Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dem gemeinen Leben, kurz (in der Regel wol einactig) wie die Atellane, aber
ohne ihre stehenden Masken. Wie die Atellane wurde er als Nach- oder Zwi¬
schenspiel anderer Aufführungen gegeben und erfreute sich in Ciceros Zeit
größerer Gunst als diese; später haben, so viel wir wissen, beide Gattungen
gleichen Beifall gefunden. "Der Mimus ging hervor aus den seit langem
üblichen Charaktertänzen zur Flöte, die theils bei andern Gelegenheiten, na¬
mentlich aber zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel aufgeführt wur¬
den. Es war nicht schwer, aus diesen Tänzen, bei denen die Rede wol längst
gelegentlich zu Hilfe genommen ward, durch Einführung einer geordneter"
Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen." (Momm-
sen). Nach den Titeln waren die Gegenstände zum großen Theil ähnlich wie
in der Atellane. Genrebilder aus dem Leben Roms, besonders der untern
Stände und der Handwerker, Schilderungen von Volksfesten, von fremden
Nationalitäten, auch mythologische Gegenstände, wie denn in einem drei
hungrige Herkulesse vorkamen, in einem andern Jupiters Tod dargestellt
und sein Testament verlesen wurde. In einem Mimus, der am Tage von
Caligulas Ermordung gespielt ward, kam die Kreuzigung eines berühmten
Räuberhauptmanns Lciureolus vor, wobei das Fließen des Blutes künstlich
dargestellt wurde. In einem andern, der im Beisein Vespasians im Theater
des Marcellus aufgeführt wurde, spielte ein Hund die Hauptrolle. Er erhielt
in dem Stück ein narkotisches Mittel, und stellte sowol das allmülige Ein¬
schlafen als das allmälige Erwachen zu allgemeiner Bewunderung dar. Liebe¬
leien und Rabulistereien, besonders aber Ehebruchsscenen waren im Mimus
an der Tagesordnung; der überraschte Galan ließ sich in einem Kasten davon¬
tragen, um dem betrogenen Ehemann zu entgehen, der Gatte schickte seine
hübsche Frau zu seinem mächtigen Feinde, um ihren Reizen seine Sicherheit
zu verdanken u. s. w. Plötzliche Veränderungen des Schicksals erinnern an
wiener Zauberpossen: Bettler wurden plötzlich reich, Reiche genöthigt, ihr Heil
in der Flucht zu suchen, liefen über die Bühne, den Kopf mit dem Mantel
bedeckt, mit Ausnahme der Ohren, mit denen sie vermuthlich angstvoll nach
ihren Verfolgern lauschten. Prügel spielten eine große Rolle im Mimus und
das Klatschen der Ohrfeigen auf den Pausbacken der in diesen Stücken stehen¬
den Dummköpfe scheint zu den beliebten Späßen gehört zu haben. Das Spiel
war überhaupt carrikirt und grobkomisch. Mit der Auflösung des dramatischen
Knotens nahm man es nicht genau: sollte das Stück aufhören, so lief eine
von den Personen (etwa der ertappte Liebhaber) davon, die Musik fiel ein
und ein Tanz machte den Schluß. Die samische Ausstattung war sehr ein¬
fach, die Mimen spielten ohne den auch im Lustspiel üblichen Theaterschuh
und ohne Maske, ihr Costüm war eine bunte Harlekintracht mit einem darüber
geworfenen Mäntelchen. Der Hauptschauspieler, der die Posse eigentlich durch-


dem gemeinen Leben, kurz (in der Regel wol einactig) wie die Atellane, aber
ohne ihre stehenden Masken. Wie die Atellane wurde er als Nach- oder Zwi¬
schenspiel anderer Aufführungen gegeben und erfreute sich in Ciceros Zeit
größerer Gunst als diese; später haben, so viel wir wissen, beide Gattungen
gleichen Beifall gefunden. „Der Mimus ging hervor aus den seit langem
üblichen Charaktertänzen zur Flöte, die theils bei andern Gelegenheiten, na¬
mentlich aber zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel aufgeführt wur¬
den. Es war nicht schwer, aus diesen Tänzen, bei denen die Rede wol längst
gelegentlich zu Hilfe genommen ward, durch Einführung einer geordneter»
Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen." (Momm-
sen). Nach den Titeln waren die Gegenstände zum großen Theil ähnlich wie
in der Atellane. Genrebilder aus dem Leben Roms, besonders der untern
Stände und der Handwerker, Schilderungen von Volksfesten, von fremden
Nationalitäten, auch mythologische Gegenstände, wie denn in einem drei
hungrige Herkulesse vorkamen, in einem andern Jupiters Tod dargestellt
