und Hilfslehrer am Waisenhause, welche Stelle er April 1794 mil"
einer Hilfspredigerstclle in Landsberg an d. Warthe vertauschte. -- Seine
Briefe aus dieser Periode zeigen einen beträchtlichen Zuwachs an Selbst-
ständigkeit. Der schmerzliche Zweifel ist einer ruhigen Ueberzeugung gewichen,
die zwar noch mahl fertig ist, aber alle Angst ausschließt; nur einen Mangel


Wrenjboren 111- 1858. 38

lich zu erzählen, aber ich bitte Sie inständig, halten Sie sie nicht für vor¬
übergehende Gedanken; fast ein Jahr lang haften sie bei mir und ein langes
angestrengtes Nachdenken hat mich dazu bestimmt." Die Antwort des Vaters
mußte den Sohn der Verzweiflung nahe bringen; denn jener betrachtete ihn
als einen zeitlich und ewig Verlornen, wenn er nicht seinem Unglauben ent¬
sagte. „Ist es Dir um den allein selig machenden Glauben von ganzem Herzen
zu thun, so suche, so erbitte ihn auf Deinen Knien von dem großen Gott
und Schöpfer, der als Mensch am Kreuz für Dich geblutet hat, als em pur
lauteres Geschenk seiner Erbarmung; ist es Dir aber um Deine eigne Ehre
zu thun, verschmähst Du den Gott Deiner Väter und willst hingehen und
fremden Göttern dienen, nun, so wähle, was Du thun willst; ich aber und
mein Haus wollen dem Herrn, der uns erkauft hat, dienen." Es war für
den armen Knaben el-n entsetzlicher Kampf, aber er blieb fest, zudem hatte er
seine Ansichten den Vorgesetzten gegenüber so offen ausgesprochen, daß seines
Bleibens in der Brüdergemeinde nicht länger war. Hier legte sich nun der
Oheim ins Mittel, der sich zuerst bemüht hatte, vom praktischen Standpunkt
auf ihn einzuwirken, indem er ihn auf die Hilflosigkeit seiner Lage aufmerk¬
sam machte; da er aber seine Ehrlichkeit nur billigen konnte, so bestimmte er
den Vater, zur Uebersiedlung nach Halle, die im Frühjahr 17 87 stattfand,
seine Einwilligung zu geben, „In meinen Studien war noch keine rechte
Einheit; ich studirte auch nicht mit Rücksicht auf die Zukunft, sondern nur
für das gegenwärtige Bedürfniß; deswegen versuchte ich von allem und fixirte
wich erst spät. Noch mehr schadete mir der Eigendünkel, der den Auto¬
didakten — was ich in mancher Rücksicht war — eigen ist. Sie wollen immer
bei der Manier bleiben, durch die sie nut großem Aufwand wenig erworben
haben; sie verachten das Lernen und meinen, es käme gar nicht darauf an,
was man wisse, sondern, wie man es wisse. Die kurze Dauer meines aka¬
demischen Aufenthaltes, welcher nur zwei Jahre währte, ließ auch ein anderes
als fragmentarisches Studium, welches von allem etwas aufzufasseO strebt,
nicht zu." Nach Ablauf dieser Zeit ging er mit seinem Oheim, der die Pre¬
digerstelle zu Drossen erhalten hatte, aufs Land, machte im Sommer 1790
sein theologisches Examen und erhielt durch Vermittlung des Hofpredigers
Sack eine Hosmeisterstelle bei dem Grasen Dohna-Schlobitten in Preußen, wo
^ für seine Bildung unendlich gewann und drittehalb glückliche Jahre ver¬
übte. Nach seiner Rückkehr Herbst 1793 wurde er Mitglied des Seminars in
Berlin und Hilfslehrer am Waisenhause, welche Stelle er April 1794 mil»
einer Hilfspredigerstclle in Landsberg an d. Warthe vertauschte. — Seine
Briefe aus dieser Periode zeigen einen beträchtlichen Zuwachs an Selbst-
ständigkeit. Der schmerzliche Zweifel ist einer ruhigen Ueberzeugung gewichen,
die zwar noch mahl fertig ist, aber alle Angst ausschließt; nur einen Mangel


