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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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sich, den pantomimischen Tanz als etwas Selbststnndigcs, von dem Zusammen¬
hang des Dramas nicht Abhängiges zu betrachten, und je mehr sich das
Interesse auf diese Scenen concentrirte und die Vorliebe für Charaktertänze
steigerte, desto näher lag der Gedanke, den Dialog ganz wegzulassen und die
Pantomimischen solos allein aufzuführen. Auf diese Weise entstand in Augusts
Zeit eine balletartige Vorstellung, die jedoch von dem modernen Ballet sehr
verschieden war, der sogenannte Pantomimus, als dessen Begründer der Cilicier
Pylades (der auch über seine Kunst schrieb) und der Alexandriner Bathyttus,
ein Freigelassener Mäcens (der ihn leidenschaftlich geliebt haben soll) genannt
werden.

Obwol es komische Pantomimen gegeben haben soll, werden dergleichen
doch nie erwähnt, und die große Anzahl von sujets, die wir kennen, sind
ohne Ausnahme der Tragödie entnommen. In den meisten Fällen wurden
ohne Zweifel bereits vorhnndne Trauerspiele zu diesem Zweck bearbeitet; doch
da nach Lucian sich alle Gegenstände "vom Chaos bis zum Tode der Kleopatra"
für den Pantomimus eignen (spätere hätten leicht anstößig sein können),
so darf man annehmen, daß häufig auch solche Motive, die von den
Tragödiendichtern noch nicht behandelt waren, direct für pantomimische Dar¬
stellungen benutzt wurden. Dies war namentlich bei historischen Gegenständen
der Fall, von denen (außer der Geschichte der Kleopatra) das tragische Schick¬
sal des Polykrates und die Leidenschaft des Seleucus für die Verlobte seines
Vaters Stratonike angeführt werden; ferner bei nichtgriechischen. wie denn
namentlich aus der italischen Sage Turnus (und Aeneas und Dido) von Pan¬
tomimen dargestellt wurde, und wie es scheint die ägyptische Mythologie öfter
die sujets hergab, als den Tod des Osiris, die Verwandlungen der Götter
w Thiere u. s. w. Aber auch aus der unübersehbaren Masse der griechischen
Götter- und Heroensagen wurden ohne Zweifel viele in dieser Form zum
erstenmal auf die Bühne gebracht. Hochtragische Gegenstände, wie Atreus
und Thuest, Oedipus, der rasende Ajax, der rasende Herkules, Niobe, Hektor,
die Sieben vor Theben u. tgi. waren nicht selten. Am häufigsten und belieb¬
testen aber waren Liebesgeschichten. Ovid räth daher in seinen Mitteln wider
die Liebe dem, der seine Leidenschaft unterdrücken will, von dem Besuch des
Theaters ab. Die Liebesabenteuer Jupiters und seine Verwandlungen, Venus
und Adonis, Venus und Mars im Netz Vulkans, Apoll und Daphne u. s. w.
Phädra und Hippolyt, Atalante und Meleager. Protesilaos und Laodameia,
Jason und Medea, Achill und Briseis, Achill unter den Töchtern des Lyko-
Medes, Ariadne auf Naxus, Myrrha, Pafiphae u. s. w., diese und ähnliche Gegen¬
stände wurden während der ganzen Dauer der römischen Kaiserzeit vorzugsweise
von Pantomimen dargestellt und fesselten überall das Publicum am meisten.

Bis in die letzten Zeiten des römischen Alterthums sind im Pantomimus


sich, den pantomimischen Tanz als etwas Selbststnndigcs, von dem Zusammen¬
hang des Dramas nicht Abhängiges zu betrachten, und je mehr sich das
Interesse auf diese Scenen concentrirte und die Vorliebe für Charaktertänze
steigerte, desto näher lag der Gedanke, den Dialog ganz wegzulassen und die
Pantomimischen solos allein aufzuführen. Auf diese Weise entstand in Augusts
Zeit eine balletartige Vorstellung, die jedoch von dem modernen Ballet sehr
verschieden war, der sogenannte Pantomimus, als dessen Begründer der Cilicier
Pylades (der auch über seine Kunst schrieb) und der Alexandriner Bathyttus,
ein Freigelassener Mäcens (der ihn leidenschaftlich geliebt haben soll) genannt
werden.

