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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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sie sahen die Verwesung um sich her und wollten neuen Geist einziehen dem
Hinfälligen. Sie wandten, um ihren Abfall von der Idee zu decken, sich dem
ursprünglichen Christenthum zu, und bewaffneten den einfachen Geist des
Stifters gegen sein eigen Werk, das so nothwendig wie die spätern Erdgestal-
ten aus dem Frühern hervorgegangen war; aber sie vergaßen, daß das Christen¬
thum, wenn es länger fortbestehen sollte, nothwendig weiter vorwärts gegen
die Abstraction getrieben werden müsse; daß es aber nimmer wie der Strom
zu seiner ersten Quelle kehren konnte." -- Es folgte die Revolution: "Die alten
classischen Formen sollten wiederkehren, antiker Rcpublikanersinn; aber es war
nicht an der Zeit, die Unternehmung, frivol begonnen, war nicht mit welt¬
historischer Einsicht geleitet worden; in Worten hatte sich das Geschlecht be¬
rauscht, aber die Worte wurden mit Worten abgewiesen, sie verflogen wie Rauch
und Dunst." "So ist das Zeitalter abermal in sich zusammengebrochen; die
Götter sind wieder zurückgegangen in die Elementarwelt." Aber wie die Er¬
eignisse der Gegenwart nothwendige Naturproducte, so sind sie auch ein Fort¬
schritt gegen die Vergangenheit. "Nimmer kann der Erdgeist in Verdammniß
sinken, er kennt nicht Tod und die Vernichtung nicht, denn er ist unsterblich,
und ewig jung, und immer erneuten Lebens voll; eine heilige Schlange, die
streifend die alte Hülle, in jedem Zeitalter von neuem sich erzeugt." Leider
vertieft sich Görres darauf wieder nicht blos ins Weltei, sondern auch in die
Milchstraße, und die historischen Bilder verwandeln sich in mythologische
Phantasmagorien. -- So ergänzte hier die trunkne Phantasie, was eine
tüchtige, aber zu vorschnellen Combinationen geneigte Gelehrsamkeit ange¬
bahnt hatte.

Um den Einfluß der Universität zu erweitern, dachte man daran, die
jenaische allgemeine Literaturzeitung mit ihrem Redacteur Eichstädt nach Heidel¬
berg zu ziehn. Mehre Bedenken erhoben sich dagegen, auch Creuzer sprach
sich nicht dafür aus. So gründete man statt dessen 1808 die Heidelberger
Jahrbücher, die nicht blos in der Wissenschaft, sondern auch in der allge¬
meinen Literatur eine viel bedeutendere Rolle spielten, als jenes Blatt, das
trotz einzelner vorzüglicher Leistungen doch keine rechte Haltung gewann, weil
es auf der einen Seite durch Goethe den Naturphilosophen in die Hände ge¬
geben war, während auf der andern die Zünftigen ihr altes Wesen trieben.
Gleich in dem ersten Jahrgang (1308) finden wir von Creuzer einen bemerkens¬
werthen Aufsatz über "Philologie und Mythologie in ihrem Stufengang und
wechselseitigen Verhalten" als Einleitung zu einer Recension über I. I. Wag¬
ners "Ideen zu einer allgemeinen Mythologie der alten Welt". Die Recen¬
sion in ihrer gedrängt abgerissenen Weise ist ziemlich ergötzlich zu lesen, weil
sie das Kaleidoskop getreulich abbildet, in das man damals Fetzen aus der Physik,
Grammatik und Geographie. Reminiscenzen aus ältern Dichtern und Mystikern


sie sahen die Verwesung um sich her und wollten neuen Geist einziehen dem
Hinfälligen. Sie wandten, um ihren Abfall von der Idee zu decken, sich dem
ursprünglichen Christenthum zu, und bewaffneten den einfachen Geist des
Stifters gegen sein eigen Werk, das so nothwendig wie die spätern Erdgestal-
ten aus dem Frühern hervorgegangen war; aber sie vergaßen, daß das Christen¬
thum, wenn es länger fortbestehen sollte, nothwendig weiter vorwärts gegen
die Abstraction getrieben werden müsse; daß es aber nimmer wie der Strom
zu seiner ersten Quelle kehren konnte." — Es folgte die Revolution: „Die alten
classischen Formen sollten wiederkehren, antiker Rcpublikanersinn; aber es war
nicht an der Zeit, die Unternehmung, frivol begonnen, war nicht mit welt¬
historischer Einsicht geleitet worden; in Worten hatte sich das Geschlecht be¬
rauscht, aber die Worte wurden mit Worten abgewiesen, sie verflogen wie Rauch
und Dunst." „So ist das Zeitalter abermal in sich zusammengebrochen; die
Götter sind wieder zurückgegangen in die Elementarwelt." Aber wie die Er¬
eignisse der Gegenwart nothwendige Naturproducte, so sind sie auch ein Fort¬
schritt gegen die Vergangenheit. „Nimmer kann der Erdgeist in Verdammniß
sinken, er kennt nicht Tod und die Vernichtung nicht, denn er ist unsterblich,
und ewig jung, und immer erneuten Lebens voll; eine heilige Schlange, die
streifend die alte Hülle, in jedem Zeitalter von neuem sich erzeugt." Leider
vertieft sich Görres darauf wieder nicht blos ins Weltei, sondern auch in die
Milchstraße, und die historischen Bilder verwandeln sich in mythologische
Phantasmagorien. — So ergänzte hier die trunkne Phantasie, was eine
tüchtige, aber zu vorschnellen Combinationen geneigte Gelehrsamkeit ange¬
bahnt hatte.

Um den Einfluß der Universität zu erweitern, dachte man daran, die
jenaische allgemeine Literaturzeitung mit ihrem Redacteur Eichstädt nach Heidel¬
berg zu ziehn. Mehre Bedenken erhoben sich dagegen, auch Creuzer sprach
sich nicht dafür aus. So gründete man statt dessen 1808 die Heidelberger
Jahrbücher, die nicht blos in der Wissenschaft, sondern auch in der allge¬
meinen Literatur eine viel bedeutendere Rolle spielten, als jenes Blatt, das
trotz einzelner vorzüglicher Leistungen doch keine rechte Haltung gewann, weil
es auf der einen Seite durch Goethe den Naturphilosophen in die Hände ge¬
geben war, während auf der andern die Zünftigen ihr altes Wesen trieben.
Gleich in dem ersten Jahrgang (1308) finden wir von Creuzer einen bemerkens¬
werthen Aufsatz über „Philologie und Mythologie in ihrem Stufengang und
wechselseitigen Verhalten" als Einleitung zu einer Recension über I. I. Wag¬
ners „Ideen zu einer allgemeinen Mythologie der alten Welt". Die Recen¬
sion in ihrer gedrängt abgerissenen Weise ist ziemlich ergötzlich zu lesen, weil
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Grammatik und Geographie. Reminiscenzen aus ältern Dichtern und Mystikern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/260>, abgerufen am 23.07.2024.