Wrenjboren 111- 1858. 38
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106116"/>
          <p xml:id="ID_837" prev="#ID_836" next="#ID_838"> lich zu erzählen, aber ich bitte Sie inständig, halten Sie sie nicht für vor¬<lb/>
übergehende Gedanken; fast ein Jahr lang haften sie bei mir und ein langes<lb/>
angestrengtes Nachdenken hat mich dazu bestimmt." Die Antwort des Vaters<lb/>
mußte den Sohn der Verzweiflung nahe bringen; denn jener betrachtete ihn<lb/>
als einen zeitlich und ewig Verlornen, wenn er nicht seinem Unglauben ent¬<lb/>
sagte. &#x201E;Ist es Dir um den allein selig machenden Glauben von ganzem Herzen<lb/>
zu thun, so suche, so erbitte ihn auf Deinen Knien von dem großen Gott<lb/>
und Schöpfer, der als Mensch am Kreuz für Dich geblutet hat, als em pur<lb/>
lauteres Geschenk seiner Erbarmung; ist es Dir aber um Deine eigne Ehre<lb/>
zu thun, verschmähst Du den Gott Deiner Väter und willst hingehen und<lb/>
fremden Göttern dienen, nun, so wähle, was Du thun willst; ich aber und<lb/>
mein Haus wollen dem Herrn, der uns erkauft hat, dienen." Es war für<lb/>
den armen Knaben el-n entsetzlicher Kampf, aber er blieb fest, zudem hatte er<lb/>
seine Ansichten den Vorgesetzten gegenüber so offen ausgesprochen, daß seines<lb/>
Bleibens in der Brüdergemeinde nicht länger war. Hier legte sich nun der<lb/>
Oheim ins Mittel, der sich zuerst bemüht hatte, vom praktischen Standpunkt<lb/>
auf ihn einzuwirken, indem er ihn auf die Hilflosigkeit seiner Lage aufmerk¬<lb/>
sam machte; da er aber seine Ehrlichkeit nur billigen konnte, so bestimmte er<lb/>
den Vater, zur Uebersiedlung nach Halle, die im Frühjahr 17 87 stattfand,<lb/>
seine Einwilligung zu geben, &#x201E;In meinen Studien war noch keine rechte<lb/>
Einheit; ich studirte auch nicht mit Rücksicht auf die Zukunft, sondern nur<lb/>
für das gegenwärtige Bedürfniß; deswegen versuchte ich von allem und fixirte<lb/>
wich erst spät. Noch mehr schadete mir der Eigendünkel, der den Auto¬<lb/>
didakten &#x2014; was ich in mancher Rücksicht war &#x2014; eigen ist. Sie wollen immer<lb/>
bei der Manier bleiben, durch die sie nut großem Aufwand wenig erworben<lb/>
haben; sie verachten das Lernen und meinen, es käme gar nicht darauf an,<lb/>
was man wisse, sondern, wie man es wisse. Die kurze Dauer meines aka¬<lb/>
demischen Aufenthaltes, welcher nur zwei Jahre währte, ließ auch ein anderes<lb/>
als fragmentarisches Studium, welches von allem etwas aufzufasseO strebt,<lb/>
nicht zu." Nach Ablauf dieser Zeit ging er mit seinem Oheim, der die Pre¬<lb/>
digerstelle zu Drossen erhalten hatte, aufs Land, machte im Sommer 1790<lb/>
sein theologisches Examen und erhielt durch Vermittlung des Hofpredigers<lb/>
Sack eine Hosmeisterstelle bei dem Grasen Dohna-Schlobitten in Preußen, wo<lb/>
^ für seine Bildung unendlich gewann und drittehalb glückliche Jahre ver¬<lb/>
übte. Nach seiner Rückkehr Herbst 1793 wurde er Mitglied des Seminars in<lb/>
Berlin und Hilfslehrer am Waisenhause, welche Stelle er April 1794 mil»<lb/>
einer Hilfspredigerstclle in Landsberg an d. Warthe vertauschte. &#x2014; Seine<lb/>
Briefe aus dieser Periode zeigen einen beträchtlichen Zuwachs an Selbst-<lb/>
ständigkeit. Der schmerzliche Zweifel ist einer ruhigen Ueberzeugung gewichen,<lb/>
