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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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sind die Abgründe der Erde ihr aufgeschlossen, und durch die Spalten schlägt
sie die Wurzeln in die Tiefe ein, und vertraut mit ihren Wundern, saugt sie
aus dem Centrum ihre Nahrung. Und wie etudie Schauer nach dem Ueber¬
gang durch die Lüfte ziehn, und feuchte, kalte Nebelformen unten an der
Erde streichen, und ein leiser Athem wie der eines Schlafenden durch den
Luftkreis geht, so bewegte sich die beschattete Gestalt durch die Dunkelheit,
wie ein Traum, den die Natur geträumt, und der lebendig geworden nun
nachwandelte in der Träumender. Einer Erscheinung gleich, die aus den
Gräbern steigt, war die Gestalt den bildenden Göttern aus der Erde hervor¬
gestiegen, und so lange die mütterliche Nacht verweilte, weilte das dunkle
Wesen auch außen an der Oberfläche; wie aber die Morgenröthe am Horizont
erschien, da fuhr der finstre Geist in sich zusammen, und flüchtete in diese
Schluchten vor dem einbrechenden Licht, das ihm feindselig ist und verhaßt."
Man wird durch diese Phantasiegebilde nicht grade belehrt, aber man kann
sich vorstellen, wie sich jene Zeit daran berauschte, wie kluge Männer Görres
über Luther und Shakespeare setzen konnten. Doch hüten wir uns, diesen Vi¬
sionen zu folgen; wir deuten nur auf den Punkt hin, wo Görres sich mit
Creuzer begegnet. Es handelt sich von der Zeit, wo zuerst die Poesie auf¬
blühe. "Die Erde selbst war gebrochen, wie eine Blumenknospe bricht, und
eben waren die Geschlechter aus ihrem Kelch hervorgetreten, und es umduf-
teten sie noch die Arome, und sie horchten dem leisen Athemzug der Mutter,
die in den Düften webte, und sie vernahmen was sie gesprochen, und lasen
was sie mit Bergen und Strömen, und Bäumen und Blumen geschrieben
hatten, und bildeten es in ihrer eignen Sprache lallend nach. Nun erst war
die Mythe offenbar geworden; sie war aus der Inspiration übergetreten in
die Erscheinung, und hatte zum historischen Objecte sich gestaltet. Wie die
Bildung des Systems mit der Ausbildung der Sonne selbst begonnen hatte;
wie alle Erdgestalten wieder auf einer zuerst gestalteten innern Erdensonne
ruhen, und nun die eine Weltsonne über allen Planetensonnen, und diese über
allen ihr in der Persönlichkeit des Wandelsternes untergeordneten Besonder¬
heiten schwebt, die nur symbolische Bezeichnung dessen sind, was in jenen
höhern Regionen unmittelbar durch sich selber ausgesprochen ist: so hat auf
dieselbe Weise auch die Geschichte ihre Sonnenperiode, mit der sie beginnt;
es ist eine rein astralische Zeit in ihr, wo sie dem Himmlischen zugewandt,
von dem sie ausgegangen ist, noch in solarischem Feuer glüht, und ihre eigne
irdische Zeit zuerst abgesprungen ist von einer andern höhern Zeit, die näher
der Ewigkeit verwandt erscheint. Ueber dem Orient ist dies Gestirn zuerst
dem Geschlecht aufgestiegen, und dann nach Westen allmälig mit ihm fort¬
geschritten am Himmelsbogen, während die Menschen unten durch den irdi¬
schen Thierkreis sich durchgewunden. Der Zug des alten Bachus von Indien,


Grenzboten III. 18S3. 32

sind die Abgründe der Erde ihr aufgeschlossen, und durch die Spalten schlägt
sie die Wurzeln in die Tiefe ein, und vertraut mit ihren Wundern, saugt sie
aus dem Centrum ihre Nahrung. Und wie etudie Schauer nach dem Ueber¬
gang durch die Lüfte ziehn, und feuchte, kalte Nebelformen unten an der
Erde streichen, und ein leiser Athem wie der eines Schlafenden durch den
Luftkreis geht, so bewegte sich die beschattete Gestalt durch die Dunkelheit,
wie ein Traum, den die Natur geträumt, und der lebendig geworden nun
nachwandelte in der Träumender. Einer Erscheinung gleich, die aus den
Gräbern steigt, war die Gestalt den bildenden Göttern aus der Erde hervor¬
gestiegen, und so lange die mütterliche Nacht verweilte, weilte das dunkle
Wesen auch außen an der Oberfläche; wie aber die Morgenröthe am Horizont
erschien, da fuhr der finstre Geist in sich zusammen, und flüchtete in diese
Schluchten vor dem einbrechenden Licht, das ihm feindselig ist und verhaßt."
Man wird durch diese Phantasiegebilde nicht grade belehrt, aber man kann
sich vorstellen, wie sich jene Zeit daran berauschte, wie kluge Männer Görres
über Luther und Shakespeare setzen konnten. Doch hüten wir uns, diesen Vi¬
sionen zu folgen; wir deuten nur auf den Punkt hin, wo Görres sich mit
Creuzer begegnet. Es handelt sich von der Zeit, wo zuerst die Poesie auf¬
blühe. „Die Erde selbst war gebrochen, wie eine Blumenknospe bricht, und
eben waren die Geschlechter aus ihrem Kelch hervorgetreten, und es umduf-
teten sie noch die Arome, und sie horchten dem leisen Athemzug der Mutter,
die in den Düften webte, und sie vernahmen was sie gesprochen, und lasen
was sie mit Bergen und Strömen, und Bäumen und Blumen geschrieben
hatten, und bildeten es in ihrer eignen Sprache lallend nach. Nun erst war
die Mythe offenbar geworden; sie war aus der Inspiration übergetreten in
die Erscheinung, und hatte zum historischen Objecte sich gestaltet. Wie die
Bildung des Systems mit der Ausbildung der Sonne selbst begonnen hatte;
wie alle Erdgestalten wieder auf einer zuerst gestalteten innern Erdensonne
ruhen, und nun die eine Weltsonne über allen Planetensonnen, und diese über
allen ihr in der Persönlichkeit des Wandelsternes untergeordneten Besonder¬
heiten schwebt, die nur symbolische Bezeichnung dessen sind, was in jenen
höhern Regionen unmittelbar durch sich selber ausgesprochen ist: so hat auf
dieselbe Weise auch die Geschichte ihre Sonnenperiode, mit der sie beginnt;
es ist eine rein astralische Zeit in ihr, wo sie dem Himmlischen zugewandt,
von dem sie ausgegangen ist, noch in solarischem Feuer glüht, und ihre eigne
irdische Zeit zuerst abgesprungen ist von einer andern höhern Zeit, die näher
der Ewigkeit verwandt erscheint. Ueber dem Orient ist dies Gestirn zuerst
dem Geschlecht aufgestiegen, und dann nach Westen allmälig mit ihm fort¬
geschritten am Himmelsbogen, während die Menschen unten durch den irdi¬
schen Thierkreis sich durchgewunden. Der Zug des alten Bachus von Indien,