und sein Testament verlesen wurde. In einem Mimus, der am Tage von
Caligulas Ermordung gespielt ward, kam die Kreuzigung eines berühmten
Räuberhauptmanns Lciureolus vor, wobei das Fließen des Blutes künstlich
dargestellt wurde. In einem andern, der im Beisein Vespasians im Theater
des Marcellus aufgeführt wurde, spielte ein Hund die Hauptrolle. Er erhielt
in dem Stück ein narkotisches Mittel, und stellte sowol das allmülige Ein¬
schlafen als das allmälige Erwachen zu allgemeiner Bewunderung dar. Liebe¬
leien und Rabulistereien, besonders aber Ehebruchsscenen waren im Mimus
an der Tagesordnung; der überraschte Galan ließ sich in einem Kasten davon¬
tragen, um dem betrogenen Ehemann zu entgehen, der Gatte schickte seine
hübsche Frau zu seinem mächtigen Feinde, um ihren Reizen seine Sicherheit
zu verdanken u. s. w. Plötzliche Veränderungen des Schicksals erinnern an
wiener Zauberpossen: Bettler wurden plötzlich reich, Reiche genöthigt, ihr Heil
in der Flucht zu suchen, liefen über die Bühne, den Kopf mit dem Mantel
bedeckt, mit Ausnahme der Ohren, mit denen sie vermuthlich angstvoll nach
ihren Verfolgern lauschten. Prügel spielten eine große Rolle im Mimus und
das Klatschen der Ohrfeigen auf den Pausbacken der in diesen Stücken stehen¬
den Dummköpfe scheint zu den beliebten Späßen gehört zu haben. Das Spiel
war überhaupt carrikirt und grobkomisch. Mit der Auflösung des dramatischen
Knotens nahm man es nicht genau: sollte das Stück aufhören, so lief eine
von den Personen (etwa der ertappte Liebhaber) davon, die Musik fiel ein
und ein Tanz machte den Schluß. Die samische Ausstattung war sehr ein¬
fach, die Mimen spielten ohne den auch im Lustspiel üblichen Theaterschuh
und ohne Maske, ihr Costüm war eine bunte Harlekintracht mit einem darüber
geworfenen Mäntelchen. Der Hauptschauspieler, der die Posse eigentlich durch-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106111"/>
            <p xml:id="ID_826" prev="#ID_825" next="#ID_827"> dem gemeinen Leben, kurz (in der Regel wol einactig) wie die Atellane, aber<lb/>
ohne ihre stehenden Masken. Wie die Atellane wurde er als Nach- oder Zwi¬<lb/>
schenspiel anderer Aufführungen gegeben und erfreute sich in Ciceros Zeit<lb/>
größerer Gunst als diese; später haben, so viel wir wissen, beide Gattungen<lb/>
gleichen Beifall gefunden. &#x201E;Der Mimus ging hervor aus den seit langem<lb/>
üblichen Charaktertänzen zur Flöte, die theils bei andern Gelegenheiten, na¬<lb/>
mentlich aber zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel aufgeführt wur¬<lb/>
den. Es war nicht schwer, aus diesen Tänzen, bei denen die Rede wol längst<lb/>
gelegentlich zu Hilfe genommen ward, durch Einführung einer geordneter»<lb/>
Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen." (Momm-<lb/>
sen). Nach den Titeln waren die Gegenstände zum großen Theil ähnlich wie<lb/>
in der Atellane. Genrebilder aus dem Leben Roms, besonders der untern<lb/>
Stände und der Handwerker, Schilderungen von Volksfesten, von fremden<lb/>
Nationalitäten, auch mythologische Gegenstände, wie denn in einem drei<lb/>
hungrige Herkulesse vorkamen, in einem andern Jupiters Tod dargestellt<lb/>
und sein Testament verlesen wurde. In einem Mimus, der am Tage von<lb/>
Caligulas Ermordung gespielt ward, kam die Kreuzigung eines berühmten<lb/>
Räuberhauptmanns Lciureolus vor, wobei das Fließen des Blutes künstlich<lb/>
dargestellt wurde. In einem andern, der im Beisein Vespasians im Theater<lb/>
des Marcellus aufgeführt wurde, spielte ein Hund die Hauptrolle. Er erhielt<lb/>
in dem Stück ein narkotisches Mittel, und stellte sowol das allmülige Ein¬<lb/>
schlafen als das allmälige Erwachen zu allgemeiner Bewunderung dar. Liebe¬<lb/>
leien und Rabulistereien, besonders aber Ehebruchsscenen waren im Mimus<lb/>
an der Tagesordnung; der überraschte Galan ließ sich in einem Kasten davon¬<lb/>
tragen, um dem betrogenen Ehemann zu entgehen, der Gatte schickte seine<lb/>
hübsche Frau zu seinem mächtigen Feinde, um ihren Reizen seine Sicherheit<lb/>
zu verdanken u. s. w. Plötzliche Veränderungen des Schicksals erinnern an<lb/>