die zwar noch mahl fertig ist, aber alle Angst ausschließt; nur einen Mangel</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Wrenjboren 111- 1858. 38</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0305] lich zu erzählen, aber ich bitte Sie inständig, halten Sie sie nicht für vor¬ übergehende Gedanken; fast ein Jahr lang haften sie bei mir und ein langes angestrengtes Nachdenken hat mich dazu bestimmt." Die Antwort des Vaters mußte den Sohn der Verzweiflung nahe bringen; denn jener betrachtete ihn als einen zeitlich und ewig Verlornen, wenn er nicht seinem Unglauben ent¬ sagte. „Ist es Dir um den allein selig machenden Glauben von ganzem Herzen zu thun, so suche, so erbitte ihn auf Deinen Knien von dem großen Gott und Schöpfer, der als Mensch am Kreuz für Dich geblutet hat, als em pur lauteres Geschenk seiner Erbarmung; ist es Dir aber um Deine eigne Ehre zu thun, verschmähst Du den Gott Deiner Väter und willst hingehen und fremden Göttern dienen, nun, so wähle, was Du thun willst; ich aber und mein Haus wollen dem Herrn, der uns erkauft hat, dienen." Es war für den armen Knaben el-n entsetzlicher Kampf, aber er blieb fest, zudem hatte er seine Ansichten den Vorgesetzten gegenüber so offen ausgesprochen, daß seines Bleibens in der Brüdergemeinde nicht länger war. Hier legte sich nun der Oheim ins Mittel, der sich zuerst bemüht hatte, vom praktischen Standpunkt auf ihn einzuwirken, indem er ihn auf die Hilflosigkeit seiner Lage aufmerk¬ sam machte; da er aber seine Ehrlichkeit nur billigen konnte, so bestimmte er den Vater, zur Uebersiedlung nach Halle, die im Frühjahr 17 87 stattfand, seine Einwilligung zu geben, „In meinen Studien war noch keine rechte Einheit; ich studirte auch nicht mit Rücksicht auf die Zukunft, sondern nur für das gegenwärtige Bedürfniß; deswegen versuchte ich von allem und fixirte wich erst spät. Noch mehr schadete mir der Eigendünkel, der den Auto¬ didakten — was ich in mancher Rücksicht war — eigen ist. Sie wollen immer bei der Manier bleiben, durch die sie nut großem Aufwand wenig erworben haben; sie verachten das Lernen und meinen, es käme gar nicht darauf an, was man wisse, sondern, wie man es wisse. Die kurze Dauer meines aka¬ demischen Aufenthaltes, welcher nur zwei Jahre währte, ließ auch ein anderes als fragmentarisches Studium, welches von allem etwas aufzufasseO strebt, nicht zu." Nach Ablauf dieser Zeit ging er mit seinem Oheim, der die Pre¬ digerstelle zu Drossen erhalten hatte, aufs Land, machte im Sommer 1790 sein theologisches Examen und erhielt durch Vermittlung des Hofpredigers Sack eine Hosmeisterstelle bei dem Grasen Dohna-Schlobitten in Preußen, wo ^ für seine Bildung unendlich gewann und drittehalb glückliche Jahre ver¬ übte. Nach seiner Rückkehr Herbst 1793 wurde er Mitglied des Seminars in Berlin und Hilfslehrer am Waisenhause, welche Stelle er April 1794 mil» einer Hilfspredigerstclle in Landsberg an d. Warthe vertauschte. — Seine Briefe aus dieser Periode zeigen einen beträchtlichen Zuwachs an Selbst- ständigkeit. Der schmerzliche Zweifel ist einer ruhigen Ueberzeugung gewichen, die zwar noch mahl fertig ist, aber alle Angst ausschließt; nur einen Mangel Wrenjboren 111- 1858. 38

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/305
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/305>, abgerufen am 23.07.2024.