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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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übertriebener Wärme scheint das Verhältniß auf beiden Seiten nicht gewesen
zu sein. Forster selbst erklärte Sömmerring, daß sein Verhältniß zu ihm viel
tiefer und leidenschaftlicher sei als das zu seiner Braut, und Therese hat auch,
wenigstens nach ihrer spätern Erzählung, ziemlich kühl gewählt. In ihren
spätern Briefen tauschten sie mitunter ganz wunderliche Ansichten aus.

Seine Reise ins Polnische ging durch Oestreich, namentlich in Wien
August 1784. wo der Kaiser sich sehr huldvoll mit ihm unterhielt, athmete
er frei auf. aus dem grämlichen Rosenkreuzer war ein frischer Lebemann ge¬
worden. "Ich bin sinnlicher als du," schreibt er an Sömmerring, "und bin es
mehr als je, seitdem ich der Schwärmerei auf immer Adieu gesagt und ein¬
sehn gelernt habe, daß es Thorheit sei. um des ungewissen Zukünftigen
willen das sichere Gegenwärtige zu verscherzen.____Wahres Glück ist
nach meiner Meinung jetzt: alles zu genießen, was erlaubt ist d. i. was mir
selbst und andern nicht schadet, sondern vielmehr zuträglich ist." -- Diese
glückliche Stimmung wurde indeß bald wieder verkümmert, als er am 18- Nov.
in Wilna ankam und nun im vollsten Sinne des Worts das kennen lernte,
was man polnische Wirthschaft nennt. Er hätte die Stelle schnell wieder auf¬
gegeben. wenn er nicht von der polnischen Regierung sehr erhebliche Vorschüsse
empfangen hatte, die er abzuzahlen unvermögend war. Ueber seine geringe
Wirksamkeit tröstete er sich in der Weise Müllers. "Ich sehe die Jahre, die
'es hier zu bleiben versprochen habe, als eine neue Vorbereitungszeit an, in
welcher ich mich für eine dereinstige bessere Lage, wo ich mehr Gelegenheit zu
nützen finden möchte, durch meine Studiensortsetzung anschicke." Wenigstens
ertrug er nickt länger die Einsamkeit seiner Lage, er wußte Henne jetzt
wirklich zu gewinnen, heirathete Therese August 1785 in Göttingen und führte
ne nach Wilna. Gleich im Anfang dieser Ehe treten Spuren jenes ungeord¬
neten Haushaltes hervor, durch den sie auch später verkümmert wurde; der
stets sich steigernde Unmuth über seine Stellung kam dazu, und er sah sich
ungeduldig nach allen Seiten um. um seiner Lage zu entfliehn. Endlich.
Juni 1737. kam Hilfe "us Rußland. Es wurde eine neue Expedition in die
Südsee projectirt und Forster sehr glänzende Anerbietungen gemacht. Die
Hauptsache aber war. daß Rußland Forsters Schuld und Verbindlichkeit an



') Seine Abneigung gegen die Philosophie steigerte sich mit seiner Abneigung gegen alles
Theologische. "JmCirkcl menschliche Begriffe lag es freilich, daß unsere Gattung sich einmal
mit regulativen Idee" herumtummeln mußte und zur Entwicklung der Denkkraft hat es
Milch genug beigetragen, insofern jede Uebung des Geistes dahin abzweckt. Aber gut ist es
doch. daß wir endlich diesen Wust ins Reine haben, wissen, man komme nimmermehr auf
diesem Wege weiter, daß wir die jämmerliche Metaphysik auf ewig unter die Bank werfe"
und uns an das reelle Sinnliche halten." Seine Fehdeschrift gegen den ..Archisopbisten und
Archischolastiker" Kant "über die Menschenracen" sandte er an Herder, der natürlich große
Freude daran hatte.

übertriebener Wärme scheint das Verhältniß auf beiden Seiten nicht gewesen
zu sein. Forster selbst erklärte Sömmerring, daß sein Verhältniß zu ihm viel
tiefer und leidenschaftlicher sei als das zu seiner Braut, und Therese hat auch,
wenigstens nach ihrer spätern Erzählung, ziemlich kühl gewählt. In ihren
spätern Briefen tauschten sie mitunter ganz wunderliche Ansichten aus.

Seine Reise ins Polnische ging durch Oestreich, namentlich in Wien
August 1784. wo der Kaiser sich sehr huldvoll mit ihm unterhielt, athmete
er frei auf. aus dem grämlichen Rosenkreuzer war ein frischer Lebemann ge¬
worden. „Ich bin sinnlicher als du," schreibt er an Sömmerring, „und bin es
mehr als je, seitdem ich der Schwärmerei auf immer Adieu gesagt und ein¬
sehn gelernt habe, daß es Thorheit sei. um des ungewissen Zukünftigen
willen das sichere Gegenwärtige zu verscherzen.____Wahres Glück ist
nach meiner Meinung jetzt: alles zu genießen, was erlaubt ist d. i. was mir
selbst und andern nicht schadet, sondern vielmehr zuträglich ist." — Diese
glückliche Stimmung wurde indeß bald wieder verkümmert, als er am 18- Nov.
in Wilna ankam und nun im vollsten Sinne des Worts das kennen lernte,
was man polnische Wirthschaft nennt. Er hätte die Stelle schnell wieder auf¬
gegeben. wenn er nicht von der polnischen Regierung sehr erhebliche Vorschüsse
empfangen hatte, die er abzuzahlen unvermögend war. Ueber seine geringe
Wirksamkeit tröstete er sich in der Weise Müllers. „Ich sehe die Jahre, die
'es hier zu bleiben versprochen habe, als eine neue Vorbereitungszeit an, in
welcher ich mich für eine dereinstige bessere Lage, wo ich mehr Gelegenheit zu
nützen finden möchte, durch meine Studiensortsetzung anschicke." Wenigstens
ertrug er nickt länger die Einsamkeit seiner Lage, er wußte Henne jetzt
wirklich zu gewinnen, heirathete Therese August 1785 in Göttingen und führte
ne nach Wilna. Gleich im Anfang dieser Ehe treten Spuren jenes ungeord¬
neten Haushaltes hervor, durch den sie auch später verkümmert wurde; der
stets sich steigernde Unmuth über seine Stellung kam dazu, und er sah sich
ungeduldig nach allen Seiten um. um seiner Lage zu entfliehn. Endlich.
Juni 1737. kam Hilfe «us Rußland. Es wurde eine neue Expedition in die
Südsee projectirt und Forster sehr glänzende Anerbietungen gemacht. Die
Hauptsache aber war. daß Rußland Forsters Schuld und Verbindlichkeit an



') Seine Abneigung gegen die Philosophie steigerte sich mit seiner Abneigung gegen alles
Theologische. „JmCirkcl menschliche Begriffe lag es freilich, daß unsere Gattung sich einmal
mit regulativen Idee» herumtummeln mußte und zur Entwicklung der Denkkraft hat es
Milch genug beigetragen, insofern jede Uebung des Geistes dahin abzweckt. Aber gut ist es
doch. daß wir endlich diesen Wust ins Reine haben, wissen, man komme nimmermehr auf
diesem Wege weiter, daß wir die jämmerliche Metaphysik auf ewig unter die Bank werfe»
und uns an das reelle Sinnliche halten." Seine Fehdeschrift gegen den ..Archisopbisten und
Archischolastiker" Kant „über die Menschenracen" sandte er an Herder, der natürlich große
Freude daran hatte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/29>, abgerufen am 22.07.2024.