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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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dem größern Publicum einflößten, kam noch die Gunst, die ihnen Schönheit
und Virtuosität oft in der höhern Gesellschaft erwarb. Wie unwiderstehlich
sie namentlich für Frauen (selbst vom höchsten Range) waren, ist bereits früher
erzählt, aber auch Männer waren wetteifernd um sie bemüht. Jener Senats-
beschluß unter Tiber mußte schon untersagen, daß römische Ritter nicht bei
ihrem öffentlichen Erscheinen ihr Gefolge bildeten, daß Senatoren nicht ihre
Wohnungen besuchten; aber diese Verbote fruchteten nicht. Unter Nero sah
Seneca die edelsten Jünglinge als Sklaven von Pantomimen, unter Ves-
pasian drängte sich um sie aus der Straße die größte Menge. Ihr Einfluß
wurde häufig durch bedeutendes Vermögen unterstützt, da beliebte Tänzer im
Gefühl ihrer Unentbehrlichst sehr hohe Forderungen an die Magistrate ma¬
chen konnten, welche die Schauspiele gaben. Pylades war in seinem Alter
selbst reich genug, um Schauspiele veranstalten zu können, er und andere wur¬
den in Rom und in Municipalstädten mit allen Ehrenbezeugungen überhäuft,
die das Gesetz Freigelassenen zuzuerkennen gestattete. Sie wurden zu den höch¬
sten Stellen im Heer und der Verwaltung befördert. "Was die Großen nicht
vermögen, "sagt Juvenal", vermag ein Tänzer. Wozu in den Atrien der Vor¬
nehmen antichambriren? Eine Pelopna macht Präfecten, eine Philomela Tri¬
bunen." Caracalla machte sogar einen Pantomimen zum Befehlshaber einer
Armee. Ueber ihrer Asche erhoben sich prachtvolle Monumente. Ein Epi¬
taph, das Martial für den (von Domitian aus Eisersucht ermordeten) Pan¬
tomimen Paris dichtete, lautet: "Wanderer aus der flämmischer Straße,
gehe nicht an diesem edeln Marmorbau vorüber. Die Wonne Roms, der
Witz Alexandriens, Kunst und Anmuth, Scherz und Freude, die Zierde und
der Schmerz des römischen Theaters und alle Liebesgöttinnen und Liebesgötter
sind in diesem Grabe mit Paris bestattet." Eine so allgemeine und aus¬
schweifende Bewunderung steigerte sehr natürlich das Selbstbewußtsein der
Virtuosen bis zur Insolenz. Pylades erlaubte sich, auf einen Zuschauer, der
ihn ausgezischt hatte, mit dem Finger zu weisen, wofür ihn freilich August
aus Italien verbannte; nach andern Erzählungen soll er sogar von der Bühne
Pfeile auf das Volk geworfen haben.

Wenn an den Pantomimen hauptsächlich die gebildete Welt sich ergötzte,
da ohne Bildung die Feinheiten der Darstellung nicht vollkommen genossen
werden konnten, und das Schauspiel überdies pikant und aufregend genug
war. um auch übersättigte und erschlaffte Nerven zu reizen -- so wurden die
Wünsche der Massen im Theater durch derbe grobkomische, von Obscönitätcn
wimmelnde Possen befriedigt. Zwei Gattungen der Posse erhielten sich wäh¬
rend der ganzen Kaiserzeit auf der Bühne, die Atellane und der Mimus.
Die erstere, eine Art Policinellkomödie, aus Ccunpcmien stammend, wo sie
noch heute heimisch ist, war schon in früher Zeit nach Rom verpflanzt und


dem größern Publicum einflößten, kam noch die Gunst, die ihnen Schönheit
und Virtuosität oft in der höhern Gesellschaft erwarb. Wie unwiderstehlich
sie namentlich für Frauen (selbst vom höchsten Range) waren, ist bereits früher
erzählt, aber auch Männer waren wetteifernd um sie bemüht. Jener Senats-
beschluß unter Tiber mußte schon untersagen, daß römische Ritter nicht bei
ihrem öffentlichen Erscheinen ihr Gefolge bildeten, daß Senatoren nicht ihre
Wohnungen besuchten; aber diese Verbote fruchteten nicht. Unter Nero sah
Seneca die edelsten Jünglinge als Sklaven von Pantomimen, unter Ves-
pasian drängte sich um sie aus der Straße die größte Menge. Ihr Einfluß
wurde häufig durch bedeutendes Vermögen unterstützt, da beliebte Tänzer im
Gefühl ihrer Unentbehrlichst sehr hohe Forderungen an die Magistrate ma¬
chen konnten, welche die Schauspiele gaben. Pylades war in seinem Alter
selbst reich genug, um Schauspiele veranstalten zu können, er und andere wur¬
den in Rom und in Municipalstädten mit allen Ehrenbezeugungen überhäuft,
die das Gesetz Freigelassenen zuzuerkennen gestattete. Sie wurden zu den höch¬
sten Stellen im Heer und der Verwaltung befördert. „Was die Großen nicht
vermögen, „sagt Juvenal", vermag ein Tänzer. Wozu in den Atrien der Vor¬
nehmen antichambriren? Eine Pelopna macht Präfecten, eine Philomela Tri¬
bunen." Caracalla machte sogar einen Pantomimen zum Befehlshaber einer
Armee. Ueber ihrer Asche erhoben sich prachtvolle Monumente. Ein Epi¬
taph, das Martial für den (von Domitian aus Eisersucht ermordeten) Pan¬
tomimen Paris dichtete, lautet: „Wanderer aus der flämmischer Straße,
gehe nicht an diesem edeln Marmorbau vorüber. Die Wonne Roms, der
Witz Alexandriens, Kunst und Anmuth, Scherz und Freude, die Zierde und
der Schmerz des römischen Theaters und alle Liebesgöttinnen und Liebesgötter
sind in diesem Grabe mit Paris bestattet." Eine so allgemeine und aus¬
schweifende Bewunderung steigerte sehr natürlich das Selbstbewußtsein der
Virtuosen bis zur Insolenz. Pylades erlaubte sich, auf einen Zuschauer, der
ihn ausgezischt hatte, mit dem Finger zu weisen, wofür ihn freilich August
aus Italien verbannte; nach andern Erzählungen soll er sogar von der Bühne
Pfeile auf das Volk geworfen haben.

Wenn an den Pantomimen hauptsächlich die gebildete Welt sich ergötzte,
da ohne Bildung die Feinheiten der Darstellung nicht vollkommen genossen
werden konnten, und das Schauspiel überdies pikant und aufregend genug
war. um auch übersättigte und erschlaffte Nerven zu reizen — so wurden die
Wünsche der Massen im Theater durch derbe grobkomische, von Obscönitätcn
wimmelnde Possen befriedigt. Zwei Gattungen der Posse erhielten sich wäh¬
rend der ganzen Kaiserzeit auf der Bühne, die Atellane und der Mimus.
Die erstere, eine Art Policinellkomödie, aus Ccunpcmien stammend, wo sie
noch heute heimisch ist, war schon in früher Zeit nach Rom verpflanzt und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/298>, abgerufen am 23.07.2024.