Grenzboten III. 18S3. 32
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[0257] sind die Abgründe der Erde ihr aufgeschlossen, und durch die Spalten schlägt sie die Wurzeln in die Tiefe ein, und vertraut mit ihren Wundern, saugt sie aus dem Centrum ihre Nahrung. Und wie etudie Schauer nach dem Ueber¬ gang durch die Lüfte ziehn, und feuchte, kalte Nebelformen unten an der Erde streichen, und ein leiser Athem wie der eines Schlafenden durch den Luftkreis geht, so bewegte sich die beschattete Gestalt durch die Dunkelheit, wie ein Traum, den die Natur geträumt, und der lebendig geworden nun nachwandelte in der Träumender. Einer Erscheinung gleich, die aus den Gräbern steigt, war die Gestalt den bildenden Göttern aus der Erde hervor¬ gestiegen, und so lange die mütterliche Nacht verweilte, weilte das dunkle Wesen auch außen an der Oberfläche; wie aber die Morgenröthe am Horizont erschien, da fuhr der finstre Geist in sich zusammen, und flüchtete in diese Schluchten vor dem einbrechenden Licht, das ihm feindselig ist und verhaßt." Man wird durch diese Phantasiegebilde nicht grade belehrt, aber man kann sich vorstellen, wie sich jene Zeit daran berauschte, wie kluge Männer Görres über Luther und Shakespeare setzen konnten. Doch hüten wir uns, diesen Vi¬ sionen zu folgen; wir deuten nur auf den Punkt hin, wo Görres sich mit Creuzer begegnet. Es handelt sich von der Zeit, wo zuerst die Poesie auf¬ blühe. „Die Erde selbst war gebrochen, wie eine Blumenknospe bricht, und eben waren die Geschlechter aus ihrem Kelch hervorgetreten, und es umduf- teten sie noch die Arome, und sie horchten dem leisen Athemzug der Mutter, die in den Düften webte, und sie vernahmen was sie gesprochen, und lasen was sie mit Bergen und Strömen, und Bäumen und Blumen geschrieben hatten, und bildeten es in ihrer eignen Sprache lallend nach. Nun erst war die Mythe offenbar geworden; sie war aus der Inspiration übergetreten in die Erscheinung, und hatte zum historischen Objecte sich gestaltet. Wie die Bildung des Systems mit der Ausbildung der Sonne selbst begonnen hatte; wie alle Erdgestalten wieder auf einer zuerst gestalteten innern Erdensonne ruhen, und nun die eine Weltsonne über allen Planetensonnen, und diese über allen ihr in der Persönlichkeit des Wandelsternes untergeordneten Besonder¬ heiten schwebt, die nur symbolische Bezeichnung dessen sind, was in jenen höhern Regionen unmittelbar durch sich selber ausgesprochen ist: so hat auf dieselbe Weise auch die Geschichte ihre Sonnenperiode, mit der sie beginnt; es ist eine rein astralische Zeit in ihr, wo sie dem Himmlischen zugewandt, von dem sie ausgegangen ist, noch in solarischem Feuer glüht, und ihre eigne irdische Zeit zuerst abgesprungen ist von einer andern höhern Zeit, die näher der Ewigkeit verwandt erscheint. Ueber dem Orient ist dies Gestirn zuerst dem Geschlecht aufgestiegen, und dann nach Westen allmälig mit ihm fort¬ geschritten am Himmelsbogen, während die Menschen unten durch den irdi¬ schen Thierkreis sich durchgewunden. Der Zug des alten Bachus von Indien, Grenzboten III. 18S3. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/257>, abgerufen am 23.07.2024.