wiener Zauberpossen: Bettler wurden plötzlich reich, Reiche genöthigt, ihr Heil<lb/>
in der Flucht zu suchen, liefen über die Bühne, den Kopf mit dem Mantel<lb/>
bedeckt, mit Ausnahme der Ohren, mit denen sie vermuthlich angstvoll nach<lb/>
ihren Verfolgern lauschten. Prügel spielten eine große Rolle im Mimus und<lb/>
das Klatschen der Ohrfeigen auf den Pausbacken der in diesen Stücken stehen¬<lb/>
den Dummköpfe scheint zu den beliebten Späßen gehört zu haben. Das Spiel<lb/>
war überhaupt carrikirt und grobkomisch. Mit der Auflösung des dramatischen<lb/>
Knotens nahm man es nicht genau: sollte das Stück aufhören, so lief eine<lb/>
von den Personen (etwa der ertappte Liebhaber) davon, die Musik fiel ein<lb/>
und ein Tanz machte den Schluß. Die samische Ausstattung war sehr ein¬<lb/>
fach, die Mimen spielten ohne den auch im Lustspiel üblichen Theaterschuh<lb/>
und ohne Maske, ihr Costüm war eine bunte Harlekintracht mit einem darüber<lb/>
geworfenen Mäntelchen. Der Hauptschauspieler, der die Posse eigentlich durch-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] dem gemeinen Leben, kurz (in der Regel wol einactig) wie die Atellane, aber ohne ihre stehenden Masken. Wie die Atellane wurde er als Nach- oder Zwi¬ schenspiel anderer Aufführungen gegeben und erfreute sich in Ciceros Zeit größerer Gunst als diese; später haben, so viel wir wissen, beide Gattungen gleichen Beifall gefunden. „Der Mimus ging hervor aus den seit langem üblichen Charaktertänzen zur Flöte, die theils bei andern Gelegenheiten, na¬ mentlich aber zur Unterhaltung der Gäste während der Tafel aufgeführt wur¬ den. Es war nicht schwer, aus diesen Tänzen, bei denen die Rede wol längst gelegentlich zu Hilfe genommen ward, durch Einführung einer geordneter» Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen." (Momm- sen). Nach den Titeln waren die Gegenstände zum großen Theil ähnlich wie in der Atellane. Genrebilder aus dem Leben Roms, besonders der untern Stände und der Handwerker, Schilderungen von Volksfesten, von fremden Nationalitäten, auch mythologische Gegenstände, wie denn in einem drei hungrige Herkulesse vorkamen, in einem andern Jupiters Tod dargestellt und sein Testament verlesen wurde. In einem Mimus, der am Tage von Caligulas Ermordung gespielt ward, kam die Kreuzigung eines berühmten Räuberhauptmanns Lciureolus vor, wobei das Fließen des Blutes künstlich dargestellt wurde. In einem andern, der im Beisein Vespasians im Theater des Marcellus aufgeführt wurde, spielte ein Hund die Hauptrolle. Er erhielt in dem Stück ein narkotisches Mittel, und stellte sowol das allmülige Ein¬ schlafen als das allmälige Erwachen zu allgemeiner Bewunderung dar. Liebe¬ leien und Rabulistereien, besonders aber Ehebruchsscenen waren im Mimus an der Tagesordnung; der überraschte Galan ließ sich in einem Kasten davon¬ tragen, um dem betrogenen Ehemann zu entgehen, der Gatte schickte seine hübsche Frau zu seinem mächtigen Feinde, um ihren Reizen seine Sicherheit zu verdanken u. s. w. Plötzliche Veränderungen des Schicksals erinnern an wiener Zauberpossen: Bettler wurden plötzlich reich, Reiche genöthigt, ihr Heil in der Flucht zu suchen, liefen über die Bühne, den Kopf mit dem Mantel bedeckt, mit Ausnahme der Ohren, mit denen sie vermuthlich angstvoll nach ihren Verfolgern lauschten. Prügel spielten eine große Rolle im Mimus und das Klatschen der Ohrfeigen auf den Pausbacken der in diesen Stücken stehen¬ den Dummköpfe scheint zu den beliebten Späßen gehört zu haben. Das Spiel war überhaupt carrikirt und grobkomisch. Mit der Auflösung des dramatischen Knotens nahm man es nicht genau: sollte das Stück aufhören, so lief eine von den Personen (etwa der ertappte Liebhaber) davon, die Musik fiel ein und ein Tanz machte den Schluß. Die samische Ausstattung war sehr ein¬ fach, die Mimen spielten ohne den auch im Lustspiel üblichen Theaterschuh und ohne Maske, ihr Costüm war eine bunte Harlekintracht mit einem darüber geworfenen Mäntelchen. Der Hauptschauspieler, der die Posse eigentlich durch-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/300>, abgerufen am 22.07.2024.