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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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die man in den heiligen Bezirk des Tempels hinaustrat. Endlich ist die Süd¬
mauer dem großen Prachtportal gegenüber von einer kleinen Pforte durch¬
brochen, vor der einige Stufen in den erwähnten südlichen Anbau, in die so¬
genannte Halle der Karyatiden oder Jungfrauen, führen. Sechs Marmor¬
statuen, attische Mädchen darstellend, mit ernstem und zugleich lieblichem Ge¬
sichtsausdruck, mit reichster Faltengewandung und vollem, hinten in schönem
Geflecht herabhängendem Haar tragen, die Stelle von Säulen vertretend, das
Dach. Vier stehen an der Front gegen Süden, eine hinter der ersten und
eine letzte hinter der vierten. Die eine der Jungfrauen wurde von Lord Elgin
nach England entführt, und bei der Restauration des Tempels ersetzte man sie
durch eine Copie, deren weiße Farbe unerfreulich von der bräunlichen Schatti-
rung der Genossinnen absticht. Während im Tempel der Polias das Holz¬
bild der Göttin aufbewahrt wurde, war hier vermuthlich das Heiligthum der
Pandrosos, in welchem sich unter dem Urölbaum Atheneus der Altar des Zeus
Herkeios befand, und wo vielleicht auch das Grab des Kekrops zu suchen ist.
Es sind dies indessen bloße Hypothesen, wie das Meiste, was über diesen
Brennpunkt der alten Culte Athens gesagt wurde. Das Erechtheion ist ein
Räthsel, aber das schönste Räthsel unter den vielen, welche die Akropolis zu
rathen gibt.

Bewundern wir in dem Erechtheion die Zierlichkeit und schlanke Grazie
des jonischen Stils, so tritt uns in dem Parthenon der mehr auf den Aus¬
druck von Würde und Kraft gerichtete ernstere Sinn der dorischen Kunst ent¬
gegen. Erfreute uns dort die schon durch die Zusammensetzung verschiedener
Götterwohnungen gebotne Mannigfaltigkeit der Formen, so läßt hier die durch
die einheitliche Bestimmung des Heiligthums unterstützte Einfachheit, verbunden
mit der größeren Höhe und Tiefe des Baues, die Empfindung des Anmuthig-
Menschlichen vor dem Gefühl des Erhaben-Göttlichen zurücktreten. Der Parthenon
wirkt neben dem Erechtheion wie ein ägyptischer Tempel neben dem Parthe¬
non wirken würde, nur daß jene Kolossalbautcn von Karnak und Luxor wie
von Erdgeistern aufgeschichtet scheinen, während jeder Tempel Athens, auch
der massenhafteste, schon des lichten Gesteins wegen, einer Schöpfung von
Geistern des Lichtes und der Luft gleicht.

Die Geschichte des Parthenon ist bekannt. Wir wissen, daß er, durch
die byzantinischen Kaiser in eine Kirche der Sophia verwandelt, ohne Morosinis
Bomben wahrscheinlich ebenso gut erhalten aus uns gekommen wäre, als
drunten der Tempel des Theseus. Auch in der Beschreibung der allgemeinen
Form kann ich kurz sein. Aus einer künstlich hergestellten Fläche von Muschel¬
kalkquadern ragt er 60 Fuß hoch, 210 Fuß lang und 93 Fuß breit über alle
übrigen Gebäude der Akropolis empor. Drei Stufen führen zu den Säulen
hinauf, von denen einst an jeder Langseite 17, an jeder Querseite 8 sich erhoben.


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die man in den heiligen Bezirk des Tempels hinaustrat. Endlich ist die Süd¬
mauer dem großen Prachtportal gegenüber von einer kleinen Pforte durch¬
brochen, vor der einige Stufen in den erwähnten südlichen Anbau, in die so¬
genannte Halle der Karyatiden oder Jungfrauen, führen. Sechs Marmor¬
statuen, attische Mädchen darstellend, mit ernstem und zugleich lieblichem Ge¬
sichtsausdruck, mit reichster Faltengewandung und vollem, hinten in schönem
Geflecht herabhängendem Haar tragen, die Stelle von Säulen vertretend, das
Dach. Vier stehen an der Front gegen Süden, eine hinter der ersten und
eine letzte hinter der vierten. Die eine der Jungfrauen wurde von Lord Elgin
nach England entführt, und bei der Restauration des Tempels ersetzte man sie
durch eine Copie, deren weiße Farbe unerfreulich von der bräunlichen Schatti-
rung der Genossinnen absticht. Während im Tempel der Polias das Holz¬
bild der Göttin aufbewahrt wurde, war hier vermuthlich das Heiligthum der
Pandrosos, in welchem sich unter dem Urölbaum Atheneus der Altar des Zeus
Herkeios befand, und wo vielleicht auch das Grab des Kekrops zu suchen ist.
Es sind dies indessen bloße Hypothesen, wie das Meiste, was über diesen
Brennpunkt der alten Culte Athens gesagt wurde. Das Erechtheion ist ein
Räthsel, aber das schönste Räthsel unter den vielen, welche die Akropolis zu
rathen gibt.

Bewundern wir in dem Erechtheion die Zierlichkeit und schlanke Grazie
des jonischen Stils, so tritt uns in dem Parthenon der mehr auf den Aus¬
druck von Würde und Kraft gerichtete ernstere Sinn der dorischen Kunst ent¬
gegen. Erfreute uns dort die schon durch die Zusammensetzung verschiedener
Götterwohnungen gebotne Mannigfaltigkeit der Formen, so läßt hier die durch
die einheitliche Bestimmung des Heiligthums unterstützte Einfachheit, verbunden
mit der größeren Höhe und Tiefe des Baues, die Empfindung des Anmuthig-
Menschlichen vor dem Gefühl des Erhaben-Göttlichen zurücktreten. Der Parthenon
wirkt neben dem Erechtheion wie ein ägyptischer Tempel neben dem Parthe¬
non wirken würde, nur daß jene Kolossalbautcn von Karnak und Luxor wie
von Erdgeistern aufgeschichtet scheinen, während jeder Tempel Athens, auch
der massenhafteste, schon des lichten Gesteins wegen, einer Schöpfung von
Geistern des Lichtes und der Luft gleicht.

Die Geschichte des Parthenon ist bekannt. Wir wissen, daß er, durch
die byzantinischen Kaiser in eine Kirche der Sophia verwandelt, ohne Morosinis
Bomben wahrscheinlich ebenso gut erhalten aus uns gekommen wäre, als
drunten der Tempel des Theseus. Auch in der Beschreibung der allgemeinen
Form kann ich kurz sein. Aus einer künstlich hergestellten Fläche von Muschel¬
kalkquadern ragt er 60 Fuß hoch, 210 Fuß lang und 93 Fuß breit über alle
übrigen Gebäude der Akropolis empor. Drei Stufen führen zu den Säulen
hinauf, von denen einst an jeder Langseite 17, an jeder Querseite 8 sich erhoben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/282>, abgerufen am 23.07.2024.