Obwol es komische Pantomimen gegeben haben soll, werden dergleichen
doch nie erwähnt, und die große Anzahl von sujets, die wir kennen, sind
ohne Ausnahme der Tragödie entnommen. In den meisten Fällen wurden
ohne Zweifel bereits vorhnndne Trauerspiele zu diesem Zweck bearbeitet; doch
da nach Lucian sich alle Gegenstände „vom Chaos bis zum Tode der Kleopatra"
für den Pantomimus eignen (spätere hätten leicht anstößig sein können),
so darf man annehmen, daß häufig auch solche Motive, die von den
Tragödiendichtern noch nicht behandelt waren, direct für pantomimische Dar¬
stellungen benutzt wurden. Dies war namentlich bei historischen Gegenständen
der Fall, von denen (außer der Geschichte der Kleopatra) das tragische Schick¬
sal des Polykrates und die Leidenschaft des Seleucus für die Verlobte seines
Vaters Stratonike angeführt werden; ferner bei nichtgriechischen. wie denn
namentlich aus der italischen Sage Turnus (und Aeneas und Dido) von Pan¬
tomimen dargestellt wurde, und wie es scheint die ägyptische Mythologie öfter
die sujets hergab, als den Tod des Osiris, die Verwandlungen der Götter
w Thiere u. s. w. Aber auch aus der unübersehbaren Masse der griechischen
Götter- und Heroensagen wurden ohne Zweifel viele in dieser Form zum
erstenmal auf die Bühne gebracht. Hochtragische Gegenstände, wie Atreus
und Thuest, Oedipus, der rasende Ajax, der rasende Herkules, Niobe, Hektor,
die Sieben vor Theben u. tgi. waren nicht selten. Am häufigsten und belieb¬
testen aber waren Liebesgeschichten. Ovid räth daher in seinen Mitteln wider
die Liebe dem, der seine Leidenschaft unterdrücken will, von dem Besuch des
Theaters ab. Die Liebesabenteuer Jupiters und seine Verwandlungen, Venus
und Adonis, Venus und Mars im Netz Vulkans, Apoll und Daphne u. s. w.
Phädra und Hippolyt, Atalante und Meleager. Protesilaos und Laodameia,
Jason und Medea, Achill und Briseis, Achill unter den Töchtern des Lyko-
Medes, Ariadne auf Naxus, Myrrha, Pafiphae u. s. w., diese und ähnliche Gegen¬
stände wurden während der ganzen Dauer der römischen Kaiserzeit vorzugsweise
von Pantomimen dargestellt und fesselten überall das Publicum am meisten.

Bis in die letzten Zeiten des römischen Alterthums sind im Pantomimus


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[0293] sich, den pantomimischen Tanz als etwas Selbststnndigcs, von dem Zusammen¬ hang des Dramas nicht Abhängiges zu betrachten, und je mehr sich das Interesse auf diese Scenen concentrirte und die Vorliebe für Charaktertänze steigerte, desto näher lag der Gedanke, den Dialog ganz wegzulassen und die Pantomimischen solos allein aufzuführen. Auf diese Weise entstand in Augusts Zeit eine balletartige Vorstellung, die jedoch von dem modernen Ballet sehr verschieden war, der sogenannte Pantomimus, als dessen Begründer der Cilicier Pylades (der auch über seine Kunst schrieb) und der Alexandriner Bathyttus, ein Freigelassener Mäcens (der ihn leidenschaftlich geliebt haben soll) genannt werden. Obwol es komische Pantomimen gegeben haben soll, werden dergleichen doch nie erwähnt, und die große Anzahl von sujets, die wir kennen, sind ohne Ausnahme der Tragödie entnommen. In den meisten Fällen wurden ohne Zweifel bereits vorhnndne Trauerspiele zu diesem Zweck bearbeitet; doch da nach Lucian sich alle Gegenstände „vom Chaos bis zum Tode der Kleopatra" für den Pantomimus eignen (spätere hätten leicht anstößig sein können), so darf man annehmen, daß häufig auch solche Motive, die von den Tragödiendichtern noch nicht behandelt waren, direct für pantomimische Dar¬ stellungen benutzt wurden. Dies war namentlich bei historischen Gegenständen der Fall, von denen (außer der Geschichte der Kleopatra) das tragische Schick¬ sal des Polykrates und die Leidenschaft des Seleucus für die Verlobte seines Vaters Stratonike angeführt werden; ferner bei nichtgriechischen. wie denn namentlich aus der italischen Sage Turnus (und Aeneas und Dido) von Pan¬ tomimen dargestellt wurde, und wie es scheint die ägyptische Mythologie öfter die sujets hergab, als den Tod des Osiris, die Verwandlungen der Götter w Thiere u. s. w. Aber auch aus der unübersehbaren Masse der griechischen Götter- und Heroensagen wurden ohne Zweifel viele in dieser Form zum erstenmal auf die Bühne gebracht. Hochtragische Gegenstände, wie Atreus und Thuest, Oedipus, der rasende Ajax, der rasende Herkules, Niobe, Hektor, die Sieben vor Theben u. tgi. waren nicht selten. Am häufigsten und belieb¬ testen aber waren Liebesgeschichten. Ovid räth daher in seinen Mitteln wider die Liebe dem, der seine Leidenschaft unterdrücken will, von dem Besuch des Theaters ab. Die Liebesabenteuer Jupiters und seine Verwandlungen, Venus und Adonis, Venus und Mars im Netz Vulkans, Apoll und Daphne u. s. w. Phädra und Hippolyt, Atalante und Meleager. Protesilaos und Laodameia, Jason und Medea, Achill und Briseis, Achill unter den Töchtern des Lyko- Medes, Ariadne auf Naxus, Myrrha, Pafiphae u. s. w., diese und ähnliche Gegen¬ stände wurden während der ganzen Dauer der römischen Kaiserzeit vorzugsweise von Pantomimen dargestellt und fesselten überall das Publicum am meisten. Bis in die letzten Zeiten des römischen Alterthums sind im Pantomimus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/293>, abgerufen am 23.07.2024.